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»Ich glaube, ich verstehe Sie«, warf Ortega ein. »Obie wurde gebaut, um mit diesen aufgelagerten Regeln oder dieser Mathematik, wie man es auch nennen will, zurechtzukommen. Ebenso alles andere, was wir kennen — ausgenommen die Sechseck-Welt, die an einem eigenen Modellcomputer hängt, der nicht davon betroffen ist. Und Brazil ist von der alten Mathematik, der markovischen, und Obie wurde mit ihm einfach nicht fertig, weil er ein wenig, ganz gering nur, abwich, wodurch Obies Schaltkreise kurzgeschlossen wurden.«

Zinder nickte.

»Ein winziger, aber entscheidender Unterschied. Er kam damit einfach nicht zurecht. Aus demselben Grund kann Brazil sein Aussehen nicht wirklich verändern, sobald er es im Schacht einmal einstellt. Er gehört nicht zur Mathematik des bekannten Universums; er fließt immer wieder in die alte Form zurück. Wir können ihn nicht einmal töten. Die Umstände liefern ihm stets einen Ausweg, mit anderen Worten, der Schacht behütet ihn. Nur innerhalb des Schachtes kann er sterben, weil der Schacht zum Teil dazu konstruiert worden ist, Markovier nach der neuen Mathematik umzuwandeln.«

»Meinen Sie, daß er sich töten wird?« fragte Ortega. »Ich glaube, ich verstehe ihn jetzt ein bißchen. Ich war zu lange am Leben und bin bereit, abzutreten, aber ich konnte mich nicht dazu überwinden. Jetzt kann ich es, und es ist ein Segen und eine Erleichterung. Sie können sich nicht vorstellen, wie befreit ich mich fühle. Man kann wirklich zu lange leben, Doktor, vor allem dann, wenn man sich nicht zu verändern vermag.«

Zinder dachte darüber nach.

»Ob er sich töten wird? Er hat es selbst gesagt, sehr oft sogar. Er sagte, es sei das einzige, was er wirklich tun möchte. Ich glaube, das ist der Grund, warum Mavra Tschang dabei ist — damit sie die Stafette übernehmen kann. Sie wird hineingehen und lernen, wie der Schacht funktioniert; er wird auf sie eingestellt werden. Sobald das geschehen ist, kann er mit reinem Gewissen sterben. Es wird jemand da sein, der die Wahrheit bewacht, und statt des Ewigen Juden werden die neuen Menschen die rätselhafte, unsterbliche Frau haben.«

»Was für ein grauenhaftes Schicksal«, sagte Ortega seufzend.

»Aber es geschieht aus ihrem freien Willen«, erklärte Zinder. »Wenn sie ihn auffordert, die Maschine abzuschalten, übernimmt sie die volle Verantwortung für alle Folgen. Wenn sie herauskommt, wird sie das einzige Wesen sein, das noch auf der Gegenwart beruht, statt auf der neuen Mathematik. Man wird sie nicht töten oder verändern können, und sie wird so bleiben, bis sie an eine weisere Rasse der Zukunft übergeben kann, falls diese je entsteht, die erneut die Gleichungen des Schachtes entdeckt und damit etwas anderes unternimmt, als sich zu vernichten. Wenn sie sich doch vernichtet, vielleicht in Milliarden Jahren von jetzt an, wird sie die Aufgabe haben, alles wieder neu zu erschaffen und zu diesem Zeitpunkt vielleicht selbst die Stafette weiterzugeben.«

Sie dachten darüber nach, dachten an die Einsamkeit, das ziellose Umherstreifen, ohne Veränderung, ohne Ende. Eine Zeitlang würde sie es natürlich genießen, wie das bei Brazil der Fall gewesen sein mußte, wie bei Ortega in seiner begrenzteren, aber nicht weniger drückenden Selbstverbannung. Aber schließlich würde sie zu dem Punkt gelangen, an dem sie zu lange gelebt hatte, und sie würde es wissen.

»Ich glaube nicht, daß sie erkennt, was für einen Teufelspakt sie da schließt«, sagte Ortega traurig.

»Weiß das überhaupt jemand?« sagte Zinder mit einem Achselzucken. »Und können wir zurückgehen und alle noch einmal von vorn beginnen? Kann ich den Schaden für das Universum ungeschehen machen? Für den Schacht? Nein, ich glaube nicht. Sowenig, wie Sie irgendeinen Ihrer entscheidenden Entschlüsse zurücknehmen können.« Er schwieg kurze Zeit. »Ich gehe jetzt besser. Yua muß unterrichtet werden — und ich möchte zurück sein, bis es hell wird.«

Serge Ortega streckte die Hand aus, und Zinder ergriff sie.

»Also bis zum Morgengrauen, Gilgram Zinder. Wir treffen uns unten am Kanal, ja?«

»Am Kanal«, bestätigte der andere. »Aber nicht Doktor Gilgram Zinder, nein, nicht mehr. Das meiste von ihm starb vor ungefähr neunhundert Jahren in Oolakash. Das wenige von ihm, das noch überlebte, starb mit Nikki auf Olympus, und der Rest mit Obie auf ›Nautilus‹. Ich bin nur Zigeuner, Ortega. Das will ich sein, also bin ich es. Ich kann sein, wer und was ich will.«

»Warten Sie! Noch eines!« rief der Ulik. »Woher wissen wir, ob wir lange genug die Stellung gehalten haben? Können Sie mir das sagen?«

Zigeuner lachte.

»Wenn ich hier bin, wissen Sie es genau, und auf sehr plötzliche und schmutzige Art. Wenn nicht — falls Sie bis zur Nacht durchhalten können, und wenn die Nacht klar ist und Sie vom Himmel etwas sehen können, werden Sie sehen, wie die Sterne erlöschen.«

»Aber das ist doch ausgeschlossen«, wandte Ortega ein. »Selbst wenn das Universum erlischt, würde es Tausende von Jahren dauern, bis wir es erfahren.«

»Wenn er abschaltet«, sagte Zigeuner zu den beiden anderen, »wird das Universum nicht einfach aufhören, zu bestehen. Es wird praktisch niemals existiert haben. Es wird diese Sterne und den Staub, der im Licht aufleuchtete, nie gegeben haben. Es wird nichts geben als das tote markovische Universum — und die Sechseck-Welt. Nichts sonst wird daneben existieren oder je existiert haben.«

Ein ernüchternder Gedanke.

»Noch eine letzte Frage«, sagte Marquoz. »Haben Sie Brazil gesagt, wer Sie sind?«

Zigeuner lachte.

»Nein. Er wollte es wissen, aber er wollte mir auch nicht verraten, warum ein markovischer Wächter ein jüdischer Rabbiner ist, also gleicht es sich wieder aus.« Er verschwand.

»Auch wahr«, sagte Ortega zu niemand Bestimmtem. Schließlich wandte er sich an Marquoz. »Wenn Sie schon hier sind, werden Sie das Kommando über die Verion-Seite übernehmen, hoffe ich.«

Marquoz nickte.

»Alles geregelt. Wenn ich soweit bin, fliegen sie mich hinüber.«

Zum zweitenmal in dieser Nacht streckte Ortega die Hand in einer freundschaftlichen Geste aus, und zum zweitenmal wurde sie in diesem Geist ergriffen.

»Wie bei Zigeuner«, sagte Ortega. »Wir treffen uns am Kanal.«

»Am Kanal«, wiederholte Marquoz. »Wir werden nur dreißig Meter auseinander sein.«

»Die schwimmen wir«, sagte Ortega jovial.

Stromabwärts gab es eine heftige Explosion, weit entfernt noch, und Lichter flammten dort unten auf. Feuersalven lösten sich automatisch, dann erlosch und verstummte alles wieder.

»Ich gehe lieber«, sagte der Hakazit, während der Widerhall von Explosion und Schüssen in der Schlucht noch zu hören war. Er drehte sich um, stutzte und drehte den Kopf.

»Wissen Sie was? Wäre es nicht irre, wenn wir siegen würden?«

Ortega lachte.

»Das würde alles durcheinanderbringen.«