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»Keine Sorge, das muss Ihnen nicht peinlich sein. Dieses kleine Kerlchen kann eigentlich nichts dafür. Ein Dackelmix, oder? Sie müssen wissen, Dackel sind jahrhundertelang nur dafür gezüchtet worden, ebendiesen Kaninchen an den Kragen zu gehen. Und gegen dreihundert Jahre Zucht kann auch der wohlerzogenste Hund nicht an.« Er streichelt mich, ich schlecke seine Hände ab. »Dabei fällt mir auf: Irgendwie kommt mir Herkules bekannt vor. Waren Sie schon einmal mit ihm hier? Wir haben noch gar keine Patientenakte von ihm.«

Carolin schüttelt den Kopf. »Nein, ich bin Neu-Hundebesitzerin. Ein Freund hat mir Ihre Praxis empfohlen.«

»Tja, dann täusch ich mich wohl. Ich habe die Praxis allerdings auch erst vor einem guten Jahr von meinem Vater übernommen, und ich gebe zu, dass ich den ein oder andern Patienten noch verwechsle.« Er dreht sich zu Nina. »Ich hoffe, ich bin Ihnen mit meinem kleinen Rettungsmanöver nicht zu nahe getreten?«

Nina gibt ein sehr seltsames Kichern von sich und sagt mit einer Stimme, die völlig anders klingt als sonst: »Aber nein, ganz im Gegenteil. Sie kamen gerade rechtzeitig, vielen Dank.«

»Na gut, dann wollen wir uns Herkules doch mal in Ruhe anschauen. Kommen Sie bitte mit?«

Er öffnet wieder die Tür, aus der er eben gekommen ist, und macht eine einladende Handbewegung. Carolin geht vor, und auch Nina will sich meine Untersuchung offenbar nicht nehmen lassen. Jedenfalls setzt sie sich nicht einfach wieder hin, sondern geht sofort hinter Carolin her.

Dr. Wagner nickt noch kurz der jungen Frau am Tresen zu. »Sinje, helfen Sie bitte kurz Herrn Riedler, Bobo und Schneeweißchen einzufangen? Nicht, dass sie hier dem nächsten Jagdhund zum Opfer fallen.«

Hinter der Tür befindet sich ein heller Raum mit einem Tisch in der Mitte. Dr. Wagner setzt mich darauf und mustert mich.

»So, Herkules, wo drückt denn der Schuh?«

»Er hat eine Zecke hinter dem rechten Ohr, und ich fürchte, der Biss hat sich entzündet«, erklärt Carolin.

Dr. Wagner fährt mit seiner Hand an meinem Ohr entlang, bis er zu dem Knoten kommt. Als er ihn berührt, zucke ich zusammen. In dem ganzen Tohuwabohu tat es eigentlich gar nicht mehr weh, aber jetzt ist das Pochen wieder fast unerträglich.

»Sie haben Recht, das hat sich entzündet. Ich werde die Zecke jetzt herausziehen und die Stelle desinfizieren. Dann werde ich Herkules ein Antibiotikum verschreiben. Es wäre ja möglich, dass das Biest ihn mit ein paar Keimen infiziert hat. Außerdem gebe ich Ihnen einen Plastikkragen mit, damit er sich an der Stelle erst mal nicht mehr kratzen kann.«

Na großartig! Das sind ja tolle Aussichten für die nächsten Tage. Wette, Beck bricht lachend zusammen, wenn er mich mit so einem Teil sieht.

»So, ich schlage vor, Sie halten Herkules jetzt die Vorderläufe fest, und ich lege ihm einen Maulkorb um. Nicht, dass er einen von uns beißt, wenn ich die Zecke entferne.«

»Kann ich mich auch irgendwie nützlich machen?«, will Nina wissen.

Täusche ich mich, oder möchte sie einen guten Eindruck bei Dr. Wagner hinterlassen? Sie ist doch sonst nicht so zuckersüß.

»Danke, Frau ... äh ...«

»Bogner. Nina Bogner.«

Mit dem Maulkorb um die Schnauze habe ich zwar nicht mehr die perfekte Sicht, aber immer noch gut genug, um zu erkennen, dass Nina Dr. Wagner regelrecht anstrahlt. Man kann alle ihre Zähne sehen. Für einen Menschen ein recht ordentliches Gebiss, muss ich schon sagen. Ihre Stimme klingt allerdings mittlerweile eher wie ein Flöten. Unangenehm.

»Danke, Frau Bogner, nett von Ihnen. Aber das schaffen wir hier schon.«

»Tja, ich bin so besorgt um unseren kleinen Freund hier. Ich liebe Hunde, müssen Sie wissen.«

Mann, das Gesäusel nervt. Hoffentlich ist Dr. Wagner bald fertig, und wir können wieder nach Hause. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er nun eine Art Zange in der Hand hält. Er bückt sich über mich und - AUTSCH! Ich wusste doch, dass ein Besuch beim Tierarzt immer schmerzhaft endet. Und heute ist es keine Ausnahme. Zu gerne würde ich nach Wagner schnappen, aber der blöde Maulkorb hindert mich daran.

»Ganz ruhig, Herkules! Wir haben es gleich geschafft«, behauptet Wagner. »Nur noch einen kleinen Augenblick, dann kannst du wieder vom Tisch.«

Er nimmt eine kleine Flasche mit Flüssigkeit und öffnet sie. Ein durchdringender, stechender Geruch strömt aus. Urks, das riecht ja widerlich! Wagner träufelt etwas von dem Zeug auf einen Tupfer. Dann bestreicht er die Stelle damit. Nochmal AUTSCH! Es brennt höllisch, und diesmal kann ich mich von Carolin losreißen und aufspringen. Empört knurre ich die beiden an.

»Herkules!«, schimpft Carolin, »Dr. Wagner will dir doch nur helfen. Jetzt sei brav und leg dich wieder hin!«

»Nicht nötig, Frau Neumann. Ich bin schon fertig. Die Zecke ist draußen, die Stelle habe ich desinfiziert. Meine Helferin gibt Ihnen noch den Kragen und das Antibiotikum mit. Das Medikament bekommt Herkules die nächsten sieben Tage ins Futter. Damit müsste eigentlich alles in Ordnung sein, und Ihr Herkules ist bald wieder auf dem Posten.«

Zehn Minuten später befinde ich mich auf Carolins Schoß, und gemeinsam sitzen wir wieder in Ninas Auto. Nina ist offensichtlich bester Stimmung, jedenfalls pfeift sie fröhlich vor sich hin.

»Mensch, so gute Laune?«, will Carolin von ihr wissen.

»Och ja, das war doch jetzt mal ganz interessant. Quasi eine Mittagspause der anderen Art. Ich war vorher noch nie beim Tierarzt.«

»Tja, warum auch. Ich hatte bisher immer den Eindruck, dass du nicht gerade ein großer Tierfreund bist. Deine neu entdeckte Hundeliebe überrascht mich ehrlich gesagt etwas.«

»Wieso? Herkules ist doch so ein süßes Kerlchen. Also, wenn ihr noch mal in die Praxis müsst, komme ich gerne mit.«

»Aha. Bist du sicher, dass das nicht mit einem anderen süßen Kerlchen zu tun hat?«

»Bitte? Ich weiß nicht, wovon du redest.«

Hier bin ich allerdings mit Nina auf dem gleichen Stand. Mir ist auch nicht klar, wovon Carolin redet. Welches andere süße Kerlchen? Ich habe außer mir niemanden entdecken können, der dieses Prädikat verdient.

»Ach komm, nun tu mal nicht so. Denkst du wirklich, ich habe nicht gesehen, wie du ihn angeschmachtet hast, den Herrn Doktor?«

Nina sagt nichts, sondern pfeift einfach weiter.

»Komm, gib zu, dass er dir gefallen hat. Verstehe ich. Er sieht wirklich ziemlich klasse aus - und wie er dich gleich aufgefangen hat: ganz alte Schule.«

Carolin kichert, Nina sagt immer noch nichts. Menschliche Kommunikation ist rätselhaft.

Zu Hause angekommen, möchte ich mich am liebsten sofort in mein Körbchen verziehen. Daraus wird aber nichts, denn noch bevor Carolin die Haustüre aufschließen kann, kommt Beck wie zufällig an uns vorbeigeschnürt und raunt mir ein »Wir müssen reden, sofort!« zu. Hat man denn hier niemals seine Ruhe? Andererseits macht Beck aber eine dermaßen wichtige Miene, dass meine Neugier siegt.

»Okay, gleich im Garten?«, seufze ich gottergeben.

Beck nickt und ist verschwunden. Ich schaue zu Carolin hoch, beginne zu fiepen und laufe scheinbar unruhig hin und her.

»Was ist los, Herkules? Musst du mal?«

Ich belle kurz und renne schon mal in Richtung Garten. »He, nicht so schnell! Ich muss eigentlich gleich in die Werkstatt.

Ich halte kurz inne und fiepe noch einmal.

»Na gut, wenn es so dringend ist...«

Im Garten angekommen, sehe ich Beck auch schon unter unserem Baum sitzen. Ich hocke mich neben ihn.

»Und, was gibt's?«, will ich wissen.

Beck holt theatralisch Luft. »Ich habe eine sensationelle Entdeckung gemacht.«