»Na, heute ist Besuchstag. Und falls tats?chlich ein Mensch auf der Suche nach einem Hund vorbeikommt, will ich gleich einen guten Eindruck machen. Bin ja nicht mehr der J?ngste, da ist es umso wichtiger, dynamisch und gut gelaunt zu wirken. Wirst schon sehen, Menschen m?gen so was.«
Ob er damit richtig liegt? Eigentlich habe ich gar keine Lust, den dressierten Dackel zu geben. Aber der Gedanke, mich auf einen l?ngeren Aufenthalt hier einzurichten, ist zugegebenermassen furchtbar. Ich stelle mich also neben Fritz und wedele auch ein bisschen unmotiviert mit dem Schwanz hin und her. Und auf so eine billige Masche fallen Menschen herein? Unglaublich.
»Sag mal, wie heisst du eigentlich?«, will Fritz wissen.
»Carl-Leopold«, antworte ich knapp.
»Carl-Leopold? Komischer Name f?r einen Hund.«
»Finde ich nicht. Kommt eben ganz darauf an, aus welchem Stall man kommt.« Banause! Was weiss der schon von sch?nen Namen? »Ich bin ein von Eschersbach«, f?ge ich stolz hinzu.
»Von Eschersbach? Sagt mir nichts«, brummt Fritz nur und wedelt weiter.
Ich seufze. Wirklich ein Banause. Ein netter zwar, aber eben doch ein Banause. Gerade will ich anfangen, Fritz in die Grundz?ge meiner Familiengeschichte einzuweihen, da klappt im Haus neben unserem Zwinger eine T?r. Augenblicklich bin ich wie elektrisiert. Nicht wegen des Ger?uschs - schliesslich herrscht in dieser Einrichtung ein L?rmpegel, dass einem Dackel eigentlich die zarten ?hrchen abfallen m?ssten. Nein, es ist vielmehr ein ganz unbeschreiblicher Geruch, der geradewegs auf meine Nase zustr?mt. Auch Fritz scheint Witterung aufgenommen zu haben, denn er stellt sein bl?dsinniges Gewedel ein und presst stattdessen seine Schnauze durch die Gitterst?be.
»Riechst du das auch?«, will ich von ihm wissen. Er nickt. »Toll, oder?«
»Ja, Wahnsinn!«, gibt er mir Recht.
»Das ist der sch?nste Geruch, den ich an einem Menschen je wahrgenommen habe«, stelle ich fest.
Dass dieser Geruch zu einem Menschen geh?rt, ist klar. Das riecht jeder Hund sofort. Aber was f?r ein Mensch ist das wohl, der so gut riecht? Nicht etwa profan gut wie Fleischwurst oder Schokokeks. Nein, eher wie … ich gr?ble nach … genau - wie ein sch?ner Sommertag. Ein gl?cklicher Sommertag. Ganz viel nach Blumen, ein bisschen nach Erdbeeren und ein Hauch Pfefferminz. Fantastisch.
»Wahrscheinlich sind wir gleich entt?uscht, wenn wir den Menschen sehen. Die bl?desten Menschen riechen immer am besten«, meint Fritz fachm?nnisch.
»Echt?«, will ich wissen. »Da habe ich ehrlicherweise noch keinen Zusammenhang festgestellt. Das kann ich nicht beurteilen.«
»Doch, doch. Jede Wette.«
Gespannt blicken wir Richtung T?r. Und da kommt sie auch schon zu den Zwingern, gefolgt von der Latzhose. Fritz lag v?llig daneben. Denn f?r einen Menschen ist sie wundersch?n, wie ein Engel. Sie unterh?lt sich mit der anderen Frau und lacht dabei. Ihre Augen lachen mit - was besonders sch?n aussieht und bei den Menschen ziemlich selten ist. Meistens verziehen die beim Lachen nur den Mund. Was schade ist. Also, wenn ich lachen k?nnte, ich w?rde die Augen mitmachen lassen. Sieht eindeutig besser aus.
»Hm, also ein etwas kleinerer Hund soll es sein? Und gerne ein j?ngerer?« Der Engel nickt.
Fritz l?sst sofort die Ohren h?ngen. Er weiss, was das bedeutet: wieder kein Frauchen f?r ihn. Denn M?nsterl?nder sind alles andere als klein - und ein junger Hund ist Fritz schon lange nicht mehr. Er senkt den Kopf. »Viel Gl?ck!«, fl?stert er mir noch zu, dann trottet er an mir vorbei. Nat?rlich tut er mir leid - aber vielleicht ist das wirklich meine Chance? Ich versuche es noch mal mit der Fritz’schen Taktik, wedele also aufgeregt mit dem Schwanz und versuche, m?glichst freundlich zu bellen. Tats?chlich steuern die beiden Frauen jetzt direkt auf mich zu.
»Das hier ist zum Beispiel unser Junior. Haben wir gerade erst bekommen. Ungef?hr ein halbes Jahr alt.«
Sie streckt ihre Hand durch das Gitter, ich schlecke sie gleich ab. Na, wenn das jetzt keinen guten Eindruck macht, weiss ich auch nicht. Der Engel beugt sich zu mir herunter.
»Na, was bist du denn f?r ein S?sser? So ein niedlicher Kerl!« Begeistert springe ich auf und ab.
»Ja, echt ein H?bscher. Ein Dackelmix.«
Autsch. Mix. Verdammt. Das tat weh. Ich h?re augenblicklich auf, den begeisterten Hund zu mimen. Nicht, dass es nicht stimmen w?rde. Im Gegenteil. Fr?ulein Latzhose hat Recht. Und damit bringt sie meine Schmach auf den Punkt: Ich bin ein Mischling. Das Ergebnis von Mamas Aff?re mit einem sehr schneidigen Terrierr?den. Genau deswegen bin ich hier. Denn ich bin zwar Carl-Leopold von Eschersbach. Aber ein reinrassiger Dackel mit den besten Papieren - das bin ich nicht. F?r die Jagd g?nzlich ungeeignet. Und f?r die Zucht sowieso. So hat es der alte Schlossherr Eschersbach gesagt, bevor er mich in einen Karton setzte und mich hierherfuhr. Emilia hat geweint, aber sie hatte ja schon meine Schwester genommen, und zwei Hunde waren ihr nat?rlich zu viel.
Offenbar habe ich angefangen zu winseln, denn jetzt streckt auch der Engel seine Hand durch den K?fig und streichelt mich.
»Och, du Armer, was hast du denn? Bist du traurig?«
Wie peinlich. Ein Eschersbach weint doch nicht. Und dann noch vor einer so sch?nen Frau. Himmel, wo soll das noch enden? Aber offensichtlich war das genau das Richtige, denn jetzt richtet sich der Engel auf, zeigt auf mich und sagt: »Den will ich haben. Auf alle F?lle. Kann ich ihn gleich mitnehmen?«
Die Latzhose nickt.»Kommen Sie mit rein, dann erledigen wir die Formalit?ten. Alle Impfungen hat er schon, er kommt von einem sehr gewissenhaften Z?chter. Kleiner Betriebsunfall gewissermassen.«
Bei den letzten Worten kichert sie. Und daf?r w?rde ich sie sehr gerne in die Hand zwicken. Lasse es aber. Sonst muss ich nachher doch hierbleiben.
Zwanzig Minuten sp?ter sitze ich sicher in der Box verstaut auf dem R?cksitz von Carolins Auto. Carolin - so heisst mein Engel. Habe ich bei der Verabschiedung mitgekriegt. Carolin. Ein sch?ner Name. Sehr edel. Wahrscheinlich - ach was - ganz sicher ist Carolin aus noblem Hause. So etwas merkt ein Hund wie ich einfach. Carolin jedenfalls ist gut gelaunt. Sie pfeift ein Lied und schaut ab und zu in den R?ckspiegel, um nach mir zu sehen.
»So, mein S?sser, jetzt lernst du gleich dein neues Zuhause kennen. Ich bin sehr gespannt, wie es dir gef?llt.«
Und ich erst! Ob es wohl so sch?n ist wie auf Schloss Eschersbach? Mit einem grossen Park? Und vielen Kaninchenbauten? Das Auto wird langsamer, schliesslich h?lt es an. Carolin ?ffnet die T?r und hebt die Box heraus. Jetzt habe ich den Geruch von Erdbeeren und Minze direkt vor der Nase und w?rde Carolin am liebsten von oben bis unten abschlecken. Aber noch muss ich mich gedulden, aus der schaukelnden Box herauszukommen.
Um mich herum wird es dunkler, und es schaukelt noch st?rker: Carolin tr?gt mich eine Treppe hinauf. Ich versuche, mit meiner Nase durch das Gitter der Box einen ersten Eindruck von meinem neuen Domizil zu erschn?ffeln. Auf alle F?lle scheint es ein Ort zu sein, an dem verschiedene Menschen leben. Und verschiedene Tiere. Auf Anhieb kann ichmindestens eine Katze ausmachen.
Jetzt stellt Carolin die Box ab, und ich h?re, wie sie eine T?r aufschliesst. Sie schiebt die Box mit dem Fuss ein St?ck weiter. Dann nestelt sie am Deckel herum, ?ffnet ihn und hebt mich vorsichtig heraus.
»Et voil?! Hier wirst du von nun an wohnen. Schau dich ruhig um, kleiner Mann.«
Im ersten Moment sehe ich gar nichts - so hell ist es hier. Ich blinzele vorsichtig und versuche, mich an das Licht zu gew?hnen. Schemenhaft erkenne ich langsam, dass wir wohl in einem menschlichen Wohnzimmer stehen. Vor dem Fenster steht eine grosse Couch, die so aussieht, als k?nnte ein kleiner Dackel dort sehr bequem ein Nickerchen halten. Ob das bei Carolin wohl erlaubt ist? Im Schloss jedenfalls war es streng verboten. Was nat?rlich dazu f?hrte, dass meine Schwester und ich nichts lieber taten, als auf das Sofa im Salon zu hopsen. Schon allein, weil es urkomisch war, wenn der alte Schlossherr trotz seines Gehstocks wie ein ge?lter Blitz auf uns zuschoss und wild mit ebenjenem Stock herumfuchtelte, um uns zu verscheuchen.