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SIEBEN

»Wo denn? Ich seh nichts!« »Na, da drüben!« Angestrengt starre ich zu einer Häuserzeile schräg über der Straße, aber die Sensation, die Beck dort erkannt haben will, kann ich beim besten Willen nicht ausmachen. Gut, liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit dem völlig überdimensionierten Plastikteil um meinen Hals eine tendenziell eingeschränkte Sicht habe, aber das lässt sich jetzt eben nicht ändern. Beck schnauft ungeduldig.

»Na, denn müssen wir halt näher ran. Los, renn rüber!« »Halt mal, ich will jetzt erst mal wissen, was wir hier überhaupt wollen«, weigere ich mich. Das fehlte noch. Laufen kann ich mit dem Kragen nämlich auch nicht wirklich gut, ständig bleibe ich an irgendwas hängen. Beck seufzt. »Wir sind hier, um dein großes Problem zu lösen.« »Hä?« Der Kater nervt langsam.

»Ach, was rede ich - kein großes Problem, es ist dein größtes Problem.«

»Mein größtes Problem? Sag bloß, da drüben finden wir den Beweis, dass ich doch komplett reinrassig bin und Eschersbach die ganze Zeit halluziniert hat.«

Vor meinem inneren Auge sehe ich eine Abstammungsurkunde, lang wie eine Rolle Küchenpapier, ausgestellt auf meinen Namen.

Beck grunzt. »Quatsch. Doch nicht dieser Abstammungskram. Der interessiert doch keinen. Dein größtes Problem ist Thomas.« »Na ja.«

»Du hast doch gesagt, dass Thomas dich loswerden will.« »Richtig.«

»Und was folgt daraus?«

»Dass ich mich besser benehmen muss?«

»Falsch. Daraus folgt, dass du ihm zuvorkommen musst. Du musst ihn loswerden. Und zwar, bevor er dich wieder in Richtung Tierheim bugsieren kann.«

»Ich muss Thomas loswerden?« Ungläubig starre ich Beck an. »Wie soll das denn gehen? Soll ich ihn anfallen und heimlich verscharren? Ich glaube, du überschätzt mich da etwas, ich bin schließlich ein Dackel, kein Kampfhund.«

Beck schüttelt den Kopf. »Mein Gott, bist du schwer von Begriff. Doch nicht so! Du hast jetzt die historische Chance, dir Thomas ein für alle Mal vom Hals zu schaffen. Allerdings nicht, wenn du hier weiter wie angewurzelt stehen bleibst. Also los, mir nach!«

Ich seufze. Wann endlich wird dieser Tag beginnen, etwas ruhiger zu werden?

Auf der anderen Straßenseite angekommen, kann ich den Grund für Becks Aufregung immer noch nicht verstehen.

»Entschuldige, offensichtlich verfüge ich heute einfach nicht über deinen Scharfsinn. Was gibt es hier so Weltbewegendes zu sehen?«

»Du stehst direkt davor.«

»Hä?«

»Vor Beweisstück A.«

»Beweisstück A? Langsam mache ich mir Sorgen um dich. Ich sehe hier lediglich zwei Autos und einen Stromkasten.

Also mach es nicht so spannend. Ich bin nach meinem heutigen Arztbesuch auch ziemlich schlapp. Wenn du mir jetzt endlich erläutern könntest, was ich hier soll, wäre ich dir sehr verbunden.«

»Natürlich. Du siehst hier nur zwei Autos. Ich hingegen sehe einen BMW, schwarz-metallic. Dieser ist das erste Teilchen einer brillanten, lückenlosen Beweisführung, an deren Ende Thomas vor der Türe und du auf seinem Sofa landen wirst. Kommen wir also als Nächstes zu Beweisstück B. Herr von Eschersbach, folgen Sie mir bitte. Wir haben einen Ortstermin.«

Erwähnte ich, dass Beck mal einem Anwalt gehörte? Eine sehr unangenehme Spätfolge aus dieser Zeit ist der willkürliche Einsatz von Juristengeschwafel. Tragisch, wie sehr Menschen auf ihre Tiere abfärben. Ich wünschte, es wäre umgekehrt genauso. Die Welt wäre ein freundlicherer Ort.

»Na los, Dackel! Rauf auf den Stromkasten!«

Mit einem Satz ist Beck oben.

»Spinnst du jetzt komplett? Wie soll ich da raufkommen? Da kann ich schon unter normalen Umständen nicht - und mit diesem Halsdings ist es völlig ausgeschlossen. Also entweder, du sagst mir jetzt sofort, was der ganze Zirkus soll, oder ich laufe wieder nach Hause.«

Beck schaut beleidigt. »Ich hätte ein bisschen mehr Engagement von dir erwartet. Schließlich tue ich das hier nur für dich. Mir könnte es eigentlich völlig egal sein, was euer Thomas so mit seiner Zeit anfängt. Aber weil du nun ein Freund von mir bist...«

»Halt mal, was meinst du denn damit? Was ist mit Thomas?«

Beck springt wieder von dem Kasten herunter und landet punktgenau neben mir. Das können sie einfach, die Katzen.

»So, jetzt mal zum Mitschreiben: Heute Morgen machte ich meinen üblichen kleinen Spaziergang. Ich bin immer ganz gerne auf der anderen Seite des Parks, irgendwie bessere Luft hier, mehr Mäuse, ruhiger - du wirst es schon noch merken, wenn du selbst erst mal länger ...«

»Beck«, unterbreche ich ihn ungeduldig, »was ist mit Thomas?«

»Als ich hier entlangkomme, hält der besagte BMW direkt neben mir. Und wer steigt aus?« Beck gibt seiner Stimme einen wichtigen Unterton: »Thomas!« Er macht eine bedeutungsschwangere Pause.

»Ja und? Warum soll er nicht hierherfahren? Wahrscheinlich arbeitet er hier. Er fährt doch jeden Morgen ins Büro.«

»Mensch, Herkules! Sei doch nicht so naiv! Die Strecke von unserem Haus hierher schafft selbst ein fauler Mensch in maximal zehn Minuten zu Fuß. Hier ist nicht das Büro! Und es kommt noch viel besser!« Jetzt zuckt seine Schwanzspitze aufgeregt hin und her. »Thomas ist dann zu diesem Hauseingang, vor dem wir jetzt stehen. Er schließt die Tür auf und - wird von einer jungen Frau begrüßt! Sie fiel ihm sofort um den Hals! Im Hausflur, ich konnte es noch sehen!«

Ich schüttle den Kopf. »Ich verstehe nicht, was daran so aufregend sein soll. Diese Menschen fallen sich doch andauernd um den Hals. Wahrscheinlich steht man auf zwei Beinen doch nicht so doll, und sie müssen sich eben ab und zu mal bei anderen Menschen abstützen. Nina ist heute zum Beispiel auch diesem Tierarzt...«

»Ach Quatsch, du dämlicher Dackel!«, unterbricht mich Beck unwirsch. »Doch nicht so! Sie haben sich geküsst! Verstehst du? Thomas hat eine andere Frau geküsst!«

»Warum auch nicht? Habe ich jetzt schon häufiger gesehen. Carolin und Nina küssen sich auch ab und zu ins Gesicht, das ist doch einfach ein Ritual bei Menschen.«

»Mit Zunge?«

»Bitte?«

»Na, küssen sie sich mit Zunge?«

Ich bin verwirrt. Küssen mit Zunge?

»Also abschlecken? Das habe ich bei Menschen noch nie gesehen. Das machen die doch gar nicht. Was schade ist.«

»Siehst du!« Beck bricht in Triumphgeheul aus. »Sie machen es eben doch! Aber nicht immer. Sondern nur, wenn sie sich paaren wollen. Und genau das habe ich gesehen, ich bin nämlich extra mit in den Flur geschlichen, weil ich schon so etwas geahnt habe: Thomas hat diese Frau mit seiner Zunge abgeschleckt, und sie ihn auch. Also, erst küssten sie sich ganz normal, und dann steckten sie sich die Zunge in den Mund. Ein untrügliches Zeichen! Hier ist ein großer Betrug im Gange, und ich habe ihn aufgedeckt!«

Das ist nun eindeutig zu kompliziert für einen kleinen Dackel. Mir schwirren die Ohren, und zwar beide, und das liegt nicht an der Halskrause. Offenbar sieht man mir meine Verwirrtheit deutlich an, denn jetzt rückt Herr Beck noch ein Stück näher an mich heran und flüstert verschwörerisch.

»Carl-Leopold von Eschersbach, ich liefere dir Thomas direkt ans Messer. Er betrügt Carolin mit einer anderen Frau. Wie du bestimmt weißt, bilden Männer und Frauen gerne Paare miteinander. Und wenn sie das getan haben, dann bleiben sie zu zweit. Alles andere ist Betrug. Also sich mit einer Frau oder einem Mann paaren, die oder der einem nicht gehört, ist Betrug. Und sich so küssen, wie sich Thomas und diese andere Frau geküsst haben, ist meist der Anfang vom Betrug. Mein altes Herrchen, der Anwalt, der kannte sich da mächtig gut aus. Zu ihm kamen viele Männer und Frauen, die sich von ihrem Partner trennen wollten, weil der sie betrogen hat. Wir hatten dann einen Spezialisten, der hat Fotos von solchen Betrügern gemacht, damit man es auch beweisen konnte. Da sah man ganz häufig Menschen drauf, die sich so abgeschleckt haben. Wenn unsere Mandanten die Fotos gesehen haben, haben sie meistens erst geweint - und dann hat mein Herrchen ihnen geholfen, den Betrüger loszuwerden. Daher mein Plan: Wir zeigen Carolin, dass Thomas ein Betrüger ist - und dann schmeißen wir ihn raus. Genial, oder?«