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Als Tarr die Nursery absolviert hatte, war die Malaya-Krise aus­gebrochen, und er wurde erneut in den Waffenhandel einge­schleust. So ziemlich die ersten, mit denen er zu tun bekam, waren seine alten belgischen Freunde. Sie waren von ihren Waffen­lieferungen an die Kommunisten zu sehr in Anspruch genommen, um sich Gedanken darüber zu machen, wo er gesteckt hatte, und sie waren knapp an Leuten. Tarr übernahm ein paar Liefe­rungen für sie, um ihre Verträge platzen zu lassen, dann setzte er sie eines Nachts unter Alkohol, erschoß vier oder fünf von ihnen, einschließlich Rose, und steckte ihren Kahn in Brand. Er trieb sich in Malaya herum und erledigte noch einige Aufträge, dann wurde er nach Brixton zurückbeordert und für Sonder­einsätze in Kenia umgeschult: oder weniger vornehm ausgedrückt: für die Mau-Mau-Jagd gegen Kopfprämie.

Nach Kenia hatte Smiley ihn mehr oder weniger aus den Augen verloren, aber einige Vorfälle blieben ihm in Erinnerung, weil sie sich zu Skandalen hätten auswachsen können und Control in Kenntnis gesetzt werden mußte. Im Jahr einundsechzig war Tarr nach Brasilien geschickt worden, um einem Rüstungsminister, dem das Wasser bis zum Hals stand, ein massives Bestechungsangebot zu unterbreiten. Tarr ging zu brutal vor, der Minister verlor die Nerven und informierte die Presse. Tarr hatte einen falschen holländischen Paß, und niemand konnte sich einen Vers auf die Geschichte machen, ausgenommen der niederländische Geheim­dienst, der wütend war. Ein Jahr darauf erpreßte - oder verheizte, wie die Skalpjäger zu sagen pflegten - Tarr aufgrund eines von Bill Haydon gelieferten heißen Tips einen polnischen Diplomaten in Spanien, der sein Herz an eine Tänzerin verloren hatte. Die erste Lieferung war gut, Tarr erntete eine Belobigung und eine Prämie. Aber als er sich eine zweite Rate holen wollte, schrieb der Pole ein Geständnis an seinen Botschafter und stürzte sich, mit oder ohne Ermutigung, aus dem Fenster.

In Brixton bezeichneten sie ihn als einen Unfall-Magneten. Nach dem Ausdruck seines unreifen aber alternden Gesichts zu schließen, bezeichnete ihn Guillam als etwas weit Schlimmeres, während sie im Halbkreis um das kümmerliche Feuer saßen. »Tja, dann will ich jetzt mal loslegen«, sagte Tarr unbeschwert und nahm gelöst auf dem freien Stuhl Platz. Hinter ihm stießen graue Speere durch die Fensterläden, es wurde Tag.

Ricki Tarr berichtet, was eine russische Handelsdelegation in Hongkong alles treibt

»Es war vor etwa einem halben Jahr«, begann Tarr. »Im April«, fauchte Guillam. »Wir wollen uns an die genauen Daten halten, nicht wahr, auf der ganzen Linie?«

»Also es war im April«, sagte Tarr gleichmütig. »In Brixton war es ziemlich ruhig, ich glaube, wir waren ungefähr unser sechs auf Abruf. Pete Sembrini, der aus Rom zurück war, Cy Vanhofer hatte soeben in Budapest einen Coup gelandet«, er lächelte schel­misch - »Tischtennis und Billard im Wartesaal von Brixton, stimmt's, Mr. Guillam?«

»War die Sauregurkenzeit.«

»Als aus heiterem Himmel«, sagte Tarr, »eine Blitzanforderung der Außenstelle Hongkong eintraf.

Sie hatten eine zweitrangige sowjetische Handelsdelegation in der Stadt, die auf Elektroartikel für den Moskauer Markt Jagd machte. Einer der Delegierten machte fleißig die Nachtclubs unsicher. Ein gewisser Boris, Mr. Guillam hat die Einzelheiten. Noch nichts über ihn in den Akten. Sie hatten ihn seit fünf Tagen unter Be­obachtung, die Delegation sollte noch zwölf weitere Tage bleiben. Politisch war der Fall zu heiß für die Jungens am Ort, aber sie dachten, mit direktem Vorgehen wäre Abhilfe zu schaffen. Das Ergebnis würde nicht umwerfend sein, aber was soll's? Vielleicht könnten wir ihn auf Vorrat kaufen, stimmt's, Mr. Guillam?« Vorrat bedeutete Verkaufs- oder Tauschobjekt für andere Ge­heimdienste: ein Handel mit Schmalspur-Verrätern, der den Skalpjägern oblag.

Guillam, der Tarr keinerlei Beachtung schenkte, sagte: »Südost­asien war Tarrs Pfarrei. Er saß herum und hatte nichts zu tun, also gab ich ihm den Auftrag, sich an Ort und Stelle umzusehen und telegrafisch zu berichten.«

Sooft ein anderer sprach, versank Tarr in einem Traum. Sein Blick heftete sich auf den Sprecher, seine Augen verschleierten sich, und es entstand eine Pause, als komme er wieder zu sich, ehe er fortfuhr.

»Ich tat also, was Mr. Guillam angeordnet hatte«, sagte er. »Wie immer, nicht wahr, Mr. Guillam? Ich bin wirklich ein braver Junge, wenn auch ein bißchen impulsiv.«

Er flog in der nächsten Nacht, Sonnabend, den 31. März, mit ei­nem australischen Paß, der ihn als Autoverkäufer auswies, und zwei unbeschriebenen Schweizer Notpässen, die im Futter seines Koffers versteckt waren. Es waren Pässe für unvorhergesehene Fälle, die je nach Bedarf ausgefüllt wurden: einer für Boris, einer für ihn. Er verabredete ein Treffen im Wagen mit dem Leiter der Außenstelle Hongkong, nicht weit von seinem Hotel, dem Golden Gate auf Kaulun.

Hier beugte Guillam sich zu Smiley hinüber und flüsterte: »Dusty Thesinger, dieser Hanswurst. Ex-Major, King's African Rifles. Von Percy Alleline ausgesucht.«

Thesinger brachte einen Bericht über Boris' Bewegungen zum Vorschein, das Ergebnis einer einwöchigen Überwachung: »Boris war ein komischer Vogel. Ich wußte nicht, woran ich bei ihm war. Nacht für Nacht pausenlos gezecht. Hatte eine Woche lang nicht geschlafen, und Thesingers Observanten waren schon die Knie weich. Den ganzen Tag trabte er mit der Delegation herum, besichtigte Fabriken, leistete Diskussionsbeiträge und war ganz und gar der brillante junge Sowjetfunktionär. »Wie jung?« fragte Smiley.

Guillam warf ein: »Laut Visa-Antrag geboren in Minsk, 1946.«

»Abend für Abend ging er zunächst ins Alexandra Lodge, eine alte Spelunke am North Point, wo die Delegation abgestiegen war. Er aß mit der Mannschaft, dann, gegen neun, verdrückte er sich durch die Seitentür, schnappte sich ein Taxi und ab ging's zu den bekannten Nachtlokalen um die Peddar Street. Sein Lieb­lingsplätzchen war das Cat's Cradle in der Queen's Road, wo er für die einheimischen Geschäftsleute Runden spendierte und den beliebtesten Mann des Jahrhunderts markierte. Er blieb meist bis Mitternacht. Aus dem Cradle brauste er straks zum Aberdeen Harbour, in ein Lokal namens Angelika, wo die Ge­tränke billiger sind. Allein. Dort draußen sind vor allem schwim­mende Restaurants und die dicken Brieftaschen, aber das Angelika ist ein Cafe auf dem Festland mit einem Spielzimmer im Keller. Er nahm meist drei, vier Drinks zu sich und verwahrte die Rechnung. Im allgemeinen trank er Brandy, aber dann und wann auch zur Abwechslung einen Wodka. Einmal hat er mit einer Eurasierin angebändelt, und Thesingers Observanten sind ihr nach und haben die Story gekauft. Sie sagt, er sei einsam gewesen und habe auf dem Bett gesessen und gejammert, daß seine Frau sein Genie nicht zu schätzen wisse. Das war ein echter Durch­bruch«, fügte er sarkastisch hinzu, als Lacon sich geräuschvoll über das kärgliche Feuer hermachte und die einzelnen Kohlen zu neuem Leben schürte. »In dieser Nacht bin ich zum Cradle, um ihn mir selber anzuschauen. Thesingers Observanten wurden mit einem Glas Milch zu Bett geschickt. Sie brauchten davon nichts zu wissen.«

Während Tarr sprach, überkam seinen ganzen Körper manchmal eine völlige Bewegungslosigkeit, als lauschte er auf seine eigene Stimme, die ihm auf Band vorgespielt wurde.