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Dann hörte er zu seiner flüchtigen Erheiterung tatsächlich Bills wütendes Gebrüll, das aus Gott weiß welcher Entfernung er­scholclass="underline" »Schluß mit dem Gewinsel. Wer ist denn dieses Kamel?« Weiter. Sobald du stehenbleibst, kommst du nie mehr los; dieses Lampenfieber macht dich fertig, du vergißt deinen Text und läufst weg, deine Finger verbrennen, sobald du fündig wirst, und das Herz fällt dir in die Hosen. Weiter. Er stellte den April-Band zurück und nahm auf gut Glück Februar, Juni, September und Oktober heraus. Er blätterte sie rasch durch, suchte nach ähn­lichen Fällen, stellte sie ins Fach zurück und ging in die Hocke. Wenn sich doch der Staub legen wollte, er schien unerschöpflich zu sein. Warum beschwerte sich niemand? Immer das gleiche, wenn viele Leute den gleichen Gegenstand benutzen: keiner ist verantwortlich, keiner schert sich einen Deut. Er suchte jetzt die Anwesenheitslisten der Nachtportiers. Er fand sie im untersten Fach, zwischen den Teebeuteln und der Dosenmilch: ganze Bün­del, in großen Kuverts. Die Portiers füllten sie aus und brachten sie einem zweimal während der zwölfstündigen Dienstzeit: um Mitternacht und um sechs Uhr morgens. Man bestätigte ihre Richtigkeit, was praktisch unmöglich war, denn das Personal vom Nachtdienst war über das ganze Gebäude verstreut — zeich­nete sie ab, behielt eine dritte Kopie und schmiß sie in den Stahlschrank, niemand wußte, warum. Das jedenfalls war das Verfahren vor der Sintflut gewesen und war es anscheinend auch jetzt noch.

Staub und Teebeutel im gleichen Fach, dachte er. Wann hat zum letztenmal jemand Tee gemacht?

Wiederum konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf den 10./11. April. Das Hemd klebte ihm an den Rippen. Was ist los mit mir. Herrgott, ich bin auf dem absteigenden Ast. Er blätterte vor und zurück, dann wieder vor, zweimal, dreimal, dann stellte er alles zurück und schloß den Schrank. Er wartete, lauschte, warf einen letzten besorgten Blick auf die Staubwolke und schritt dann kühn über den Korridor und zurück in die Geborgenheit von »Herren«.

Unterwegs fielen ihn die Geräusche an: »Wo ist der verdammte Wisch, ich hab ihn in der Hand gehabt«, und wieder dieses ge­heimnisvolle Flöten, aber es klang nicht mehr wie Camillas Spiel im Morgengrauen. Nächstes Mal bring' ich sie dazu, daß sie's tut, dachte er grimmig, ohne Kompromiß, Auge in Auge, wie das Leben sein sollte.

In »Herren« standen Spike Kaspar und Nick de Silsky Schulter an Schulter an den Waschbecken und flüsterten einander im Spiegel zu: Kuriere für Haydons sowjetisches Netz, seit Jahren im Haus und nur unter dem Namen »die Russen« bekannt. Als sie Guillam sahen, hörten sie sofort zu sprechen auf. »Hallo, ihr zwei! Herrgott, ihr seid wirklich unzertrennlich!« Sie waren blond und vierschrötig und sahen russischer aus als jeder Russe. Er wartete, bis sie weg waren, wusch sich den Staub von den Fingern und spazierte zurück in Lauder Stricklands Büro. »Du meine Güte, dieser Delphin redet wie ein Buch«, sagte er nonchalant.

»Sehr tüchtige Kraft. Nahezu unentbehrlich, mehr als jeder an­dere. Äußerst kompetent, ich weiß, was ich sage«, sagte Lauder. Er blickte pedantisch auf die Uhr, ehe er den Zettel unterschrieb, und begleitete ihn zu den Aufzügen. Toby Esterhase stand an der Schranke und sprach mit dem unfreundlichen jungen Portier. »Fahren Sie zurück nach Brixton, Peter?« Sein Tonfall war bei­läufig, seine Miene wie immer undurchdringlich. »Warum?«

»Ich hab' draußen einen Wagen stehen. Dachte, ich könnte Sie vielleicht mitnehmen. Wir haben dort draußen etwas zu erledi­gen.«

Toby sprach keine bekannte Sprache perfekt, aber er sprach sie alle. In der Schweiz hatte Guillam sein Französisch gehört, und es hatte einen deutschen Akzent gehabt; sein Deutsch klang slawisch, und sein Englisch war voller winziger Fehler und Stockungen und falschklingender Vokale.

»Sehr nett, Toby, ich glaube, ich geh' nach Hause. Gute Nacht.«

»Direkt nach Hause? Ich würde Sie hinbringen.«

»Danke, ich muß noch Besorgungen machen. Alle diese ver­wünschten Patenkinder.«

»Klar«, sagte Toby, als hätte er auch welche und zog das kleine steinharte Kinn enttäuscht zurück.

Was zum Teufel will er? dachte Guillam wieder. Beide, der kleine Toby und der große Roy: Warum sind sie so scharf auf mich? Hatten sie vorhin etwas Bestimmtes gelesen oder etwas in den falschen Hals bekommen?

Draußen schlenderte er die Charing Cross Road entlang und beäugte die Schaufenster der Buchläden, während die andere Hälfte seiner Aufmerksamkeit den beiden Seiten des Gehsteigs galt. Es war bedeutend kälter geworden, Wind kam auf, und Er­wartung stand in den Gesichtern der Vorüberhastenden zu lesen. Er fühlte sich beflügelt. Bisher hatte er viel zu sehr in der Ver­gangenheit gelebt, fand er. Zeit, daß ich mich wieder auf de Gegenwart einschieße. Bei Zwemmer schaute er sich einen reprä­sentativen Bildband an mit dem Titel »Musikinstrumente im Wandel der Jahrhunderte«, und erinnerte sich, daß Camilla eine Abendlektion bei Doktor Sand, ihrem Flötenlehrer, hatte. Er ging bis zu Foyle zurück und sah sich im Vorbeigehen die Busschlan­gen genau an. Betrachten Sie alles wie ein fremdes Land, hatte Smiley gesagt. Wenn er sich an das Dienstzimmer und Roy Blands kalte Fischaugen erinnerte, hatte Guillam keine Schwierigkeiten. Und auch an Bilclass="underline" Teilte Haydon ihren Verdacht? Nein. Bill war eine eigene Klasse, dachte Guillam in einer unwiderstehlichen Auf­wallung von Loyalität gegenüber Haydon. Bill würde nie etwas teilen, was nicht ursprünglich seine eigene Idee war. Neben Bill waren die beiden anderen nur Pygmäen.

In Soho nahm er ein Taxi und fuhr zur Waterloo Station. Am Bahnhof rief er von einer übelriechenden Telefonzelle aus eine Nummer in Mitcham, Surrey, an und sprach mit einem Inspek­tor Mendel, einem ehemaligen Mitglied der Sonderabteilung, den Guillam und Smiley aus einem früheren Leben kannten. Als Mendel sich meldete, fragte er nach Jenny und hörte, wie Mendel ihm kurz angebunden mitteilte, hier wohne keine Jenny. Er ent­schuldigte sich und hängte ein. Er wählte die Zeitansage und mimte ein heiteres Gespräch mit seiner automatischen Partnerin, denn draußen wartete eine alte Dame auf das Ende des Gesprächs. Inzwischen müßte er da sein, dachte er. Er hängte ein und wählte eine zweite Nummer in Mitcham, dieses Mal eine öffentliche Sprechzelle am Ende von Mendels Straße. »Hier Will«, sagte Guillam.

»Und hier Arthur«, sagte Inspektor Mendel fröhlich. »Wie geht's, Will!«

Er war ein gewiefter, unbeirrbarer Spürhund mit scharfen Zügen und scharfen Augen, und Guillam konnte sich genau vorstellen, wie er sich jetzt mit gezücktem Stift über sein Notizbuch beugte.

»Ich möchte Ihnen die Schlagzeilen durchgeben, falls ich unter einen Bus geraten sollte.«

»Sehr richtig, Will«, sagte Mendel tröstlich. »Man kann gar nicht vorsichtig genug sein.« Er berichtete langsam und in Ausdrücken aus der Universitäts­welt, was sie als letzte Sicherung gegen etwaiges Abhören ver­einbart hatten: Examen, Studenten, gestohlene Prüfungsaufgaben. Sooft er absetzte, hörte er nur ein schwaches Kratzen. Er stellte sich vor, wie Mendel bedächtig und leserlich mitschrieb und nicht sprach, ehe er alles zu Papier hatte.