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»Sie packte hemmungslos aus«, erklärte Tarr, als wäre das Ganze plötzlich ein Zufall, an dem er keinen Anteil hatte. »Sie erzählte mir ihre ganze Lebensgeschichte, von ihrer Geburt bis zu Oberst Thomas, das bin ich. Mammi, Pappi, erste Lieben, Anwerbung, Ausbildung, ihre lausige Halb-Ehe, alles von A bis Z. Wie sie und Boris als Partner-Nummer ausgebildet wurden und seither immer beisammen gewesen waren: eine der großen unzerstörbaren Beziehungen. Sie verriet mir ihren richtigen Namen, ihren Arbeits­namen und die Decknamen, unter denen sie gereist war und Nach­richten übermittelt hatte, dann brachte sie ihre Handtasche zum Vorschein und zeigte mir ihr Zauberwerkzeug: den hohlen Füll­halter, darin aufgerollt die Codetabelle. Versteckte Kamera, den ganzen Klimbim. >Warte, bis Percy das sieht«, sage ich und lotse sie damit weiter. Alles Serienherstellung, wissen Sie, keine Spezial­anfertigung, aber trotzdem erstklassiges Material. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fängt sie an, über die sowjetische Außenorganisation in Hongkong zu lästern: die Kuriere, die si­cheren Häuser<, die Briefkästen, rein alles. Ich bin fast verrückt geworden, als ich es nachher wieder zusammenkriegen wollte.«

»Aber Sie haben's geschafft«, sagte Guillam kurz. Ja, bestätigte Tarr; so ziemlich. Er wußte, daß sie ihm nicht die volle Wahrheit gesagt hatte, aber er wußte, wie schwer die Wahr­heit einer Frau fallen mußte, die seit ihrem fünfzehnten Jahr un­ter falschem Namen gelebt hatte, und er fand, daß sie es für den Anfang schon recht nett machte.

»Ich fühlte sozusagen mit ihr«, sagte er, wiederum in seinem ver­logenen Bekennerton. »Ich fühlte, daß wir auf der gleichen Wel­lenlänge waren, ungelogen.«

»Bestimmt«, ließ Lacon sich ausnahmsweise vernehmen. Er war sehr blaß, aber ob der Ärger daran schuld war oder das ständig heller werdende Licht des frühen Morgens, das durch die Läden kroch, ließ sich nicht sagen.

Ricki Tarr enthüllt seine Methoden, London Station hüllt sich in Schweigen

»Nun war ich in einer vertrackten Situation. Ich sah Irina am nächsten und übernächsten Tag, und ich schätzte, wenn sie nicht überhaupt schon schizoid war, so würde sie es verdammt bald werden. Im Augenblick faselte sie davon, daß sie von Percy einen Job im Circus kriegte und für Oberst Thomas arbeitete, brach dann einen Streit mit mir vom Zaun, ob sie Leutnant oder Major werden würde. Im nächsten Augenblick sagte sie, sie wolle nie wieder für irgend jemanden spionieren und werde Blumen züchten und sich mit Thomas im Heu tummeln. Dann kriegte sie die Klostertour: Baptistennonnen würden ihre Seele reinwaschen. Ich bin fast gestorben. Wer zum Teufel hat jemals von Baptisten­nonnen gehört, fragte ich sie. Egal, sagte sie, die Baptisten seien die Wucht, ihre Mutter sei Bäuerin und kenne sich aus. Das sei das zweitgrößte Geheimnis, das sie mir jemals anvertrauen werde. >Und was ist dann das größte?< frage ich. Fehlanzeige. Sie sagt lediglich, wir seien in tödlicher Gefahr, in größerer Gefahr, als ich wissen könne: keiner von uns hätte noch die geringste Chance, es sei denn, sie könne dieses Schwätzchen mit Bruder Percy halten. >Was für eine Gefahr, um Gottes willen? Was weißt du, was ich nicht weiß?< Sie war wahnsinnig stolz auf ihr Wissen, aber als ich sie drängte, klappte sie zu wie eine Auster, und ich bekam hölli­sche Angst, sie könnte heimsausen und alles brühwarm Boris er­zählen. Außerdem wurde die Zeit knapp. Es war schon Mittwoch, und die Delegation sollte am Freitag nach Moskau zurückfliegen. Irina war technisch gesehen nicht ganz ohne, aber wie konnte ich einer Irren wie ihr vertrauen? Sie wissen, wie Frauen sind, wenn sie sich verlieben, Mr. Smiley. Sie können kaum . . .« Guillam war ihm ins Wort gefallen. »Bleiben Sie gefälligst beim Thema, ja?« befahl er, und Tarr schwieg eine kleine Weile. »Mit Sicherheit wußte ich nur, daß Irina überlaufen wollte - mit Percy sprechen, nannte sie es -, sie hatte noch drei Tage Zeit, und je eher sie ab­sprang, um so besser für alle. Wenn ich noch lange wartete, würde sie es sich wieder ausreden. Also riskierte ich es und suchte The­singer auf, sofort, nachdem er seinen Laden aufgemacht hatte.«

»Mittwoch, der elfte«, murmelte Smiley. »In London ganz früh am Morgen.«

»Thesinger muß mich für ein Gespenst gehalten haben. >Ich muß nach London telegrafieren, persönlich für den Leiter von Lon­don Station<, sagte ich. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, aber er ließ mich dann doch. Ich setzte mich an seinen Schreib­tisch und verschlüsselte selber die Botschaft nach einem alten Code, während Thesinger mir zusah wie ein kranker Hund. Wir mußten das Ganze auf Handelscode zurechtstutzen, denn The­singers Tarnung war das Exportgeschäft. Das dauerte nochmals eine halbe Stunde. Ich war völlig fertig, wirklich. Dann verbrannte ich den verdammten Code und tippte die Nachricht in den Appa­rat. Außer mir wußte damals kein Mensch auf der Welt, was die Zahlen auf diesem Blatt Papier bedeuteten, auch Thesinger nicht. Ich forderte volles Überläuferverfahren für Irina an, Schnellver­fahren. Ich erbat alle die Vergünstigungen, von denen sie nicht ein­mal gesprochen hatte: Bargeld, Paß, neue Identität, kein Rampen­licht und einen Ort zum Leben. Schließlich war ich gewissermaßen ihr Sachwalter, nicht wahr, Mr. Smiley?«

Smiley blickte auf, als überraschte ihn die Anrede. »Ja«, sagte er ganz freundlich, »ja, ich nehme an, das waren Sie, gewissermaßen.«

»Und außerdem war er auch real beteiligt, wie ich ihn kenne«, sagte Guillam leise.

Tarr hatte es aufgeschnappt oder erraten und wurde wütend. »Das ist eine verdammte Lüge!« schrie er und wurde krebsrot. »Das ist eine . . .« Nachdem er Guillam haßerfüllt angestarrt hatte, kehrte er zu seiner Erzählung zurück.

»Ich umriß ihre Laufbahn bis dato und wo sie Zugang gehabt hatte, einschließlich ihrer Aufträge von der Zentrale. Ich bat um Inquisitoren und eine Militärmaschine. Sie glaubte, ich hätte um eine persönliche Unterredung mit Percy Alleline auf neutralem Boden gebeten, aber ich fand, diese Hürde sollten wir erst neh­men, wenn wir auf der anderen Seite wären. Ich schlug vor, sie sollten ein paar von Esterhases Aufklärern vorschicken, die sich um sie kümmern könnten, dazu vielleicht einen von unseren Ärzten.«

»Warum die Aufklärer?« fragte Smiley scharf. »Sie sind nicht au­torisiert, Überläufer zu betreuen.«

Die Aufklärer waren Toby Esterhases Meute und nicht in Brix­ton stationiert, sondern in Acton. Sie hatten die Hilfsdienste bei Großaktionen zu leisten: Beschatten, Abhören, Transport und »sichere Häuser«.