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O nein, bitte nicht zum Tierarzt! Es schaudert mich, und ich merke, wie sich mir buchstäblich die Nackenhaare aufstellen.

»Mensch, Herkules, du kannst ja richtig böse gucken«, stellt Daniel belustigt fest.

Wüsste nicht, was daran so komisch ist.

»Offensichtlich versteht uns dein neuer Mitbewohner ganz genau, und zum Tierarzt will er wohl auf keinen Fall. Schau mal, er macht sich ganz steif.«

Er reicht mich zu Carolin, die mich auf den Arm nimmt und mir beruhigend über den Kopf streichelt. »Och, Herkules, musst doch keine Angst haben. So ein Besuch beim Tierarzt ist gar nicht schlimm.«

Also, mit Verlaub, das weiß ich ja wohl besser. Von den Anwesenden bin ich doch der Einzige, der diese Erfahrung schon mal als Patient gemacht hat. Sogar schon zweimal. Beim ersten Mal habe ich mich von dem freundlichen Gesäusel noch täuschen lassen, bis diese Gestalt namens Tierarzt plötzlich eine Hautfalte von mir hochzog und mit einer Nadel zustach. Das muss man sich mal vorstellen - mit einer Nadel! In meine empfindliche Haut! Tierarzt nicht schlimm? Es ist immer wieder erstaunlich, was für einen Blödsinn Menschen mit dem Brustton der Überzeugung von sich geben. Wie gerne würde ich in solchen Momenten mit ihnen sprechen können!

Während ich noch damit hadere, dass aus all meinen zweifelsohne wichtigen und zutreffenden Gedanken nichts weiter als ein lautes Bellen werden kann, klingelt es an der Tür. Carolin setzt mich wieder ab und öffnet.

»Hallo, ihr alle!«

»Hallo, Nina! Mensch, dich hätte ich jetzt fast vergessen. Ich fürchte, unser Plan für heute Mittag ändert sich etwas.«

Nina guckt enttäuscht. »Och, wieso? Was ist denn passiert?«

»Herkules hat sich eine Zecke eingefangen, und das Ganze hat sich entzündet. Ich muss mit ihm mal eben zum Tierarzt. Später schaffe ich es nicht mehr, da habe ich zu viele Kundentermine.«

»Schade! Aber vielleicht dauert die Aktion nicht so lange, und wir gehen hinterher etwas essen? Dann komme ich jetzt einfach mit. Wo soll's denn hingehen?«

»Tja, darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich so schnell schon einen Tierarzt brauchen würde. Hast du vielleicht einen Tipp, Daniel?«

Daniel denkt nach, jedenfalls legt er seine Stirn in Falten, und das ist meist ein untrügliches Zeichen dafür. Überhaupt muss ich mir mal angewöhnen, Menschen mehr ins Gesicht zu schauen. Da erfährt man doch sehr viel über die momentane Stimmung. Mittlerweile habe ich zwar schon einiges in Sachen »Versteh einer die Menschen« gelernt, aber vielleicht könnte mir Beck noch ein paar Nachhilfestunden geben.

»Also, unser alter Tierarzt war spitze, aber ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt noch praktiziert. Der war eigentlich der Beste und dafür stadtbekannt. Wagner hieß er, die Praxis war hier gleich um die Ecke, in der Hellmannstraße. Ruf doch mal die Auskunft an.«

Keine halbe Stunde später sitzen wir schon zu dritt in Dr. Wagners Praxis. Der von Eschersbach'sehe Tierarzt kam immer auf das Schloss, insofern ist mein Tierarztbesuch heute doch eine Premiere. Und ich muss zugeben: Hätte ich nicht solche Ohrenschmerzen, wäre es hier eigentlich recht interessant. Von meinem Platz auf Carolins Schoß kann ich genau sehen, dass in der Transportbox unter dem Stuhl neben uns zwei Kaninchen hocken. Wahnsinn - so nah war ich denen noch nie. Ich spüre, wie sich ein warmes Kribbeln in meiner Nase breitmacht. Zu gerne würde ich auf den Boden hüpfen und mir die beiden einmal genauer ansehen. Vielleicht könnte ich sie ein bisschen durch das Wartezimmer jagen? Nur zum Spaß natürlich. Stichwort Solidarität unter Haustieren. So ein bisschen in die Hinterläufe zwacken würde die aber bestimmt nicht umbringen. Ich stelle fest, dass mein Ohr bei diesem Gedanken gleich viel weniger schmerzt.

Langsam rutsche ich mit meinen Vorderläufen von Carolins Schoß und schaue kurz hoch, ob sie mich gerade beobachtet. Nein, denn sie unterhält sich angeregt mit Nina über ihr Lieblingsthema - Thomas. Sachte lasse ich mich von ihrem Schoß gleiten und lande direkt vor der Kaninchenbox. Carolin streichelt mir nur kurz über den Kopf, dann dreht sie sich wieder zu Nina. Ich gucke mich um - die Luft ist rein, denn der zuständige Kaninchenmensch steht am Anmeldetresen und spricht mit einer jungen Frau. So, Freunde, dann wollen wir doch mal ein bisschen spielen, oder?

Ich presse meine Schnauze an die Box. Ein herrlicher Geruch, ich könnte laut bellen vor Freude! Aber das lasse ich lieber, denn dann fliege ich bestimmt auf, und der Spaß ist vorbei, bevor er richtig angefangen hat. Stattdessen versuche ich, den Riegel hochzuschieben, mit dem die kleine Gittertür an der einen Seite der Box verschlossen ist. Die Kaninchen starren mich an, begeistert sehen sie nicht aus. Aber das kümmert mich nicht, und so packe ich jetzt den Riegel mit meinen Zähnen und drehe ihn hoch. Mit einem leisen »Klack« schwingt das Gittertürchen nach vorne auf. Fantastisch! Es funktioniert! Sofort stecke ich meinen Kopf in die Box und versuche, das größere der beiden Kaninchen zu packen. Ängstlich quiekt es auf, offensichtlich versteht es überhaupt keinen Spaß. Bevor ich es allerdings richtig erwische, passiert etwas Unglaubliches: Sein Kollege schießt pfeilschnell nach vorne und beißt mich mitten in die Nase. Ich heule laut auf und ziehe meinen Kopf aus der Box. So eine Gemeinheit!

Die Kaninchen nutzen ihre Chance zur Flucht und springen sofort aus der Box. Ich belle wütend und will hinterher, denke allerdings nicht daran, dass ich angeleint bin. In besagter Leine verfängt sich Nina, die erschreckt aufspringt, als eines der beiden Kaninchen durch ihre Beine huscht. Sie stolpert, kommt ins Taumeln - und fällt direkt in die Arme eines Mannes im weißen Kittel, der in diesem Moment die Tür neben unserer Stuhlreihe öffnet und harmlos »Frau Neumann mit Herkules?« in die Runde ruft. Als ich ihn sehe, durchzuckt mich ein seltsames Gefühl. Aber ich komme nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn mittlerweile ist der Kaninchenbesitzer vom Tresen zu uns gerannt, ruft »Bobo, Schneeweißchen! Meine armen Lieblinge!«, und versucht, mir einen gezielten Tritt zu verpassen. Ich weiche aus und ducke mich unter den nächsten Stuhl. Carolin zerrt jetzt hektisch an meiner Leine, und die Oma von schräg gegenüber, die mit einem älteren Cocker dasitzt, bekommt vor Aufregung einen Hustenanfall. Der Mann im Kittel - offensichtlich Dr. Wagner - hält immer noch Nina im Arm, und ich warte darauf, dass er sie jetzt fallen lässt und sich auch auf die Jagd nach mir macht.

Aber nichts dergleichen passiert, stattdessen fängt Dr. Wagner an, laut zu lachen. Ein sehr dunkles, fröhliches Lachen. Ein Lachen, das mir bekannt vorkommt. Auf einmal ist es, als wäre ich wieder auf Schloss Eschersbach und säße mit Charlotte auf den kalten Fliesen im Vorraum des Pferdestalls. Fast kann ich die Stimme des alten von Eschersbach hören, der sich mit dem Tierarzt unterhält. Dr. Wagner ist nicht irgendein Tierarzt, er ist mein Tierarzt! Aufgeregt fange ich an zu bellen - ob aus Angst oder vor Freude, weiß ich selbst nicht.

»Na, mein Kleiner! Da hast du ja ein schönes Chaos hier angerichtet.«

Dr. Wagner kniet sich vor den Stuhl, unter dem ich immer noch hocke und streichelt mir über den Kopf. Jetzt beugt sich Carolin daneben, löst meine völlig verknotete Leine und zieht mich unter dem Sitz hervor.

»O Gott, Herr Dr. Wagner, das ist mir so unglaublich peinlich. Entschuldigen Sie vielmals, ich hoffe, den Kaninchen ist nichts passiert.«

Pah! Verräterin! Was kümmern sie die Kaninchen? Sie sollte sich lieber mal um mich Sorgen machen - erst befällt mich die heimtückische Ohrenfäule und dann werde ich hier noch derart brutal mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Aber wenigstens Dr. Wagner weiß Prioritäten zu setzen. Er schüttelt den Kopf, dann nimmt er mich auf den Arm.