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Sie dreht sich um und geht Richtung Tür.

»Aber, aber - Carolin!« Thomas greift nach ihrem Arm. »Das kannst du doch nicht machen. Du kannst mich hier doch nicht einfach rausschmeißen. Ich dachte, wir lieben uns!«

Carolin blickt ihm direkt in die Augen und sagt dann mit sehr fester Stimme: »Ja, das dachte ich auch. Aber anscheinend habe ich mich getäuscht. Leb wohl, Thomas. Komm Herkules. Nina wartet schon auf uns.«

Carolin, ich bin so stolz auf dich. Klasse hat sie das gemacht. Ohne mit der Wimper zu zucken. Nahezu eiskalt. Von meinem Platz im Fußraum ihres Autos kann ich sie zwar nicht so gut sehen, aber bestimmt hat sie ein Strahlen auf dem Gesicht. Endlich ist sie den Betrüger los - wenn das kein Grund zum Feiern ist!

Ich jedenfalls bin glücklich. Vor meinem inneren Auge sehe ich Carolin und mich beim gemütlichen Fernsehabend auf dem Sofa rumlungern. Ob ich demnächst vielleicht auch im Bett schlafen darf? Immerhin ist es für einen Menschen doch viel zu groß. Ein kleines Kerlchen wie ich würde schon noch gut mit - hoppla! Der Wagen hält abrupt an, ich werde sehr unsanft tiefer in den Fußraum gedrückt. Aua, hatten wir einen Unfall? Ich hangle mich wieder nach oben. Dort wird mir schlagartig klar, warum Carolin so stark gebremst hat: Sie liegt mit dem Oberkörper auf dem Lenkrad, das Gesicht in den Armen vergraben und - weint. Nein, sie weint nicht nur, es schüttelt sie geradezu. Ihre Schultern beben, und ich höre ein Schluchzen, das mir richtig Angst macht. Was ist bloß los? Glücklich ist Carolin jedenfalls nicht. Stumm sitze ich neben ihr und überlege, was ich jetzt tun könnte. Wie tröstet man einen Menschen?

Langsam schiebe ich meine Schnauze unter ihren Armen durch und komme an ihr Gesicht. Es ist ganz warm und nass. Ich beginne, es abzuschlecken. Erst ganz vorsichtig, dann ein bisschen mehr. Hm, schön salzig. Erst reagiert Carolin gar nicht, was erstaunlich ist, denn normalerweise hat jeder Mensch eine genaue Meinung zu Hunden, die ihm das Gesicht abschlabbern, und oft ist es keine gute.

Schließlich richtet sich Carolin aber wieder auf, dreht sich zu mir und streicht mir über den Kopf. »Willst mich trösten, nicht? Das ist lieb. Ich bin wirklich froh, dass ich dich habe.«

Ich versuche, irgendeinen zustimmenden Laut von mir zu geben, was mir natürlich nicht gelingt. Also lecke ich ihr noch mal die Hände ab. Sie kichert ein bisschen. Wenigstens das!

»Schon gut, Süßer. Du wunderst dich wahrscheinlich, nicht wahr? Weißt gar nicht, was passiert ist, du Armer.«

Na ja, das würde ich so direkt nicht sagen, aber es ist vielleicht ganz gut, dass Carolin über die näheren Umstände der ganzen Angelegenheit nicht so genau informiert ist. Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Alles gut, keine Sorge, wird alles wieder gut.«

Redet sie jetzt mit mir? Oder mit sich selbst. Auf alle Fälle hat sie aufgehört zu weinen und fährt wieder weiter.

Carl-Leopold von Eschersbach, Hoffentlich war es wirklich eine gute Idee, sich in diesen Menschenkram einzumischen.

ACHT

»Herkules, alter Kumpel, ich wünschte, du könntest sprechen.« Daniel hebt mich auf seine Werkbank und schaut mich an. »Ich wüsste zu gerne, was da wirklich passiert ist zwischen Thomas und Carolin.« Er krault mich im Nacken. »Aber sie will es mir nicht sagen - und du kannst es mir nicht sagen.«

Wenn ich ehrlich bin: Selbst wenn ich reden könnte, würde ich Daniel nicht erzählen, was passiert ist. Denn mittlerweile wünschte ich, Beck und ich hätten nie die bescheuerte Idee mit dem Höschen gehabt. Als Carolin und ich von Nina kamen, war Thomas zwar schon weg. Aber ansonsten ist nichts von dem, was ich mir erhofft hatte, eingetreten. Wir sitzen nicht gemütlich auf dem Sofa und kuscheln zusammen. Ich schlafe auch nicht auf Thomas' Seite im Bett. Nein, seit Thomas weg ist, ist auch Carolin nicht wiederzuerkennen. Sie weint viel. Sie spricht nicht mehr mit mir. Sie spricht eigentlich mit niemandem. Und sie schläft kaum. Sie geht in der Wohnung hin und her und hört laut Musik. Manchmal so laut, dass es selbst den anderen Menschen zu viel wird - und das will bei denen schon etwas heißen. Aber wenn die Nachbarn klingeln und sich beschweren, guckt Carolin sie nur wortlos an und macht die Tür wieder zu. Zwar dreht sie die Musik dann etwas runter, sonst ändert sich aber nichts. Sie läuft weiter ziellos in der Wohnung umher.

Seit vier Tagen geht sie auch nicht mehr zur Arbeit in die Werkstatt. Hat mich morgens geschnappt und ist mit mir runter zu Daniel. Sie hat kaum etwas gesagt, nur gefragt, ob sich Daniel tagsüber um mich kümmern könne. Also verbringe ich momentan meine Tage mit ihm, abends bringt er mich dann wieder hoch. Dabei versucht er bei jeder Dackelübergabe, Carolin in ein Gespräch zu verstricken, doch das klappt leider nie.

»Echt, Herkules, ich mache mir Sorgen. Dass sie das mit Thomas so mitnimmt, ist doch furchtbar. Ich meine, du wirst mir sicher Recht geben: Der Typ war ein kompletter Idiot, dem man nicht hinterherweinen muss. Erst recht nicht, wenn man so eine Klassefrau wie Carolin ist.«

Wuff, genau! Beim Namen Thomas knurre ich ein bisschen, ansonsten wedele ich ob der Daniel'schen Analyse mit dem Schwanz.

Das einzig Nette in der momentanen Situation sind tatsächlich die Männergespräche zwischen Daniel und mir. Na ja, Gespräch ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, aber immerhin redet Daniel ziemlich viel mit mir. Ist wahrscheinlich kein Wunder, schließlich sind wir jetzt meistens allein. Aber ich erfahre dadurch doch eine ganze Menge über die Menschen im Allgemeinen und Carolin im Speziellen. Und natürlich über Daniel. Er kannte Carolin schon, bevor Thomas um die Ecke kam. Die beiden haben nämlich zusammen gelernt, wie man diese Holzdinger, also Geigen und Celli und so, baut. Irgendwo ganz weit weg war das. In einem Ort mit einem wundervollen Namen: Mittenwald. Mitten im Wald. Das muss einfach eine ganz tolle Stadt gewesen sein, wenn sie schon so heißt.

In Daniels und Carolins Geigenbauklasse gab es ganz viele Mädchen, aber keines war so wie Carolin. Daniel hat das gleich erkannt, und bald waren sie die besten Freunde. Sie haben sogar zusammen gewohnt. Viele Sachen, die jeder von ihnen zum ersten Mal im Leben gemacht hat, haben sie zusammen erlebt: der erste große Hausputz, der erste selbst gekochte Sonntagsbraten, das erste Weihnachten ohne Eltern. Nur die erste große Liebe, die hatte jeder für sich. Was auch den Vorteil hatte, sich dann gegenseitig trösten zu können.

Wenn Daniel erzählt, habe ich fast das Gefühl, als sei ich selbst ein Mensch. Zumindest bilde ich mir ein, dass ich langsam begreife, wie die Zweibeiner ticken. Sicher, Herr Beck hat mir auch schon so manches erklärt. Aber aus dem Munde des Studienobjektes selbst klingt das doch irgendwie ... glaubwürdiger. Bei Beck bin ich mir jedenfalls nicht immer ganz sicher, ob er sich nicht einen Teil einfach ausdenkt, um die Geschichte interessanter zu machen.

Daniel tätschelt mich noch einmal, dann setzt er mich wieder auf den Boden. »So, jetzt muss ich mal einen Schlag reinhauen, sonst versinken wir hier langsam, aber sicher im Chaos. Gleich kommt eine besondere Kundin. Für dich als Dackel wahrscheinlich nicht so leicht zu erkennen - aber als Mann kann ich dir versichern: eine Augenweide! Eine exzellente Musikerin noch dazu. Und ein Temperament - o là là! Nicht von schlechten Eltern, die Dame. Manchmal muss man sie ein bisschen bremsen, aber es ist immer schön, sie zu sehen.«

Er fängt an, eine Melodie zu summen und seine Werkbank aufzuräumen.

Das ist nun wirklich langweilig. Und wohlmöglich spielt diese exzellente Musikerin auch gleich Geige, das ist dann erst recht nichts für mich. Ich trotte Richtung Terrassentür. Vielleicht treffe ich im Garten Herrn Beck. So ein nettes Gespräch unter Haustieren, das hätte jetzt was.