Выбрать главу

Der Vorplatz sah schäbiger aus denn je. Drei alte Aufzüge, eine Holzbarriere, ein Werbeplakat für Mazawatee-Tee, Bryants ver­glastes Schilderhäuschen mit einem Bilder-aus-England-Kalender und mehrere bemooste Telefone.

»Mr. Strickland erwartet Sie bereits, Sir«, sagte Bryant, als er wieder auftauchte, und stempelte bedächtig auf einen rosa Zettel die Tageszeit auf: Vierzehn Uhr fünfundfünfzig, P. Bryant, Por­tier. Das Gitter des mittleren Aufzuges klapperte wie ein Bündel trockener Stecken.

»Zeit, daß das Ding mal geölt wird, wie?« rief Guillam, während er wartete, bis der Mechanismus in Gang kam.

»Wir haben schon x-mal angemahnt«, sagte Bryant und stieg in seine Lieblingsklage ein. »Sie rühren keinen Finger. Man kann nachfragen, bis man schwarz wird. Wie geht's der Familie, Sir?«

»Bestens«, sagte Guillam, der keine hatte.

»Freut mich«, sagte Bryant. Von oben sah Guillam den sahnefarbenen Kopf zwischen seinen Füßen verschwinden. Mary nannte ihn immer Erdbeer mit Vanille, fiel ihm ein: rotes Gesicht, weißes Haar und breiig.

Im Lift betrachtete er seinen Besuchsschein. »Berechtigt zum Betreten von LS«, lautete die erste Zeile. »Zweck des Besuches: Bankabteilung. Dieses Dokument ist vor Verlassen des Gebäudes zurückzugeben.« Und neben »Unterschrift des Besuchten« ein freier Platz.

»Tag, Peter. Begrüße Sie. Sie haben sich ein bißchen verspätet, aber das macht nichts.«

Lauder wartete an der Schranke, das ganze 1 Meter 80 hohe Nichts von ihm, mit weißem Kragen und voll heimlichen Stolzes, weil er aufgesucht wurde. Zu Controls Zeiten war diese Etage ein einziges Hin und Her geschäftiger Leute gewesen. Heute ver­schloß eine Schranke den Zutritt. Ein rattengesichtiger Portier prüfte eingehend seinen Besuchsschein.

»Du lieber Gott, seit wann haben Sie denn dieses Ungetüm?« fragte Guillam und blieb vor einem glänzenden neuen Kaffee­automaten stehen. Ein paar Mädchen, die ihre Becher füllten, blickten auf und sagten: »Hallo, Lauder«, wobei sie Guillam anschauten. Die große erinnerte ihn an Camilla: das gleiche langsam glimmende Auge, das die männliche Unzulänglichkeit ächtete.

»Ach, Sie ahnen gar nicht, wie viele Mann-Stunden das einspart«, schrie Lauder plötzlich. »Phantastisch. Ganz phantastisch«, und hätte in seiner Begeisterung beinah Bill Haydon überrannt. Haydon war aus seinem Zimmer getreten, einem sechseckigen MG-Stand mit Blick über New Compton Street und Charing Cross Road. Er bewegte sich in der gleichen Richtung wie sie, aber im Tempo von einer halben Meile pro Stunde, was bei Bill innerhalb des Hauses Vollgas bedeutete. Im Freien verhielt er sich anders; Guillam hatte auch das gesehen, bei Übungsspielen in Sarratt und einmal bei einem nächtlichen Überfall in Griechen­land. Im Freien war er flink und gewandt; das scharfgeschnittene Gesicht, das in diesem dumpfen Korridor fahl und verschlossen wirkte, schien unter freiem Himmel von den fernen Orten ge­prägt, an denen er gearbeitet hatte. Sie waren Legion: für Guil­lams bewundernde Augen gab es kein Einsatzfeld, das nicht irgendwo Haydons Siegel getragen hätte. Er war in seiner eigenen Karriere immer wieder den Spuren von Bills ungewöhnlicher Laufbahn begegnet. Vor ein paar Jahren, als er noch für den Marine-Geheimdienst arbeitete und unter anderem die Aufgabe hatte, ein Team von Küstenbewachern für die chinesischen Häfen Wentschou und Amoy zusammenzustellen, entdeckte Guillam zu seinem Erstaunen, daß es in beiden Städten noch chinesische Agenten gab, die Bill Haydon während irgendeines vergessenen Kriegseinsatzes rekrutiert, mit Geheimsendern und allem Zu­behör ausgestattet hatte und mit denen man sich in Verbindung setzen konnte. Und ein anderes Mal, als er die Berichte über Himmelfahrtskommandos von Circus-Kämpfern während des Krieges durchging - weniger, weil er für die Gegenwart Wichtiges zu finden hoffte, als in wehmütigem Rückblick -, stieß Guillam zweimal innerhalb von zwei Minuten auf Haydons Arbeitsnamen: Im Jahr einundvierzig hatte er französische Fischkutter aus der Heiford-Bucht gefahren; im gleichen Jahr richtete er, mit Jim Prideaux als Sozius, Kurierstafetten quer durch Südeuropa ein, vom Balkan bis Madrid. Für Guillam gehörte Haydon jener einmaligen, aus sterbenden Circus-Generation an, zu der auch seine Eltern und Smiley gehörten - exklusiv und in Haydons Fall von blauem Blut. Aus einem einzigen Dasein, das er in unsteter Hast zubrachte, hatten sie in aller Gelassenheit ein Dutzend Leben gemacht, und noch heute, nach dreißig Jahren, verdankte der Circus ihnen seinen ersterbenden Hauch von Abenteuer.

Als er die beiden Männer sah, blieb Haydon wie angewurzelt stehen. Seit Guillam zuletzt mit ihm gesprochen hatte, war ein Monat vergangen; vermutlich war er in ungenannten Geschäften verreist gewesen. Als er jetzt, das Licht im Rücken, vor seiner offenen Bürotür stand, sah er seltsam schwarz und groß aus. Er trug irgend etwas, Guillam konnte nicht feststellen, was es war, eine Zeitschrift, eine Akte oder ein Bericht; sein Büro, das von seinem Schatten entzweigeschnitten wurde, war ein Mittelding zwischen Mönchszelle und unaufgeräumter Studentenbude. Über­all lagen Berichte, Manuskripte und Akten herum; ein filzbe­spanntes Anschlagebrett an der Wand war mit Postkarten und Zeitungsausschnitten besteckt; daneben hing, schief und ungerahmt, eines von Bills frühen Bildern, konsequent abstrakt, in harten, flachen Wüstenfarben. »Hallo Bill«, sagte Guillam.

Haydon ließ seine Tür offenstehen — ein eklatanter Bruch der Hausordnung - und setzte sich, noch immer wortlos, vor ihnen in Bewegung. Er war wie immer sagenhaft verschroben gekleidet. Die Lederflecke auf seinem Jackett waren sternenförmig auf­genäht, nicht viereckig, so daß er von hinten wie ein Harlekin aussah. Die Brille hatte er über die graue Stirntolle geschoben wie eine Schutzbrille. Eine Weile trabten sie unsicher hinter ihm her, bis er sich plötzlich unversehens umdrehte, in ganzer Figur, wie eine Statue, die langsam auf ihrem Sockel herumschwenkt, und den Blick auf Guillam richtete. Dann grinste er, so daß die sichel­förmigen Augenbrauen sich hoben wie die Brauen eines Clows, und sein angespanntes Gesicht wurde hübsch und unwahrschein­lich jung.

»Was, zum Teufel, haben Sie denn hier zu suchen, Sie Paria?« erkundigte er sich liebenswürdig.

Lauder, der die Frage ernst nahm, stürzte sich in Erklärungen über Belgrad und das nötige Kleingeld.

»Schließen Sie besser die Löffel weg«, sagte Bill und redete ein­fach durch Lauder hindurch. »Diese Skalpjäger stehlen Ihnen das Gold aus den Zähnen«, und setzte mit einem weiteren freund­schaftlichen Grinsen seinen Weg fort, nachdem er sie vorbei­gelassen hatte. »Und verschließen Sie auch die Mädchen«, rief er ihnen noch nach, »wenn sie sich's gefallen lassen. Seit wann stau­ben die Skalpjäger ihr Geld selber ab? Das ist unsere Arbeit.«

»Lauder staubt ab. Wir verpulvern's nur.«

»Unterlagen an mich«, sagte Haydon mit plötzlicher Barschheit zu Strickland. »Mit dem Kuddelmuddel ist jetzt Schluß.«

»Sind schon an Sie unterwegs«, sagte Guillam. »Liegen wahr­scheinlich bereits in Ihrem Einlaufkorb.«

Ein letztes Nicken forderte sie zum Überholen auf, so daß Guillam auf dem ganzen Weg bis zur nächsten dunklen Biegung spürte, wie Haydons blaßgrauer Blick sich in seinen Rücken bohrte.

»Phantastischer Kerl«, erklärte Lauder, als hätte Guillam Bill zum erstenmal gesehen. »London Station könnte gar nicht in besseren Händen sein. Unglaubliche Befähigung. Unglaubliche Beurteilung. Glänzend.«