Jetzt bin ich auch ganz aufgeregt und wedele wild mit meiner Rute hin und her.
»Und du meinst, das funktioniert?«
»Hundert Prozent. Eine todsichere Sache. Wir brauchen nur noch einen Beweis.«
Ich höre auf zu wedeln.
»Mist.«
»Was denn?«
»Der Beweis. Wie sollen wir das beweisen? Wir können schließlich kein Foto davon machen und es Carolin vorlegen. Und so dumm, sich vor ihren Augen zu küssen, wird Thomas wohl kaum sein.«
Beck nickt. »Stimmt, das ist noch ein Problem. Darauf muss ich noch ein bisschen herumdenken. Aber da fällt mir bestimmt noch etwas ein. Bis es so weit ist, schlage ich vor, die Observation zu intensivieren. Zur gegebenen Zeit werden wir dann ins Beweissicherungsverfahren eintreten.«
Sagte ich doch: Juristengeschwafel.
»Aber du weißt doch gar nicht, in welcher Wohnung Thomas mit dieser Frau ist. Und selbst wenn du es wüsstest - wie sollen wir da reinkommen?«
»Du bist vielleicht ein Bedenkenträger. Und in beiden Punkten liegst du falsch. Erstens: Die Wohnung ist im Erdgeschoss. Ich habe gesehen, wie die Frau ein Fenster geschlossen hat. Und das erleichtert uns auch schon zweitens: In eine Erdgeschosswohnung sollte doch selbst ein Hund mühelos reinkommen.«
Täusche ich mich, oder höre ich da einen spöttischen Unterton? Egal, ich beschließe, ihn zu ignorieren, denn auf keinen Fall werde ich mich dazu provozieren lassen, hier in ein fremdes Haus einzudringen, angeführt von einem Kater, der offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.
»Los, beeil dich, ich kann dich nicht länger tragen!«
Beck ächzt und wankt. Ich zögere noch. Bis zum Fenstersims ist es bestimmt ein guter Meter, wenn ich herunterfalle, werde ich sehr hart landen. Aber wir sind schon so weit gekommen, jetzt aufzugeben und umzudrehen wäre eine Schande. Tatsächlich haben wir uns mit dem Postboten unauffällig ins Haus gemogelt und sind durch die Hintertür in den Hof gelangt. Nun muss ich »nur« noch vom Treppenabgang der Hintertür zum Fenster der besagten Wohnung. Also schließe ich die Augen, hole tief Luft - und springe.
Gut, vielleicht war es auch eher ein halber Meter. Jedenfalls lande ich fast mühelos direkt vor dem großen Fenster. Uff. Zwei Sekunden später landet Beck neben mir. Irgendwie beneide ich Katzen um ihre Mobilität. Selbst ohne den Kragen würde ich nicht halb so weit wie Beck kommen. Neugierig schauen wir beide durch das Fenster. Tatsächlich. Da ist Thomas. Und diese Frau. Und sie machen genau das, was Thomas neulich als »voll in Fahrt sein« betitelt hatte. Im dunklen Schlafzimmer war das etwas schwierig zu erkennen, aber hier ist die Sachlage völlig klar: Wir werden gerade Zeugen eines Deckaktes.
Beck jubelt. »Ja, ich wusste es! Sex! Nennt mich die Superspürnase! Nennt mich Sherlock Beck! Von wegen zu alt - ich hab's einfach drauf.«
Er springt so wild rauf und runter, dass ich schon Angst habe, wir könnten a) zusammen runterfallen oder b) entdeckt werden. Wobei Letzteres eher unwahrscheinlich ist, denn Thomas und Begleitung sind doch sehr mit sich selbst beschäftigt.
»So, und das ist also Sex«, stelle ich trocken fest, nachdem Beck sich wieder beruhigt hat.
»Genau. Und die Menschen machen einen Riesenwirbel darum. Also, um wer mit wem und wann und wieso. Kannste glauben.«
Gut, das ist unter Dackelzüchtern ja nicht anders. Das Decken des Weibchens ist immer eine Riesengeschichte: Der richtige Rüde muss her, vielleicht noch die Genehmigung des Bundeszuchtwartes eingeholt werden, dann heißt es Warten auf die Hitze des Weibchens, schließlich auf seine Paarungsbereitschaft, und, und, und ... eine komplizierte Angelegenheit also. Und dann muss der Züchter natürlich die ganze Zeit hinterher sein, dass kein fremder Rüde den Deckakt vollzieht - siehe meine Mutter. Sonst war die ganze Mühe umsonst und aus der Traum vom Prämiumnachwuchs. Aber ich schweife ab.
Festzuhalten bleibt: Während der Wirbel unter Dackelzüchtern eher den handfesten Grund hat, den Zucht- und Eintragungsbestimmungen des Deutschen Teckelklubs Genüge zu tun, geht es den Menschen doch anscheinend noch um etwas ganz anderes. Um etwas, was gravierender ist als Ärger mit dem Stammbuchamt. Denn sonst wäre die Angelegenheit doch wohl nicht dazu geeignet, Paare, respektive Carolin und Thomas, auseinanderzubringen.
»Träumst du?«, will Beck wissen.
»Nein, ich frage mich nur, warum das den Menschen so wichtig ist. Also, die Frage, wer warum mit wem.«
»Wegen der Liebe natürlich!«
»Wegen der Liebe? Was hat die denn damit zu tun?«
»Mann, Herkules, bei dir muss man ja wirklich ganz von vorne anfangen. Also, wie Sex und Liebe zusammengehören, das ist nun eine ganz elementare Frage bei Menschenpaaren. Aber das kann ich dir nicht eben nebenbei erklären. Dafür brache ich viel Zeit. Und die haben wir gerade nicht. Denn wichtiger ist im Moment, wie wir Carolin beweisen können, dass Thomas sie betrügt. Alles andere kommt später.«
Na gut, wo der Kater Recht hat, hat er Recht. Da kommt mir eine Spitzenidee. »Okay, wenn wir kein Foto haben, dann müssen wir eben etwas anderes mitnehmen.«
Beck schaut mich überrascht an. »Etwas mitnehmen? Was denn?«
»Irgendetwas, was eindeutig ist. Woran Carolin gleich erkennt, was passiert ist. Etwas wie ...«, ich schaue mir die Szenerie noch mal gründlich an, »... genau - ich hab's!«
»Du mieses, mieses Schwein!«
Carolin ist völlig außer sich. Ich bin begeistert. Unser Plan funktioniert tatsächlich!
»Aber, Schatz, jetzt lass mich doch mal erklären ...«, stammelt Thomas. »Das ist ein ganz dummer Zufall, mehr nicht!«
»Ich finde in deiner Jackentasche einen schwarzen Spitzenslip, und das ist ein dummer Zufall? Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
Sie sollte sich lieber fragen, wie blöd Thomas ist. Es kam ihm nicht mal komisch vor, dass ich eben seine Jacke durch den Flur geschleppt habe. So ist das eben, wenn man Haustieren keine Beachtung schenkt. Es rächt sich bitterlich. Carolin hingegen hat sich sofort gewundert und nach mir geschaut. Tja, und dann den Zipfel des Höschens entdeckt.
»Glaub mir, Carolin, ich habe nicht die geringste Ahnung, wie der Slip da reinkommt. Nicht die geringste!«
Thomas klingt verzweifelt. Carolin erweicht er damit allerdings nicht.
»Ich habe deine Lügen satt, Thomas. Die ganze Zeit schon hatte ich das Gefühl, das irgendetwas nicht stimmt. Die seltsamen Anrufe, deine ganzen angeblichen Dienstreisen.«
Mit diesem Gefühl lag Carolin goldrichtig. Denn dass Thomas das Objekt seiner Begierde nicht erst seit gestern am Wickel hatte, wurde mir in dem Moment klar, als Herr Beck mit dem Höschen im Maul durch die auf Kipp stehende Terrassentür schlüpfte. Einmal kurz geschnuppert, und ich wusste, woher ich den Geruch kannte: aus dem Bett von Thomas und Carolin. Genau das war es, was ich damals nicht zuordnen konnte: der Geruch dieser Frau. Sie hatte ganz offensichtlich auch schon in Carolins Bett gelegen! Ist es zu fassen? Ohne mich schon länger mit der Materie befasst zu haben, bin ich mir ziemlich sicher, dass das eine weitere Steigerungsform der Kategorie »Betrug« ist. Ich hoffe sehr, dass sich Carolin nicht von Thomas erweichen lässt. Er hat es einfach verdient, hier im hohen Bogen rauszufliegen. Die Chancen dafür stehen exzellent. Carolins Stimme klingt nicht im Mindesten versöhnlich.
»Die Hotelbuchung damals auf Herrn und Frau Brodkamp - angeblich ein Versehen deiner Sekretärin. Der Geruch von einem fremden Parfüm, den ich mir angeblich einbilde. Vergiß es, jetzt ist endgültig Schluss! Ich will, dass du gehst. Und zwar sofort! Ich fahre jetzt zu Nina. Wenn ich wiederkomme, bist du weg.«