Das Telefon steht auf einem Tischchen im Wohnzimmer. Carolin nimmt es beim Telefonieren immer in die Hand, also renne ich hinüber und versuche, es mit der Schnauze hochzuheben. Aber das ist gar nicht so einfach, das Telefondings ist doch ziemlich groß. Beim ersten Mal erwische ich es nicht richtig, beim zweiten Mal fällt es mir herunter. Grrr, heute klappt aber auch gar nichts. Hoffentlich habe ich es jetzt nicht kaputt gemacht. Vorsichtig beschnüffele ich das schwarze Teil, das jetzt auf dem Boden vor mir liegt. Ob man mit ihm noch telefonieren kann? Und falls ja, wie? Als ich es genauer beäuge, höre ich, dass aus ihm eine Stimme kommt, die sehr weit weg klingt. Ich belle aufgeregt! Wenn ich die Stimme hören kann, kann die Stimme vielleicht auch mich hören. Mir ist zwar nicht ganz klar, ob die Stimme auch weiß, wo ich gerade bin, aber egal, ich gebe alles: belle, knurre, fiepe, jaule, hechle - immer schön in Richtung Telefon. Ab und zu horche ich noch mal nach der Stimme: Sie scheint noch da zu sein. Leider verstehe ich nicht, was sie sagt, bilde mir aber ein, einmal meinen Namen gehört zu haben. Ob das Telefon tatsächlich weiß, wie ich heiße?
Dann auf einmal ist die Stimme weg, stattdessen nur noch ein Tuten. Frustriert knurre ich das Dings an. Wahrscheinlich hat das ganze Gebelle nichts gebracht. Ich trotte zurück zu Carolin und lege mich neben sie. Wenn es ihr schon so schlechtgeht, soll sie wenigstens nicht allein da liegen.
In der Wohnung ist es ganz still. Zum ersten Mal seit längerer Zeit wäre ich jetzt sehr gerne wieder auf Schloss Eschersbach.
NEUN
War ich etwa eingeschlafen? Ich weiß es nicht so genau. Jetzt jedenfalls bin ich hellwach, denn endlich, endlich passiert etwas. Erst klingelt es an der Haustür, nach einer Weile dreht sich ein Schlüssel im Schloss, und die Tür wird geöffnet. »Carolin, bist du da?«
Bei der Mutter aller Fleischwürste - es ist Daniel! Sofort renne ich zu ihm, springe an ihm hoch und würde ihn am liebsten abschlecken.
»Ho, hoppla, Herkules! Das ist ja eine nette Begrüßung. Wo ist denn dein Frauchen? Wir machen uns ein bisschen Sorgen um sie.«
Wir? Nun erst bemerke ich, dass auch Nina im Hausflur steht.
»Daniel, ich hab ein ganz schlechtes Gefühl. Ich meine, das ist doch nicht normal, dass Herkules ans Telefon geht und man Carolin nicht mehr erreicht. Und wie das hier riecht - total ekelhaft!«
»Okay, dann sehen wir mal nach.«
Er kommt in die Wohnung, ich renne vor zum Wohnzimmer. Los, folgt mir! Neben Carolin halte ich an und belle laut. »O Gott, Carolin!«
Schon ist Daniel hinter mir und kniet sich neben Carolin. Auch Nina kommt ins Wohnzimmer. Als sie Carolin dort liegen sieht, schlägt sie die Hände vor das Gesicht. »O nein, was ist bloß passiert!«
Daniel nimmt Carolins Hand.»Also, sie hat zumindest einen Puls. Carolin!«, er rüttelt an ihrer Schulter, »Carolin! Wach auf.«
Sie bewegt sich nicht. Er dreht sie zur Seite, weg von dem Erbrochenen, und wischt ihr Gesicht mit einem Taschentuch ab, das er aus der Hosentasche zieht.
»Das gefällt mir gar nicht, ich rufe jetzt einen Krankenwagen.«
Er steht auf und geht rüber zum Telefon, das immer noch dort liegt, wo ich es habe fallen lassen. Er spricht kurz mit jemandem, dann kommt er zu uns zurück. Auch Nina setzt sich neben uns auf den Fußboden.
»Was hat das alles zu bedeuten? Carolin bewusstlos, der Teppich da drüben in Stücke geschnitten. Wie lange liegt sie hier wohl schon?«
»Na ja, ich bin vor zwei Stunden nach Hause gefahren. Vorher habe ich Herkules bei ihr abgegeben. Da machte sie offen gestanden schon einen alkoholisierten Eindruck - aber okay, das kann ja mal sein. Gerade bei Liebeskummer. Sie war allerdings auch schon vier Tage nicht mehr in der Werkstatt, weil sie so down war. Hatte mir aber versprochen, nächste Woche wieder zu kommen. Mist, ich hätte mehr nachhaken sollen.«
»Was meinst du, welche Vorwürfe ich mir mache. Ich wusste, dass es ihr wegen Thomas schlechtgeht. Aber sie wollte nicht drüber reden, und dann habe ich gedacht, vielleicht braucht sie auch erst mal ihre Ruhe. Aber als ich eben hier anrief und nur den bellenden Herkules am Rohr hatte ...« Sie schweigt und greift nach Carolins Hand.
»Ja, gut, dass du mich gleich angerufen hast.«
»Und gut, dass du einen Schlüssel hast! Herkules hätte uns wohl kaum die Türe öffnen können. Wobei«, sie langt zu mir herüber und zieht mich auf ihren Schoß, »du bist ein ganz schlauer Dackel. Hast gemerkt, dass die Carolin Hilfe braucht, nicht?«
»Genau, Herkules«, pflichtet ihr Daniel bei, »wenn du nicht ans Telefon gegangen und so ein Theater gemacht hättest, wären wir bestimmt nicht vorbeigekommen.«
»Wie hast du es denn geschafft, das Telefon von der Station zu nehmen? Das stelle ich mir gar nicht so leicht für ein Kerlchen mit so kurzen Beinen vor. Schade, dass du nicht sprechen kannst.«
Wie Recht sie hat, anderenfalls könnte ich sie gleich mal daraufhinweisen, dass meine Beine für einen Dackel mitnichten kurz sind, sondern Idealmaß haben.
Es klingelt wieder an der Tür, und Daniel lässt drei Männer in die Wohnung. Die drei sehen aus, als hätten sie sich verkleidet: Sie tragen Jacken, die stark an die Müllabfuhr erinnern - nur dass ich mir ziemlich sicher bin, es hier nicht mit Müllmännern zu tun zu haben. Der eine geht sofort zu Carolin. Bevor er sich zu ihr kniet, dreht er sich kurz zu Daniel.
»Wie heißt sie?«
»Carolin Neumann.«
»Ihre Frau?«
»Nein, eine gute Freundin.«
Der Mann macht jetzt im Wesentlichen genau das Gleiche wie Daniel - er rüttelt erst mal an ihr.
»Frau Neumann, können Sie mich hören?«
Natürlich nicht! So weit waren wir auch schon. Er nimmt ihre Hand und tastet an ihrem Handgelenk herum, genau wie Daniel. Herrje, warum haben wir den denn angerufen? Dem fällt ja so gar nichts Neues ein. Ich versuche, möglichst nah an ihn heranzukommen. Der soll ruhig wissen, dass er beobachtet wird. Jetzt allerdings macht er etwas, auf das wir noch nicht gekommen sind: Er öffnet ihre Augen mit seinen Fingern und schaut hinein, dann holt er etwas aus seiner Jackentasche, was zunächst wie ein Stift aussieht.
»Hm, Puls ist da, aber schwach. Ziemlich weite Pupillen.«
Er öffnet noch mal eines ihrer Augen und zielt mit dem Stift in die Richtung. Aha, eine Taschenlampe! Seltsam, was macht der da?
»Hm, sehr langsame Reaktion. Erbrochen hat sie sich auch. Wissen Sie, was Ihre Freundin getrunken hat?«
Daniel schüttelt den Kopf. Ha, aber ich! Ich sause los und finde unter den rausgesäbelten Teppichstücken tatsächlich noch die leere Flasche, schnappe sie mir und apportiere sie fachgerecht. Der Mann mit der Taschenlampe pfeift anerkennend.
»Na, wenn das mal nicht ein Hund ist, der mitdenkt! Sehr gut! Dann lass mal sehen: Hennessy VS.O.P. - zumindest hat die Dame einen guten Geschmack. Ob man deswegen gleich eine ganze Flasche trinken muss, ist natürlich eine andere Frage. Mal ganz offen: Neigt sie dazu?«
Jetzt mischt sich Nina ein.
»Natürlich nicht! Was glauben Sie denn! Frau Neumann trinkt normalerweise höchstens mal abends ein Glas Wein. Aber es geht ihr momentan nicht gut, sie hat gerade ihren Freund rausgeschmissen, das miese Schwein!«
»Nina, bitte«, geht Daniel dazwischen, »das tut hier doch gar nichts zur Sache.«
Herr Müllmannjacke lächelt und schüttelt den Kopf. »Nein, ist völlig in Ordnung. Und tut übrigens sehr wohl etwas zur Sache - halten Sie es für möglich, dass Ihre Freundin noch etwas anderes als Alkohol genommen hat? Tabletten vielleicht?«
Daniel und Nina zucken mit den Schultern.
»Ich glaube nicht«, sagt Daniel schließlich, »aber ich drehe mal eine kurze Runde durch die Wohnung. Vielleicht finde ich etwas.«
Kurz darauf ist er wieder zurück und schüttelt den Kopf. »Nichts gefunden. Aber das halte ich eigentlich auch für ausgeschlossen.«