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Aber leider von Beck keine Spur, weder hinter dem Haus noch im Vorgarten. Dafür mache ich eine andere interessante Entdeckung: Direkt auf dem Mäuerchen, das unseren Vorgarten umgibt, hat eine junge Frau Platz genommen. Sie sitzt da und macht irgendetwas mit ihrem Gesicht. Ich trabe näher heran, um besser sehen zu können. Sie beachtet mich gar nicht, so beschäftigt ist sie mit ... ja, mit was eigentlich? Oberflächlich betrachtet, würde ich sagen, sie malt sich an. Jedenfalls hält sie erst ein Schwämmchen in der Hand, auf dem helle Farbe aufgetragen ist, und dann schmiert sie sich diese Farbe auf die Nase. Einen Moment später nimmt sie einen Stift und streicht eine rote Paste auf ihren Mund. Hm, seltsam.

Die Frau packt ihre Malinstrumente wieder in ihre Tasche und steht auf. Dann beugt sie sich rasch nach vorne und schüttelt ihre Haare über den Kopf. Sieht ziemlich genau so aus, wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt und sich trockenschüttelt. Dass Menschen das auch ohne Wasser machen: ein weiterer Beweis, dass Zweibeiner völlig irrational handelnde Wesen sind. Ohne Sinn und Verstand. Sie wirft die - völlig trockenen Haare - zurück über die Schultern. Sie sind sehr lang, sehr schwarz und sehr lockig. Erinnert entfernt an den ungarischen Hirtenhund, der mal bei uns auf Schloss Eschersbach zu Besuch war. Da habe ich mich spontan gefragt, wie der überhaupt die Schafe sieht, auf die er aufpassen soll.

Jetzt sehe ich, dass die Frau neben der Tasche noch einen Koffer dabei hat. Eindeutig ein Geigenkasten, wie ich mittlerweile weiß. Dann ist das wohl die Musikerin, von der eben die Rede war. Ob sie nun für das menschliche Auge besonders hübsch ist, kann ich nicht einschätzen. Ist ja auch schwer zu sagen, schließlich hat sie sich ihr Gesicht so bemalt, dass es in seiner ursprünglichen Form nicht mehr zu erkennen ist. Die schönste Frau auf der Welt ist außerdem Carolin, und der Rest interessiert mich nicht.

Die Angemalte geht auf den Eingang zu, ich laufe durch den Garten wieder zurück zur Terrassentür und stehe schon neben Daniel, als der die Werkstatttüre öffnet.

»Daniel, mein Bester!«

Sie fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Ich gebe mir größte Mühe, zu erkennen, ob mit oder ohne Zunge. Habe schließlich dazugelernt. Leider kann ich es so recht nicht sehen, ihre bauschigen Locken verdecken beide Gesichter. Im eigenen Interesse hoffe ich aber, dass dies hier nur eine normale Begrüßung war, denn etwas anderes kann ich momentan nicht gebrauchen. Auch wenn ich an den jüngsten Entwicklungen nicht unschuldig bin. Bisher war die Werkstatt ein guter Rückzugsort vor menschlichen Gefühlswirrungen, und das soll doch bitte so bleiben.

»Wow, Aurora, du siehst wie immer fantastisch aus! Komm rein, ich habe schon auf dich gewartet. Carolin ist leider krank und diese Woche nicht in der Werkstatt.«

»Die Arme! Was hat sie denn?«

Täusche ich mich, oder klingt diese Anteilnahme irgendwie unecht? Ich würde einen größeren Fleischwurstzipfel darauf verwetten, dass diese Aurora froh ist, Carolin nicht zu sehen.

»Ach, sie ist ziemlich erkältet. Hat einen ganz dicken Kopf, und ich habe ihr geraten, sich mal richtig auszukurieren.«

»Ja, gute Idee.« Aurora hebt die Hand und macht eine drohende Geste mit dem Zeigefinger. »Nicht, dass sie dich noch ansteckt. Jetzt, wo ich dich so dringend brauche, mein Lieber.« Endlich bemerkt sich auch mich. »Seit wann hast du denn einen Hund?«

»Carolin hat ihn im letzten Monat aus dem Tierheim mitgebracht. Süßes Kerlchen, nicht? Ich betätige mich ein bisschen als Hundesitter, solange sie krank ist.«

»Nett von dir. Ich bin eigentlich kein Hundefreund, Katzen sind mir lieber. Aber der ist wirklich ganz niedlich.«

Grrr, Katzen sind ihr lieber? Vielleicht zwicke ich die Dame gleich mal in die Hacken, dann hat sie wenigstens einen guten Grund für ihre Katzenliebe.

»So, dann lass mich das Schmuckstück mal sehen, ich bin schon ganz gespannt.« Daniel hilft Aurora aus dem Mantel und führt sie in seinen Werkstattraum.

»Das kannst du auch sein, Daniel. Sie ist wirklich wunderschön.«

Sie reicht ihm den Geigenkasten, er legt ihn auf seine Werkbank und öffnet ihn vorsichtig, nimmt die Geige heraus und dreht sie hin und her. Dann pfeift er anerkennend.

»Alle Achtung! Cremoneser Schule, unverkennbar!«

»Ich war ganz aufgeregt, als der Vermittler bei mir anrief. Ich habe so lange nach einem solchen Instrument gesucht. Letzte Woche war das Gutachten fertig, und gestern ist sie per Express aus London gekommen. Meinst du, du bekommst sie wieder hin?«

»Na ja, in der Decke ist ein Riss, die Wölbungen sind verzogen - aber alles in allem scheint es nicht so dramatisch zu sein. Ich würde sagen: Es gibt Hoffnung.«

Aurora gibt einen Jauchzer von sich und fällt Daniel schon wieder um den Hals.

»Ich wusste es, du bist einfach der Beste! Danke, danke, danke!«

Mit einer gewissen Genugtuung bemerke ich, dass Daniel sie sanft von sich schiebt.

»Keine Ursache, ist schließlich mein Job.«

»Wann kannst du damit anfangen?«

Daniel schaut Richtung Kalender, der an der gegenüberliegenden Wand hängt.

»Hm, warte mal. Also diese Woche wird es nichts mehr, weil ich momentan ganz allein bin. Aber für nächste Woche hatte ich dich schon prophylaktisch eingeplant, da werde ich auf alle Fälle anfangen. Wie lange es dann dauert, kann ich noch nicht genau sagen. Kommt auch drauf an, was ich noch entdecke, wenn ich sie aufmache.«

Aurora nickt und legt eine Hand auf Daniels Arm. »Ruf mich einfach an, wenn du klarer siehst. Kommst du eigentlich zu meinem Konzert in der Musikhalle nächste Woche?«

»Ich weiß noch nicht, ob ich es hinbekomme. Hier ist so viel los ...«, er hebt entschuldigend die Hände.

»Dann hoffe ich einfach mal, dass die arme Carolin bald wieder auf dem Damm ist. Du würdest echt etwas verpassen. Wir könnten danach essen gehen, ein bisschen feiern. Die neue Violine muss doch begossen werden. Wie klingt das?«

»Mensch, Aurora, das klingt unglaublich gut. Ich werde sehen, was ich machen kann. So, jetzt muss ich aber wieder.« Mit freundlicher, aber unmissverständlicher Geste führt er Aurora zum Ausgang und hilft ihr wieder in den Mantel.

»Also sehen wir uns nächste Woche, mein Lieber! Ich zähle auf dich, gib dir bitte Mühe!«

Daniel lächelt. »Mache ich. Und deswegen werde ich gleich mal wieder fleißig sein.«

Er öffnet ihr die Tür; bevor sie rausgeht, haucht sie ihm noch ein Küsschen auf die Wange. Ohne Zunge.

Carolin macht uns die Tür auf und sieht irgendwie seltsam aus. Sie riecht auch seltsam. Ein Geruch, den ich schon das ein oder andere Mal beim alten von Eschersbach geschnuppert habe.

»Nabend ihr beiden, kommt rein.«

»Alles in Ordnung bei dir?«, will Daniel wissen.

»Sicher, sicher, alles in Ordnung.«

Kaum zu glauben: Auch Carolins Stimme klingt seltsam. So schleppend und verwaschen. Ich fühle mich mit einem Schlag sehr unwohl.

Daniel geht hinter mir in die Wohnung, ich laufe zu meinem Körbchen, er setzt sich auf das Sofa im Wohnzimmer.

»Aurora Herwig war heute da«, berichtet er dann.

»Oooh - die schöne Geigerin! Wie geht es ihr denn?«

»Es geht ihr ausgezeichnet - sie hat in London einen alten italienischen Meister recht günstig bekommen. Cremona, glaube ich. Habe allerdings das Gutachten noch nicht gelesen. Aurora war jedenfalls total happy.«

Carolin fängt an, zu kichern. »Na, das ist doch toll, dass die Aurora so happy ist. Dann ist ja alles bestens.«

»Sag mal, Carolin, ist wirklich alles in Ordnung? Du wirkst etwas angeschlagen. Ich mache mir echt Sorgen um dich, davon abgesehen, vermisse ich dich natürlich sehr in der Werkstatt.«