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Während ihr, dachte Guillam, vom Abglanz profitiert. Indem man euch mit Haydon identifiziert, mit dem Kaffeeautomaten, mit den Banken. Seine Betrachtungen wurden durch die ätzende Cockney-Stimme Roy Blands unterbrochen, der aus der nächsten Tür vor ihnen auftauchte.

»He, Lauder, Moment maclass="underline" haben Sie Bloody Bill irgendwo ge­sehen? Er wird dringend gewünscht.«

Darauf folgte unmittelbar Toby Esterhases getreues mitteleuro­päisches Echo aus der gleichen Richtung: »Umgehend, Lauder, wir haben sogar schon seinetwegen Alarm geschlagen.« Sie waren in den letzten engen Korridor eingeschwenkt. Lauder hatte vielleicht drei Schritt Vorsprung und setzte bereits zu seiner Antwort an, als Guillam die offene Tür erreichte und hinein­schaute. Bland lungerte in Hemdsärmeln an seinem Schreibtisch. Schweißringe umzogen die Achselhöhlen. Esterhase beugte sich wie ein Oberkellner zu ihm, ein sehr kleiner Mann mit steifem Rücken, eine Miniatur-Exzellenz mit Silberhaar und einem ver­krampften unfreundlichen Kiefer, und er hatte eine Hand nach dem Schriftstück ausgestreckt, als wollte er eine Spezialität emp­fehlen. Sie hatten offenbar gerade das gleiche Dokument gelesen, als sie des vorbeigehenden Lauder ansichtig wurden. »Doch Roy, ich habe Bill Haydon gesehen«, sagte Lauder, der die Gabe hatte, ungebührliche Fragen in eine anständige Form umzufunktionieren. »Mir schwant sogar, daß Bill zu Ihnen unter­wegs ist, er kommt schon hinten im Korridor, wir haben nur kurz über ein paar Dinge gesprochen.«

Blands Blick glitt langsam zu Guillam und blieb auf ihm haften; dieses frostige Abschätzen erinnerte unangenehm an Haydon. »Hallo, Peter«, sagte er. Im gleichen Moment reckte sich Klein Toby zu voller Höhe und wandte die Augen gleichfalls auf Guil­lam; braun und still wie die Augen eines Schützen. »Hei«, sagte Guillam, »worüber wird gelacht?« Ihre Begrüßung war nicht nur frostig, sie war schlichtweg feind­selig. Guillam hatte während eines sehr kniffligen Einsatzes in der Schweiz drei Monate lang eng mit Toby Esterhase zusammen­gearbeitet, und Toby hatte die gleiche Zeit über nicht ein ein­ziges Mal auch nur gelächelt, daher war sein eisiges Glotzen keine Überraschung für Guillam. Aber Bland war eine von Smileys Entdeckungen, zu warmherzig und impulsiv für diese Welt, rot­haarig und stämmig, von unverdorbenem Intellekt, und ein er­freulicher Abend bestand für ihn darin, daß man in den Kneipen rund um Kentish Town über Wittgenstein diskutierte. Er hatte zehn Jahre als Spitzel in der Kommunistischen Partei gearbeitet, die akademische Route in Osteuropa abgeklappert, und jetzt war er, genau wie Guillam, zurückgepfiffen worden, was immerhin eine Gemeinsamkeit darstellte. Zu seinem Begrüßungsstil ge­hörten im allgemeinen ein breites Grinsen, ein Schlag auf die Schulter und eine abgestandene Bierfahne. Aber nicht so heute. »Es wird überhaupt nicht gelacht, Peter, alter Junge«, sagte Roy schließlich und rang sich ein reichlich verspätetes Lächeln ab. »War nur überrascht, Sie zu sehen, weiter nichts. Wir sind so daran gewöhnt, dieses Stockwerk ganz für uns allein zu haben.«

»Da kommt Bill«, sagte Lauder, hoch befriedigt, weil seine Pro­gnose sich so prompt bestätigte. Als Haydon in einen Lichtstreifen trat, fiel Guillam die merkwürdige Färbung seiner Wangen auf. Eine tiefe wallende Röte hoch auf den Backenknochen, die von geplatzten Äderchen stammte. Sie verlieh ihm, wie Guillam in seiner Erregtheit dachte, eine gewisse Ähnlichkeit mit Dorian Gray.

Seine Unterredung mit Lauder Strickland dauerte eine Stunde und zwanzig Minuten. Guillam hatte sie nach Kräften in die Länge gezogen, und während der ganzen Zeit dachte er über Bland und Esterhase nach und fragte sich, was den beiden so sehr im Magen liegen mochte.

»Ich gehe jetzt wohl besser und kläre das Ganze mit dem Del­phin«, sagte er schließlich. »Wir wissen ja, wie sie sich hat, wenn's um Schweizer Banken geht.« Die Personalabteilung hauste zwei Türen von der Bankabteilung entfernt. »Das lasse ich hier«, fügte er hinzu und warf den Paß auf Lauders Schreibtisch. Diana Dolphins Zimmer roch nach Deodorant; ihre Kettentasche lag auf dem Safe neben einer Nummer der Financial Times. Diana war eine jener modebewußten Circus-Bräute, die nie jemand wirklich heiratet. Ja, sagte er müde, die Unterlagen habe er London Station bereits eingereicht. Ja, er verstehe, daß das Herumwerfen mit schmutzigem Geld der Vergangenheit an­gehöre.

»Wir werden die nötigen Schritte unternehmen und Ihnen Be­scheid geben«, verkündete sie, was heißen sollte, daß sie Phil Porteous fragen würde, der nebenan saß. »Ich werd's Lauder bestellen«, sagte Guillam und ging. Weiter, dachte er.

Bei »Herren« wartete er dreißig Sekunden am Waschbecken, be­obachtete im Spiegel die Tür und horchte. Seltsame Stille hatte sich über das ganze Stockwerk gesenkt. Los, dachte er, du wirst alt, weiter. Er überquerte den Korridor, trat ungeniert ins Büro des Diensthabenden, knallte die Tür zu und sah sich um. Er schätzte, daß er zehn Minuten Zeit haben würde, und er schätzte, daß eine zugeknallte Tür weniger Lärm in dieser Stille verur­sachte als eine leise und verstohlen geschlossene Tür. Weiter. Er hatte die Kamera bei sich, aber das Licht war miserabel. Das Fenster mit der Netzgardine ging auf einen Innenhof voll ge­schwärzter Rohre. Er hätte keine hellere Glühbirne wagen kön­nen, selbst wenn er eine bei sich gehabt hätte, also strengte er sein Gedächtnis an. Seit dem Machtwechsel schien sich nicht viel ver­ändert zu haben. Das Zimmer war tagsüber als Ruheraum für Damen bestimmt gewesen und war es wohl noch immer, nach dem billigen Parfümgeruch zu schließen. An einer Wand stand das Kunstledersofa, das nachts als Behelfslager diente; daneben der Erste-Hilfe-Kasten mit dem abblätternden roten Kreuz auf dem Deckel und ein aufgeklapptes Fernsehgerät. Der Stahl­schrank stand noch am alten Platz zwischen dem Schaltbrett und den gesperrten Telefonen, und er ging straks darauf zu. Es war ein alter Schrank, er hätte ihn mit einem Dosenöffner aufge­kriegt. Er hatte seine Dietriche und einiges Leichtmetallwerk­zeug mitgebracht. Dann fiel ihm ein, daß die Kombination 312211 gelautet hatte, und er probierte sie, vier linksrum, drei rechtsrum, zwei linksrum, rechtsrum, bis er aufgeht. Die Scheibe war so ausgeleiert, daß sie ihre Tour von alleine lief. Als er die Tür öffnete, quoll eine Staubwolke hervor, kroch ein Stück am Boden entlang und entschwebte dann langsam zum dunklen Fenster. Im gleichen Augenblick hörte er einen Ton wie eine ein­zelne Note, die auf der Flöte gespielt wurde; wahrscheinlich hatte auf der Straße ein Auto gebremst; oder das Rad eines Akten­karrens auf dem Linoleum gequietscht; aber für ihn war es in diesem Moment einer der langgezogenen klagenden Töne, aus denen Camillas Tonleiter-Übungen bestanden. Sie spielte, wann immer sie dazu Lust hatte. Um Mitternacht, frühmorgens, egal wann. Die Nachbarn konnten ihr gestohlen bleiben; sie schien überhaupt völlig skrupellos zu sein. Er erinnerte sich, wie sie an jenem ersten Abend gewesen war: »Welche Bettseite ist dir lieber? Wo soll ich meine Kleider hintun?« Er hielt sich einiges auf seinen Takt in solchen Dingen zugute, aber Camilla hatte dafür keinen Sinn, Technik war für sie bereits ein Kompromiß, ein Kompromiß mit der Wirklichkeit, sie würde sogar sagen, eine Flucht aus der Wirklichkeit. Na schön, dann hilf mir mal raus aus dem Salat hier.

Die Dienst-Tagebücher waren im obersten Fach, gebunden, die Daten klebten auf den Einbandrücken. Sie sahen aus wie Haus­haltsbücher. Er nahm den Band »April« heraus und studierte die Namensliste auf dem Innendeckel, wobei er überlegte, ob er vom Kopierraum über dem Hof gesehen werden konnte, und wenn ja, würden sie stutzig werden? Er ging die Eintragungen durch, seine Suche galt der Nacht vom 10. zum 11. des Monats, in der die Codeverbindung zwischen London Station und Tarr angeb­lich stattgefunden hatte. Hongkong war zeitlich acht Stunden voraus: sowohl Tarrs Telegramm wie Londons erste Antwort waren in die Zeit außerhalb der Dienststunden gefallen. Vom Korridor kam plötzlich ein Stimmenschwall, und eine Se­kunde lang glaubte er sogar, das humorlose Scherzen von Alle­lines schottisch gefärbtem Brummbaß herauszuhören, aber was er glaubte, war im Moment keinen Pfifferling wert. Er hatte sich eine Ausrede zurechtgelegt, und ein Teil seiner Person hielt sie bereits für wahr. Sollte er erwischt werden, so würde seine ganze Person sie für wahr halten, und falls die Inquisitoren in Sarratt ihn in die Zange nehmen würden, hatte er einen Helfer in der Not, er reiste niemals ohne. Dennoch packte ihn Entsetzen. Die Stimmen erstarben, und der Geist Percy Allelines mit ihnen. Schweiß rann ihm über die Rippen. Ein Mädchen trippelte vor­bei und summte eine Melodie aus Hair. Wenn Bill dich hört, Mädchen, bringt er dich um, dachte er; wenn es etwas gibt, was Bill in Fahrt brachte, dann war es Summen. »Was haben Sie hier zu suchen, Sie Paria?«