Wir lungern weitere ereignislose zehn Minuten im Park herum. Er ist zwar sehr groß, aber auch ziemlich rund, so dass man von der Mitte aus einen sehr guten Überblick hat. Man sieht: nichts. Kein einziger Mensch ist unterwegs. Langsam beginne ich trotz meines dichten Fells durchzuweichen. Vielleicht hat Herr Beck Recht, und wir sollten wieder nach Hause traben. Gerade will ich Beck meine Niederlage eingestehen, als sich doch noch ein unerschrockener Zweibeiner blicken lässt. Und diesmal ist es eindeutig ein Mann - er hat keinen Schirm in der Hand, sondern joggt ziemlich locker von der rechten Ecke des Parks direkt auf uns zu.
»Nanu, will der zu uns?«, wundere ich mich.
»Scheint so zu sein. Wahrscheinlich will er abkürzen. Ist ja kein Vergnügen, bei dem Wetter durch die Gegend zu rennen«, stichelt Beck. »So, gleich ist er da. Du wolltest doch improvisieren. Dazu hast du jetzt reichlich Gelegenheit, ich habe nämlich überhaupt keinen Plan, wie wir uns den Kerl genauer anschauen können. Und wir wollen doch nicht einfach irgendwen für Carolin aufgabeln, oder?«
Also echt, der nervt. Warum ist er dann überhaupt mitgekommen, wenn er sowieso alles doof findet? Als Jagdhund wäre Beck wahrscheinlich schon längst wegen Defätismus von seinem Herrchen erschossen worden. Andererseits ist der Jogger wirklich gleich da. Und ja, ich habe noch keinen tollen Plan. Fieberhaft grüble ich nach.
Der Jogger hat uns schon fast passiert, da schmeiße ich mich kurzentschlossen und mit einem herzzerreißenden Jaulen direkt vor seine Füße. Es sieht mit Sicherheit so aus, als hätte ich furchtbare Schmerzen und brauchte dringend Hilfe. Wolln doch mal sehen, ob der Herr Tierfreund ist und sich um mich kümmert. Das mit dem Prinzen können wir dann immer noch herausfinden.
Zwei Sekunden später bin ich mir nicht mehr so sicher, dass meine Idee so gut war: Der Mann versucht, mir auszuweichen, stolpert und fällt direkt vor Herrn Beck auf die Nase. Er bleibt kurz liegen, dann rappelt er sich auf, schüttelt sich und reibt sich den rechten Arm. Als er wieder steht, geht er auf mich zu, guckt mich kurz an - und brüllt los: »Pass gefälligst auf, wo du hinspringst, du blöde Scheißtöle!«
Okay, ganz offenkundig kein Gentleman im engeren Sinne. Er holt mit dem rechten Bein zu einem Tritt aus, aber bevor er mir den verpassen kann, rennen Beck und ich auch schon los und verstecken uns hinter dem nächsten Busch. Auweia! Was für eine Pleite! Beck sagt erst einmal nichts, bis wir beide wieder Luft geholt haben, dann schüttelt er langsam den Kopf.
»Wirklich, was war das denn für eine Aktion? Das konnte ja nur in die Hose gehen.«
»Ich habe wenigstens etwas gemacht. Du stänkerst hier nur die ganze Zeit rum!«, verteidige ich meine unkonventionelle Vorgehensweise bei der Herrchensuche.
»Ha! Operative Hektik war das, nichts weiter! Ich frage mich, was du gemacht hättest, wenn dich der Typ eben gleich einkassiert hätte. Oder wenn er auf dir gelandet wäre. Dann wärst du jetzt aber platt wie ein Pfannkuchen. Mir ist das zu blöd, ich gehe jetzt.«
Ich lasse die Ohren hängen. Irgendwie ist an dem, was Beck sagt, schon was dran. Dabei hatte ich mir die ganze Sache gar nicht so schwer vorgestellt. Als Nina von der Prinzensuche im Park erzählte, klang es ganz einfach. Mist.
Offensichtlich sehe ich sehr niedergeschlagen aus, denn Beck stupst mich in die Seite und schlägt geradezu tröstende Töne an.
»Nu, nu - die Welt geht doch nicht unter, nur weil es am ersten Tag nicht klappt. Du unterschätzt auch die Wirkung von Regen auf Menschen. Die meisten mögen ihn eben nicht besonders und bleiben lieber zu Hause. Sieh sie dir doch an - von Bewegungsdrang keine Spur. Von den paar Joggern mal abgesehen, hält ein Mensch es mühelos mehrere Tage auf einem Sofa aus. Selbst mir als Kater wäre das zu langweilig! Aber du wirst sehen: Sobald die Sonne scheint, ist es hier im Park wieder knallvoll. Dann schlendern wir unauffällig von Bank zu Bank und suchen uns die besten Kandidaten aus. Und dann kannst du noch mal mit deiner >Ich bin ein armer, kranker Dackel-Nummer< ankommen. Die war im Grunde gar nicht so schlecht.«
Ich blicke Herrn Beck erstaunt an. »Ehrlich? Du fandst den Plan nicht so schlecht?«
»Nein. Annehmbar. Jedenfalls für einen, der von einem Hund ausgeheckt wurde.«
Die Luft scheint wieder rein zu sein, also verlassen wir unser Versteck und trotten Richtung Heimat. Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen, und tatsächlich lassen sich nun ein paar Menschen mehr blicken. Gut, immer noch nicht umwerfend viele, aber es ist auch egal, denn momentan habe ich sowieso keine Lust mehr auf Kontaktanbahnung. Mit gesenktem Kopf schleiche ich über den Schotterweg - und falle fast über Herrn Beck, der sich direkt vor mir postiert hat.
»Hey, Kleiner, stopp mal! Da vorne sehe ich genau die Situation, auf die wir die ganze Zeit gewartet haben.«
Erstaunt blicke ich hoch. Tatsächlich: Auf der nächsten Parkbank sitzt ein Mann. Obwohl die Bank bestimmt noch ziemlich nass ist, hat er es sich dort gemütlich gemacht und bereitet offensichtlich ein kleines Picknick vor, eine Flasche hat er jedenfalls schon neben sich gestellt und gerade jetzt kramt er in einer mitgebrachten Tüte herum. Ich trabe näher an die Bank heran, um den Mann besser betrachten zu können. Wie ein Prinz sieht er nicht gerade aus. Irgendwie ein bisschen zerknittert. Seine Haare sind grau und etwas länger, wirr fallen ihm einzelne Strähnen immer wieder ins Gesicht. Außerdem hat er einen Bart, der fast ein wenig wie Rauhaardackelfell aussieht.
»Hm, meinst du, das ist der Richtige? Da habe ich doch arge Zweifel.«
Aber Beck lässt das nicht gelten. »Und wenn schon! Es ist zumindest eine Gelegenheit - sollten wir die nicht nutzen? Wenn's nicht funktioniert, sammeln wir wenigstens Erfahrung. Dann sind wir gut vorbereitet auf die wirklichen Top-Kandidaten.«
So habe ich es noch gar nicht gesehen. Katzen sind eben echte Strategen. Und Beck hat sich noch mehr Gedanken gemacht.
»Also, wir schleichen zu dem Typen rüber. Dann kommt deine Kranker-Hund-Nummer. Gib ruhig ein bisschen Gas, so mit rumwälzen, jaulen, das volle Programm. Wenn er sich um dich kümmert, versuche ich ihm begreiflich zu machen, dass er mit dir zu unserem Haus gehen soll.«
»Und wie willst du das machen?«
»So wie du. Improvisieren!«
Bei der Bank angekommen, suche ich ein strategisch gutes Plätzchen für meine Showeinlage. Noch hat der Mann mich nicht bemerkt, zu beschäftigt ist er mit seiner Tüte. Ab und zu streicht er sich seine halblangen grauen Haare aus dem Gesicht und steckt sie hinter die Ohren. Ich lege mich links neben seine Füße und drehe mich auf den Rücken. Dann fange ich an, laut zu winseln, mit meinen Beinen zu strampeln und mich hin und her zu winden. Ein Bild des Jammers und des Elends - wer darauf nicht reagiert, hat ein Herz aus Stein und verdient unsere Caro nicht!
Tatsächlich lässt der Mann von seiner Tüte ab und beugt sich zu mir herunter.
»Sag mal, was bist du denn für einer? Und was machst du da eigentlich?«
Ein strenger Geruch weht zu mir herüber, nach Schweiß und ... und ... ja, genau: und nach dem Zeug, das Carolin in dieser furchtbaren Nacht getrunken hat. Ungute Erinnerungen steigen in mir hoch, und ich würde die ganze Veranstaltung hier liebend gerne abblasen. Aber aus den Augenwinkeln kann ich genau sehen, dass Herr Beck nur einen Meter weiter rechts von uns sitzt und mich mit Argusaugen beobachtet. Scheint ein Riesenspaß für ihn zu sein. Wenn der meint, dass ich jetzt aufgebe, hat er sich geschnitten. Das ziehe ich durch, wuff!
Ich zappele noch ein bisschen hin und her und versuche, noch mehr Dramatik in die Angelegenheit zu bringen, indem ich die Augen verdrehe und mit der Schnauze zucke.