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»Er kam zehn Minuten nach mir an und brachte sich Gesellschaft mit, einen großen blonden Schweden mit einer Chinesenbiene im Schlepptau. Es war dunkel, und ich schob mich hinter den Nebentisch. Sie bestellten Scotch, Boris bezahlte, und ich saß anderthalb Meter entfernt, beobachtete die lausige Kapelle und belauschte ihre Unterhaltung. Die junge Chinesin verhielt sich schweigsam, der Schwede bestritt den Großteil des Gesprächs. Sie sprachen englisch. Der Schwede fragte Boris, wo er wohne, und Boris sagte, im Excelsior, was eine verdammte Lüge war, denn er wohnte mit dem übrigen Kirchenchor im Alexandra Lodge. Klar: das Alexandra steht recht weit unten auf der Liste. Excelsior klingt besser. Gegen Mitternacht bricht die Gesell­schaft auf. Boris sagt, er muß nach Hause, und morgen ist ein arbeitsreicher Tag. Das war die zweite Lüge, denn er ging so wenig nach Hause, wie - welcher ist es doch gleich, Jekyll und Hyde, richtig! - der ehrenwerte Doktor, der sich in Schale wirft und auf den Schwoof geht. Also welcher war Boris?« Zunächst half ihm keiner.

»Hyde«, wiederholte Lacon zu seinen rotgeschrubbten Händen. Er saß jetzt wieder und hatte sie im Schoß gefaltet. »Hyde«, wiederholte Tarr. »Vielen Dank, Mr. Lacon. Ich wußte immer schon, daß Sie ein gebildeter Mann sind. Sie begleichen also die Rechnung, und ich troll mich runter nach Aberdeen, um schon vor ihm da zu sein, wenn er im Angelika anrückt. Aber ich bin jetzt schon fast überzeugt, daß ich an der falschen Adresse bin.«

An seinen trockenen langen Fingern zählte Tarr gewissenhaft die Gründe auf: erstens, er hatte noch nie eine sowjetische Delega­tion gesehen ohne ein paar Gorillas, deren Aufgabe es war, die Jungens von den Fleischtöpfen fernzuhalten. Also, wie ging Boris ihnen Nacht für Nacht durch die Lappen? Zweitens gefiel ihm die Art nicht, wie Boris mit seinen Devisen herumwarf. Das war unnatürlich bei einem Sowjetfunktionär, behauptete er: »Er hat einfach keine verdammten Devisen. Und wenn er welche hat, kauft er Glasperlen für seine Squaw. Und drittens, es gefiel mir nicht, wie er log. Zu glattzüngig, um seriös zu sein.« Tarr wartete also im Angelika, und tatsächlich tauchte nach einer halben Stunde sein Mr. Hyde mutterseelenallein auf: »Er setzt sich und bestellt sich zu trinken. Sitzt nur da und trinkt wie so ein Mauerblümchen!«

Wiederum war Smiley der Empfänger von Tarrs sonnigem Charme: »Also was soll das Ganze, Mr. Smiley? Sie wissen, was ich meine? Ich habe ein Auge für die kleinen Dinge«, gestand er, noch immer zu Smiley gewandt. »Zum Beispiel, wie er saß. Glauben Sie mir, Sir, wenn wir selber dort gewesen wären, wir hätten uns nicht günstiger setzen können als Boris. Er hatte die Ausgänge und die Treppe im Auge, überblickte den Hauptein­gang und alles, was im Lokal vorging, er war Rechtshänder und hatte linker Hand Deckung durch eine Wand. Boris war ein Profi, Mr. Smiley, daran war überhaupt nicht zu zweifeln. Er wartete auf eine Verbindung, betreute einen Briefkasten, oder er hat absichtlich auf die Pauke gehauen und auf einen Gegenzug von einem Tölpel wie mir gewartet. Und hören Sie: einen kleinen Pinscher von einer Handelsdelegation zu verheizen, ist eine Sache. Aber sich mit einem vollausgebildeten Nahkampfspezialisten anzulegen, ist eine ganz andere, stimmt's Mr. Guillam?« Guillam sagte: »Seit der Umorganisierung haben die Skalpjäger nicht mehr den Auftrag, Doppelagenten zu fangen. Sie müssen unverzüglich an London Station weitergereicht werden. Die Jungens haben stehende Order, sie ist von Bill Haydon persön­lich unterzeichnet. Wenn es nur im geringsten nach der Gegen­seite riecht: Hände weg.« Er fügte, vielleicht nur für Smileys Ohr hinzu: »Der Lateralismus hat unserer Autonomie den Garaus gemacht.«

»Und ich habe schon früher mit Doppel-Doppelspielern zu tun gehabt«, bekannte Tarr im Tonfall der gekränkten Tugend. »Glau­ben Sie mir, Mr. Smiley, sie sind ein Natterngezücht.«

»Das glaube ich Ihnen«, sagte Smiley und rückte affektiert an seiner Brille.

Tarr telegrafierte an Guillam »kein Verkauf«, buchte einen Rückflug und ging einkaufen. Aber, da seine Maschine erst am Dienstag abging, dachte er, er könne inzwischen noch, bloß um sein Fahrgeld zu verdienen, in Boris' Zimmer einbrechen. »Das Alexandra ist eine ganz baufällige Bude, Mr. Smiley, in der Nähe der Marble Road, lauter Holzbalkone übereinander. Und die Schlösser, also Sir, die gehen von alleine auf, wenn sie einen nur kommen sehen.«

Daher stand Tarr nach kürzester Zeit in Boris' Zimmer, mit dem Rücken zur Tür, und wartete, bis seine Augen sich an die Dun­kelheit gewöhnten. Er stand noch immer dort, als ihn eine Frau­enstimme schläfrig auf russisch vom Bett her anredete. »Es war Boris' Frau«, erklärte Tarr. »Sie weinte. Ich nenne sie einfach Irina, ja? Mr. Guillam hat alle Einzelheiten.« Smiley meldete bereits Einspruch an: »Frau war unmöglich«, sagte er. »Moskau hätte sie niemals beide gleichzeitig aus Ruß­land herausgelassen, sie hätten einen behalten und den anderen fortgeschickt.«

»Ehe nach dem Gewohnheitsrecht«, sagte Guillam trocken. »Inoffiziell, aber dauerhaft.«

»Es gibt heutzutage viele, die's auf die andere Tour machen«, sagte Tarr mit gemeinem Grinsen zu niemandem im besonderen und schon gar nicht zu Smiley, und Guillam warf ihm einen wei­teren giftigen Blick zu.

Ricki Tarr erzählt, wie er einen schüchternen Fuß ins Land der Liebe setzte

Vom ersten Augenblick der Besprechung an hatte George Smiley eine undurchdringliche Buddha-Pose eingenommen, aus der ihn weder Tarrs Bericht noch Lacons und Guillams gelegentliche Zwischenbemerkungen aufzurütteln vermochten. Er saß zurück­gelehnt, die kurzen Beine angewinkelt, den Kopf vorgereckt und die plumpen Hände vor dem ausladenden Magen gefaltet. Die Augen unter den überhängenden Lidern hatten sich hinter den dicken Brillengläsern geschlossen. Als einziges Zeichen von Un­ruhe polierte er von Zeit zu Zeit seine Brille am Seidenfutter der Krawatte, und sooft er das tat, hatten seine Augen einen verquol­lenen, nackten Blick, der jeden, der ihn in diesem Moment beob­achtete, in leichte Verlegenheit setzte. Sein Einwand jedoch und der gekünstelte, nichtssagende Laut, den er auf Guillams Erklä­rung hin ausgestoßen hatte, wirkten nun auf die übrige Versamm­lung wie ein Signal und veranlaßte allgemeines Stühlescharren und Räuspern. Lacon meldete sich als erster: »George, was trinken Sie? Darf ich Ihnen einen Scotch geben oder sonstwas?« Er bot den Drink so fürsorglich an wie ein Aspirin gegen Kopfschmerz. »George, einen zum Aufwärmen, ja? Es ist schließlich Winter. Ein Schlückchen?«

»Ich bin ganz zufrieden, danke«, sagte Smiley. Er hätte gern eine Tasse Kaffee aus der Maschine gehabt, aber irgendwie fühlte er sich außerstande, darum zu bitten. Außer­dem erinnerte er sich, daß Lacons Kaffee abscheulich war. »Guillam?« wandte Lacon sich an den nächsten. Nein; auch Guillam fand es unmöglich, von Lacon ein alkoholisches Ge­tränk anzunehmen.

Tarr wurde nichts angeboten, und er fuhr in seiner Berichter­stattung fort.

Er habe Irinas Anwesenheit gefaßt hingenomnen, sagte er. Ehe er ins Haus ging, hatte er sich einen Fluchtweg zurechtgelegt, und jetzt schritt er zur Tat. Er zog keine Kanone oder schlug sie mit der Hand auf den Mund oder dergleichen Humbug, wie er sich ausdrückte, sondern sagte, er sei gekommen, um mit Boris eine Privatangelegenheit zu besprechen, sie solle entschuldigen, aber er werde verdammt noch mal solange hier sitzenbleiben, bis Boris auftauche. In gutem Australisch, wie es einem erzürnten Autoverkäufer von dort unten anstand, erklärte er, er wolle sich zwar nicht in andrer Leute Angelegenheiten einmischen, aber er wolle verdammt sein, wenn er sich in einer einzigen Nacht sein Mädel und sein Geld stehlen lasse, von einem lausigen Russen, der für seinen Spaß nicht zahlen könne. Er steigerte sich in große Erbitterung, achtete jedoch darauf, leise zu sprechen, und dann wartete er, was sie tun würde. Und damit, sagte Tarr, fing die ganze Geschichte an. Er hatte Boris' Zimmer um elf Uhr dreißig betreten. Er ging um halb zwei, mit dem Versprechen, in der nächsten Nacht wieder­zukommen. Inzwischen hatte die Situation sich völlig gewan­delt: »Wir haben natürlich nichts Ungehöriges getan. Nur rein platonisch, ja, Mr. Smiley?«