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Carolin setzt sich neben Daniel und legt ihm eine Hand auf die Schulter. »Brauchste nicht, ehrlich. Kommt alles wieder hin. Nächste Woche bin ich bestimmt wieder die Alte, ich muss mich nur ein bisschen erholen.«

Daniel zögert, dann steht er auf. »Na gut, dann fahre ich nach Hause. Aber versprich mir, mich anzurufen, wenn es dir nicht gutgeht.«

»Ja, ja, machich machich. Nu fahr mal. Bin auch müde und gehe gleich ins Bett.«

»Also, gute Nacht!«

Daniel will sich zu Carolin herunterbeugen, aber sie weicht ihm aus.

»Jaja, gute Nacht.«

Daniel geht, ich bleibe allein mit Carolin zurück. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber aus dem Unwohlsein wird langsam Angst. Irgendetwas stimmt hier nicht. Am liebsten würde ich Daniel hinterherlaufen und ihn zurückholen, aber wie soll ich das anstellen? Mist, irgendetwas sagt mir, dass Carolin momentan nicht allein sein sollte. Also, »allein« im Sinne von »ohne andere Menschen«. Ich will meine Gesellschaft nicht unterschätzen, aber hier braucht es mehr als einen kleinen Hund. Definitiv.

Eine Weile sitzt Carolin noch auf dem Sofa, dann steht sie auf, geht zur Anlage und macht wieder Musik an. Es ist zum verrückt werden: Diese Musik hört sie beinahe schon eine Woche, ich könnte mir die Ohren zuknoten. Ich laufe zu ihr und zerre ein bisschen an ihrer Jeans. Hey, jetzt beachte mich mal, ich bin schließlich auch noch da! Aber sie guckt mich nur kurz mit glasigen Augen an und geht dann in die Küche. Ich laufe hinterher. Zwar hat mich Daniel schon gefüttert, aber gegen ein Stück Versöhnungswurst hätte ich jetzt nichts einzuwenden. Wäre doch schön, wenn Carolin auch mal an mich denken würde, langsam bin ich nämlich etwas beleidigt.

Tatsächlich öffnet sie den Kühlschrank - aber nur, um eine Flasche herauszuholen. Sie nimmt ein Glas und gießt etwas ein. Aha, daher kommt der Geruch! Offenbar hat sie schon mehr von dem Zeug getrunken. Als sie wieder Richtung Wohnzimmer geht, tritt sie mir fast auf die Pfoten. Autsch! Ich belle laut auf. So geht das hier aber nicht! Ich beschließe, mich ins Körbchen zu verziehen.

Eine ganze Weile später höre ich ein Rumpeln. Neugierig springe ich auf und laufe Richtung Geräusch. Im Wohnzimmer angekommen, sehe ich, wie sich Carolin gerade aufrappelt. Auweia, ist sie etwa gestürzt? Ich trabe zu ihr und lecke ihre Hände ab. So böse bin ich ihr dann doch wieder nicht.

»Hui, danke der Nachfrage, Herkules. Allesinordnung, allesinordnung. Wollte nur was von dem Bord da oben holen, aber der Stuhl war so wackelig.«

Ich blicke nach oben. Auf besagtem Bord stehen noch mehr Flaschen. Carolin steht auf, stellt den Stuhl wieder hin und klettert noch mal drauf. Diesmal klappt es, und sie holt eine der Flaschen herunter. Die Flüssigkeit hat eine schöne goldbraune Farbe, aber als Carolin die Flasche öffnet, schwappt ein stechender Geruch zu mir herüber. Urks, das ist doch wohl eher zur äußerlichen Anwendung bestimmt - das will Carolin doch wohl nicht trinken.

Sie will. Sie gießt die Flüssigkeit in ihr Glas und nimmt entschlossen einen sehr großen Schluck.

»Na, auch mal probieren, Herkules?«

Sie hält das Glas in meine Richtung, ich ziehe den Schwanz ein und jaule. Pfui Teufel!

»Na, dann eben nicht. Prost!« Sie hebt das Glas noch mal in meine Richtung, dabei schwappt ein Teil auf den Teppich. Carolin kichert.

»Endlich kriegt der Scheiß-Hochflorflausch mal ein interessantes Muster. Cognac auf Creme, das isses doch. Ich mochte den ja nie, aber Thomas stand ja auf diesen Schöner-Wohnen-Mist. Was meinst du, Herkules, soll ich ihn auf die passende Größe schneiden und in dein Körbchen legen? Ist schön kuschelig.« Sie grinst und gießt sich noch ein Glas ein.

Das kann sie doch nicht ernst meinen, das ist doch bestimmt wieder menschliche Ironie. Auch wenn auf dem Teppich nun ein hellbrauner Fleck ist, muss man ihn doch nicht gleich zur Körbchenmatte verarbeiten. Ich hätte zwar nichts dagegen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das wirklich macht. Tatsächlich geht sie zum Schrank, holt eine Schere heraus und kniet sich auf den Teppich.

»So, wolln mal sehen, ob man aus dem Teil noch etwas Sinnvolles machen kann.« Sie hebt einen Rand hoch, nimmt die Schere und schneidet hinein. »Huch, ganz schön schwer. Aber so leicht gebe ich nicht auf, ich nicht!«

Mit Ächzen und Stöhnen macht sie sich weiter mit der Schere an dem Teil zu schaffen - ich staune wirklich Bauklötze. Bald hat der Teppich seine vormals runde Form eingebüßt und sieht aus, als hätte ein sehr großes, sehr wütendes Tier ein paar Mal abgebissen. Carolin macht eine kleine Pause und schenkt sich noch ein Glas ein. Die Flasche, die eben noch ziemlich voll war, ist jetzt fast leer. Carolin schaut mich an.

»Du Süßer, du bleibst bei mir, oder?«, flüstert sie.

Bilde ich mir jedenfalls ein, denn mittlerweile spricht Carolin so undeutlich, dass es kaum noch zu verstehen ist. Ich lege meinen Kopf auf ihren Schoß. Natürlich bleibe ich bei dir, Carolin! Selbst wenn meine empfindliche Dackelnase gerade ganz schön unter deinem penetranten Geruch leidet. Ich hoffe, der geht wieder weg.

Fast mechanisch krault mich Carolin im Nacken. Dann murmelt sie »muss mal Nachschub holen«, will aufstehen -und fällt ziemlich unvermittelt um. Himmel, was hat sie denn jetzt? Sie versucht sich aufzurappeln, aber das will nicht recht klappen.

»Mir iss garnichgut«, murmelt sie, beginnt kurz darauf zu würgen. Ihr ganzer Körper krümmt sich, und es sieht aus, als hätte sie Schmerzen.

Ich bekomme auf einmal furchtbare Angst. Was mache ich bloß? Was ist hier los?

Carolin würgt immer mehr, und ich sehe, dass sie dabei auf den hellen Teppich - oder das, was von ihm übrig geblieben ist - spuckt. Jetzt ist mir alles klar: Carolin hat sich vergiftet! Wahrscheinlich mit dem Zeug aus dieser Flasche! Das letzte Mal, dass ich gesehen habe, wie sich jemand übergeben hat, handelte es sich um Mamas Schwester Luise, und der hatte ein böser Nachbar etwas ins Futter gemischt. Wir brauchen sofort einen Arzt, sonst ist das Schlimmste zu befürchten!

Ich renne aufgeregt hin und her, schließlich wieder zum Kopf von Carolin, die mittlerweile regungslos neben ihrem Erbrochenen liegt. Ich belle laut, damit sie wieder aufwacht - aber sie rührt sich nicht. Was soll ich bloß machen? Carolin braucht Hilfe, und zwar sofort.

Vielleicht kommt wieder ein Nachbar, wenn ich nur mehr Lärm mache? Über die Musik haben die sich schließlich auch beschwert. Ich belle und knurre, springe auf und ab. Drei Minuten, fünf Minuten, bestimmt zehn Minuten lang. Aber nichts passiert. Erschöpft mache ich eine Pause. Verdammt, ist denn ausgerechnet heute niemand außer uns im Haus? Nicht mal Beck?

Carolin ist immer noch bewusstlos und langsam ganz bleich im Gesicht. Ich robbe an sie heran und horche angestrengt hin. Gott sei Dank, sie atmet noch. Ich lege mich an ihr Kopfende, die Schnauze auf meine Vorderläufe und lausche ihrem Atem. Manchmal stockt der kurz, und Carolin gibt ein Stöhnen von sich. Was für eine furchtbare Situation. Und ich habe uns da reinmanövriert. Es ist nämlich alles meine Schuld - hätte ich Thomas nicht die Falle gestellt, dann wäre er noch hier, und Carolin hätte sich nicht vergiftet.

Ich nehme noch einmal einen Anlauf, richtig Krach zu machen. Diesmal springe ich direkt vor der Balkontür auf und ab, während ich belle. Die steht auf Kipp, vielleicht hört mich ja draußen jemand? Ich bin schließlich so beschäftigt mit Herumspringen und Bellen, dass ich fast überhöre, als das Telefon klingelt. Ruft einer der Nachbarn vielleicht an? O nein, und ich weiß doch bis heute nicht, wie Menschen das so genau machen mit dem Telefonieren! Aber vielleicht ist das meine einzige Chance, jemanden zu alarmieren. Ich muss es also versuchen, und zwar schnell, bevor es nicht mehr klingelt. So viel habe ich vom Telefonieren immerhin schon verstanden.