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»Ich hab' übrigens die phantastischen Präparate aus der Drogerie gekriegt«, sagte Mendel schließlich, nachdem er alles nochmals überlesen hatte. »Eine wahre Freude. Kein einziges verdorben.«

»Vielen Dank. Das freut mich.« Aber Mendel hatte bereits eingehängt.

Apropos Maulwürfe, dachte Guillam, ihr Leben muß ein ein­ziger dunkler Tunnel sein. Aber als er die Tür für die alte Dame offenhielt, sah er den Telefonhörer auf der Gabel liegen und den Schweiß in Tropfen darüberkleben. Er bedachte noch einmal seine Botschaft an Mendel, dachte wieder an Roy Bland und Toby Esterhase, wie sie ihn von der Tür her angestarrt hatten und überlegte fieberhaft, wo Smiley sein mochte und ob er sich in acht nehmen würde. Er kehrte zum Eaton Place zurück, sehnte sich nach Camilla und fürchtete sich ein bißchen vor seinen Gründen. War ihm wirklich plötzlich sein Alter so im Weg? Zum erstenmal im Leben hatte er sozusagen gegen sein eigenes Elitedenken gesündigt. Er fühlte sich schmutzig, empfand Ekel vor sich selbst.

George Smiley sucht wieder einmal Oxford auf und konsultiert eine Gedächtnis-Akrobatin

Es gibt alte Männer, die Oxford wieder aufsuchen und in jedem Stein einen Gruß aus ihrer Jugend erblicken. Smiley gehörte nicht zu ihnen. Vor zehn Jahren hätte er vielleicht ein leises Ziehen gespürt. Jetzt nicht mehr. Als er an der Bodleian Library vorüberkam, dachte er: dort habe ich gearbeitet. Beim Anblick des Hauses seines alten Tutors in der Parks Road erinnerte er sich, wie in diesem langgestreckten Garten, vor dem Krieg, Jebedee mit dem Vorschlag herausgerückt war, Smiley könne, wenn er Lust habe, »mit ein paar Leuten, die ich in London kenne«, sprechen. Und als er vom Tom Tower die sechste Abendstunde schlagen hörte, fielen ihm Bill Haydon und Jim Prideaux ein, die im gleichen Jahr hierhergekommen sein mußten, in dem Smiley abgegangen war, und die dann der Krieg in seinen Strudel ge­rissen hatte, und er überlegte flüchtig, wie sie damals wohl neben­einander ausgesehen haben mochten, Bill, der Maler, Polemiker und Sozialkritiker; Jim, der Sportsmann, der an jedem seiner Worte hing. Während ihrer gemeinsamen Blütezeit im Circus hatte diese Verschiedenheit sich, wie Smiley noch wußte, nahezu ausgeglichen: Jim wurde ein flinker Denker, und Bill konnte im Außendienst keiner mehr etwas vormachen. Erst am Ende be­stätigte sich die alte Gegensätzlichkeit: das Zugpferd kehrte wieder in seinen Stall zurück, der Denker an seinen Schreibtisch. Einzelne Regentropfen fielen, aber er sah sie nicht. Er war mit dem Zug gekommen und vom Bahnhof aus auf allerlei Umwegen - Blackwells, immerhin sein früheres College, dann nordwärts - zu Fuß gegangen. Wegen der Bäume war die Dämmerung hier früh eingefallen.

Vor einer Sackgasse hielt er aufs neue inne, machte aufs neue In­ventur. Eine Frau, in einen Schal gehüllt, radelte durch die Licht­kegel der Straßenlampen, soweit sie die Nebelschwaden durch­stachen, an ihm vorbei. Sie stieg ab, zog ein Gittertor auf und verschwand. Auf der anderen Straßenseite führte eine ver­mummte Gestalt, ob Mann oder Frau, war nicht zu unterschei­den, einen Hund spazieren. Sonst war die Straße leer, desgleichen die Telefonzelle. Dann gingen plötzlich zwei Männer an ihm vorbei, die sich laut über Gott und Krieg unterhielten. Der jüngere sprach die meiste Zeit und der ältere stimmte ihm zu, woraus Smiley schloß, daß er der Professor sei.

Er ging an einem hohen Staketenzaun entlang, durch den Busch­werk quoll. Das Tor zu Nummer fünfzehn hing windschief in den Angeln, nur einer der beiden Flügel wurde benutzt. Er drückte, das Schloß war zerbrochen. Das Haus stand weit zu­rück, die meisten Fenster waren erleuchtet. In einem der oberen Räume beugte sich ein junger Mann über einen Schreibtisch. In einem anderen schienen zwei Mädchen zu streiten, an einem dritten Fenster spielte eine Frau auf der Bratsche, aber er konnte keinen Ton hören. Auch im Erdgeschoß waren die Fenster er­leuchtet, aber die Gardinen zugezogen. Der Vorplatz war gefliest, die Haustürfüllung aus Buntglas, am Pfosten hing ein alter Zetteclass="underline" Nach 23 Uhr nur Seiteneingang benutzen. Über den Klingeln weitere Zetteclass="underline" »Prince, 3 x klingeln«, Lumby 2 x«, »Buzz: bin den ganzen Abend weg, Gruß Janet.« An der untersten Klingel stand »Sachs«, und dort klingelte er. Sofort erscholl Hundegebell und die scheltende Stimme einer Frau.

»Flush, du dummer Kerl, ist doch bloß einer von den Esels­bänklern. Schluß jetzt, Flush. Flush!«

Die Tür ging einen Spalt auf, eine Sperrkette war vorgelegt; ein Körper zwängte sich in den Türspalt. Während Smiley sich fieber­haft bemühte, zu sehen, wer sonst noch im Haus sei, muster­ten ihn zwei schlaue Augen, feucht wie Babyaugen, schätzten ihn ab, registrierten seine Aktenmappe und die verspritzten Schuhe, huschten nach oben, um über seine Schultern hinweg die Auf­fahrt abzusuchen, und nahmen ihn sich noch einmal im ganzen vor. Endlich erstrahlte das weiße Gesicht in einem reizenden Lächeln, und Miß Connie Sachs, Ex-Königin der Recherchen-Abteilung im Circus, gab ihrem spontanen Entzücken Ausdruck. »George Smiley«, rief sie mit schüchtern verwehendem Lachen und zog ihn ins Haus. »Sie lieber, netter Mensch, und ich dachte, Sie wollten mir einen Staubsauger verkaufen und dabei ist es unser George!« Sie schloß hinter ihm schnell die Tür. Sie war eine stattliche Frau, einen Kopf größer als Smiley. Wirres, weißes Haar rahmte das zerfließende Gesicht. Sie trug einen braunen Blazer und Hosen mit Gummizug um die Taille, und sie hatte einen Hängebauch wie ein alter Mann. Im Kamin schwelte ein Koksfeuer. Katzen lagen davor, und ein räudiger grauer Spaniel, bis zur Unbeweglichkeit verfettet, lungerte auf dem Sofa. Auf einem Teewagen standen die Konservendosen, aus denen sie aß, und die Flaschen, aus denen sie trank. Aus einem Mehrfachstecker bezog sie den Strom für ihr Radio, ihre Koch­platte und die Brennschere. Ein Junge mit schulterlangem Haar lag auf dem Boden und bereitete Toast. Als er Smiley sah, legte er die Blechgabel weg.

»Ach Jingle, Darling, könntest du wohl morgen kommen?« flehte Connie. »Es passiert nicht oft, daß meine allerälteste Liebe mich besucht.« Er hatte ihre Stimme vergessen. Sie spielte ständig damit, zog sämtliche Register. »Ich gebe dir eine Freistunde, Lieber, ganz unter uns: einverstanden? - Einer von meinen Esels­bänklern«, erklärte sie Smiley, längst ehe der Junge außer Hör­weite war. »Ich gebe immer noch Stunden, warum weiß ich nicht, George«, murmelte sie und beobachtete ihn stolz über das Zimmer hinweg, während er die Sherryflasche aus der Aktenmappe nahm und zwei Gläser füllte. »Von all den lieben, netten Männern, die ich je gekannt habe - er ist zu Fuß gegangen«, erklärte sie dem Spaniel.

»Schau nur seine Stiefel an. Den ganzen Weg von London hierher zu Fuß, nicht wahr, George?«

Das Trinken fiel ihr schwer. Ihre gichtigen Finger waren nach unten gekrümmt, als hätte sie sie allesamt beim gleichen Unfall gebrochen, und ihr Arm war steif. »Sind Sie allein marschiert, George?« fragte sie und fischte eine lose Zigarette aus der Jacken­tasche. »Hat uns niemand begleitet?«

Er zündete ihr die Zigarette an, und sie hielt sie wie ein Erbsen­blasrohr, die Finger an der Spitze, und visierte ihn aus ihren schlauen rosa Augen damit an. »Und was möchte er von seiner Connie, der böse Junge?«

»Ihr Gedächtnis.«

»Welchen Teil?«

»Wir gehen einiges aus der Vergangenheit durch.«

»Hast du das gehört, Flush?« schrie sie zu dem Spaniel. »Erst stellen sie uns den Stuhl vor die Tür, dann möchten sie bei uns schnorren. Welche Vergangenheit, George?«

»Ich habe Ihnen einen Brief von Lacon mitgebracht. Er ist heute abend um sieben in seinem Club. Wenn Sie Bedenken haben, rufen Sie ihn von der Telefonzelle an der Ecke aus an. Mir wäre lieber, Sie täten's nicht, aber wenn's sein muß, wird er die nötigen ergreifenden Geräusche von sich geben.«