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In einer jähen Aufwallung von Energie hatte Smiley sich losge­rissen und trabte vor Lacon den Pfad entlang, der zur Koppel führte.

»Dann gehen Sie doch zur Konkurrenz«, rief er, »Gehen Sie zum Sicherheitsdienst. Sie sind die Experten, sie werden Ihnen eine feine Arbeit liefern.«

»Der Minister möchte das nicht. Sie wissen sehr genau, was er und Alleline von der Konkurrenz halten. Und ganz zu recht, wenn ich das sagen darf. Eine Meute ehemaliger Verwaltungs­beamter aus den Kolonien, die in den Circus-Papieren herumstö­bert: ebensogut könnte man das Heer ansetzen, um die Marine zu überprüfen!«

»Das ist überhaupt kein Vergleich«, wandte Smiley ein. Aber Lacon als guter Beamter hatte schon die zweite Metapher bereit: »Jedenfalls würde der Minister lieber unter einem undichten Dach wohnen, als sich von diesen Außenseitern seine ganze Burg einreißen zu lassen. Entspricht Ihnen diese Formulierung! Er hat einen absolut stichhaltigen Grund, George. Wir haben doch Agenten im Außendienst, und ich würde keinen Pfiffer­ling mehr für sie geben, wenn die Herren vom Sicherheitsdienst angewalzt kämen.«

Jetzt war es an Smiley, sein Tempo zu mäßigen. »Wie viele?«

»Sechshundert, ein paar mehr oder weniger.«

»Und hinter dem Vorhang?«

»Auf dem Etat stehen hundertundzwanzig.« Bei Zahlen, bei Fakten kannte Lacon keine Unsicherheit. Sie waren das Gold, mit dem er arbeitete, das er im Schweiß seines Angesichts der grauen bürokratischen Erde entrungen hatte. »Soviel ich den Zahlungs­quittungen entnehmen kann, sind Sie zur Zeit fast alle im Ein­satz.« Er machte einen langen Satz. »Ich kann ihm also sagen, daß Sie es übernehmen, nicht wahr?« flötete er so ganz beiläufig, als wäre die Frage eine reine Formalität, nur damit dieser Punkt abge­hakt werden könnte. »Sie übernehmen die Arbeit, misten den Stall aus? Gehen Sie zurück, vorwärts, alles was notwendig ist. Schließ­lich ist es Ihre Generation. Ihr Erbteil.«

Smiley hatte das Gatter der Koppel aufgestoßen und schlug es hinter sich zu. Sie maßen einander über den wackligen Zaun. La­cons rosig angehauchtes Gesicht zeigte ein unterwürfiges Lä­cheln.

»Wie komme ich auf Ellis?« fragte er im Konversationston. »Warum spreche ich von der Ellis-Affäre, wenn der arme Mensch doch Prideaux hieß?«

»Ellis war sein Arbeitsname.«

»Natürlich. So viele Skandale in letzter Zeit, man vergißt einfach die Details.« Unterbrechung. Schwingen des rechten Unterarms. Ausfall. »Und er war mit Haydon befreundet, nicht mit Ihnen?« erkundigte sich Lacon.

»Sie waren vor dem Krieg zusammen in Oxford.«

»Und während des Krieges und danach Stallgefährten im Circus.

Das berühmte Gespann Haydon-Prideaux. Mein Vorgänger sprach dauernd davon.« Er wiederholte: »Aber Sie standen ihm nie nah?«

»Prideaux? Nein.«

»Kein Vetter, meine ich?«

»In drei Teufels Namen«, japste Smiley.

Lacon wurde plötzlich wieder linkisch, aber irgendeine verbis­sene Absicht ließ ihn den Blick nicht von Smiley wenden. »Und es besteht kein emotionaler oder sonstiger Grund, der Sie veran­lassen könnte, den Auftrag abzulehnen? Seien Sie ganz aufrichtig, George«, drängte er so besorgt, als wäre >aufrichtig sein< das letzte, was er sich wünschte. Er wartete einen Moment, dann warf er alle Bedenken beiseite: »Ich sehe eigentlich auch keinen Grund. Ein Teil unserer Person gehört wohl immer der Arbeit für die Öffentlichkeit, nicht wahr? Der Gesellschaftsvertrag hat seine zwei Seiten, das haben Sie gewiß schon immer gewußt. Und Prideaux ebenfalls.«

»Was soll das heißen?«

»Ja, du lieber Gott, er hat einiges abbekommen, George. Eine Kugel im Rücken gilt allgemein als ziemliches Opfer, nicht wahr, sogar in Ihrer Welt?«

Smiley stand allein am entfernten Ende der Koppel unter triefen­den Bäumen und versuchte, seine Gefühle zu ergründen, wäh­rend er um Atem rang. Wie ein altes Leiden hatte ihn der Zorn angefallen. Seit seinem Abtreten hatte er ihn verleugnet, alles ge­mieden, was ihn zum Ausbruch bringen könnte: Zeitungen, ehe­malige Kollegen, Klatsch á la Martindale. Nachdem er ein Leben lang von seinem Verstand und seinem ernormen Gedächtnis ge­lebt hatte, widmete er sich nun hauptamtlich der Aufgabe des Vergessens. Er hatte sich gezwungen, wissenschaftliche Inter­essen zu pflegen, die ihm während seiner Dienstzeit im Circus hinlänglich als Zerstreuung gedient hatten, aber jetzt, in seiner Untätigkeit, waren sie nichts, absolut nichts. Er hätte laut schreien können: nichts!

»Verbrenn den ganzen Kram«, hatte Ann hilfsbereit vorgeschlagen und damit seine Bücher gemeint. »Zünde das ganze Haus an. Alles, nur nicht verschimmeln.«

Wenn sie mit »verschimmeln« resignieren meinte, dann hatte sie sein Bestreben richtig beurteilt. Er hatte versucht, ehrlich ver­sucht, als er sich seinem, wie die Versicherungsprospekte es mit Vorliebe nannten, Lebensabend näherte, einen mustergültigen Rentier abzugeben; obgleich niemand, und am allerwenigsten Ann, ihm diese Mühe dankte. Sooft er am Morgen sein Bett ver­ließ, sooft er es des Abends, meist allein, wieder aufsuchte, hatte er sich eingehämmert, daß er nicht unentbehrlich sei und es nie­mals war. Er hatte sich das Bekenntnis eingepaukt, daß er in je­nen elenden letzten Monaten von Controls Amtsführung, als eine Katastrophe die andere jagte, die Dinge viel zu überspitzt gesehen hatte. Und wenn jetzt der alte Amtsadam in ihm rebellierte und sagte: du weißt, daß es mit dem Circus bergab ging, du weißt, daß Jim Prideaux verraten wurde; nun, hatte er erwidert, und wenn­schon? »Es ist schiere Eitelkeit, zu glauben, daß als einziger Mensch ein fetter, älterer Spion imstande wäre, die Welt zusam­menzuhalten«, ermahnte er sich. Und bei anderen Gelegenheiten: »Ich habe noch nie gehört, daß irgendwer bei seinem Ausscheiden aus dem Circus keine unvollendete Arbeit zurückgelassen hätte.« Nur Ann weigerte sich, diesen Schluß anzuerkennen, zu dem er mit soviel Mühe gelangt war. Sie ereiferte sich sogar, wie nur Frauen sich über geschäftliche Dinge ereifern können, sie drängte ihn, umzukehren, seine Arbeit dort wieder aufzunehmen, wo er sie abgebrochen hatte, nicht unter billigen Argumenten vom Kurs abzugehen. Nicht daß sie etwas gewußt hätte, aber welche Frau hat sich jemals von einem Mangel an Wissen aufhalten lassen? Sie fühlte. Und verachtete ihn, weil er nicht in Übereinstimmung mit ihrem Fühlen handelte.

Und jetzt, genau in dem Moment, als er endlich so weit war, an sein eigenes Dogma zu glauben, ein Schritt, der ihm durch Anns Verliebtheit in einen stellenlosen Schauspieler nicht leichter ge­macht wurde, was passiert jetzt? Die vollzählig versammelten Gespenster aus seiner Vergangenheit: Lacon, Control, Karla, Alleline, Esterhase, Bland und zu guter Letzt Bill Haydon per­sönlich stürmen in seine Zelle und teilen ihm strahlend mit, wäh­rend sie ihn wieder zurück in den gleichen Garten zerren, daß alles, was er Eitelkeit genannt hatte, Wahrheit sei! Haydon, wiederholte er leise, denn er konnte sich nicht mehr ge­gen die Flut der Erinnerungen wehren. Schon der Name ver­setzte ihm einen Stoß. »Ich habe gehört, Sie und Bill hätten einst alles miteinander geteilt«, sagte Martindale.

Er starrte auf seine pummeligen Hände und sah, wie sie zitterten. Zu alt? Impotent? Angst vor der Jagd? Oder Angst vor dem, was er am Ende aufstöbern würde?