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Sie hatte sich an ihn geklammert, aber jetzt fielen ihre Hände herab und eine ganze Weile tappte sie im Zimmer herum, suchte Rast und Stütze an den vertrauten Plätzen und fluchte: »Fahr zur Hölle, George Smiley, und alle, die im gleichen Boot sitzen.« Am Fenster schob sie, wohl aus Gewohnheit, die Gardine beiseite, aber draußen schien nichts ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. »O George, der Teufel soll Sie holen«, murmelte sie. »Wie können Sie einen Lacon zuziehen? Dann könnten Sie auch gleich die Konkurrenz zuziehen.«

Auf dem Tisch lag die heutige Times, Kreuzworträtsel obenauf. Jedes Quadrat war mit schwerfälligen Buchstaben ausgefüllt. Nicht eines war weiß.

»War heute beim Fußballspiel«, sang sie aus dem Dunkel unter der Treppe, wo sie sich am Teewagen stärkte. »Der liebe Will hat mich mitgenommen. Mein Lieblingsesel, war das nicht super von ihm?« Ihre Kleinmädchenstimme, dazu gehörte ein Schmollmündchen. »Connie hat gefroren, George. Richtig eisig, arme Connie, Zehen und alles.«

Er nahm an, sie weinte, holte sie aus dem Dunkeln und führte sie zum Sofa. Ihr Glas war leer, und er füllte es zur Hälfte. Seite an Seite auf dem Sofa sitzend tranken sie, während Connies Trä­nen über den Blazer auf seine Hände tropften. »O George«, sagte sie immer wieder, »wissen Sie, was sie gesagt hat, als sie mich rauswarfen? Diese Personalkuh?« Sie hielt eine Ecke von Smileys Kragen fest und zwirbelte sie zwischen Finger und Daumen, während sie sich beruhigte. »Wissen Sie, was diese Kuh gesagt hat?« Ihre Feldwebelstimme: >Sie verlieren den Sinn für die Realität, Connie. Zeit, daß Sie rauskommen in die reale Welt!< Ich hasse die reale Welt, George. Ich mag nur den Circus und alle meine lieben Jungens.« Sie nahm seine Hände und ver­suchte, ihre Finger in die seinen zu flechten. »Poljakow«, sagte er ruhig. »Alexei Alexandrowitsch Poljakow, Kulturattache, Sowjetbotschaft London. Er ist wieder aufer­standen, genau wie Sie vorhergesagt haben.« Ein Wagen bog in die Straße ein, er hörte nur das Geräusch der Reifen, der Motor war bereits abgestellt. Dann Schritte, sehr behutsam.

»Janet schmuggelt ihren Freund ein«, flüsterte Connie, und ihre rosageränderten Augen hefteten sich auf die seinen, während sie mit ihm lauschte. »Sie glaubt, ich wüßte es nicht. Haben Sie ge­hört? Eisen an den Schuhen. Passen Sie auf.« Die Schritte hielten inne, man hörte ein leises Scharren. »Sie gibt ihm den Schlüssel. Er glaubt, er kann leiser damit aufschließen als sie. Kann er nicht.« Das Schloß drehte sich mit lautem Schnappen. »Ach, ihr Männer«, hauchte Connie mit hoffnungslosem Lächeln. »Ach, George. Warum müssen Sie Alex ausgraben?« Und eine Zeitlang weinte sie um Alex Poljakow.

Ihre Brüder waren Akademiker, erinnerte Smiley sich; ihr Vater war Universitätsprofessor. Control hatte sie beim Bridge kennen­gelernt und einen Job für sie erfunden.

Sie begann ihre Geschichte wie ein Märchen: »Es war einmal, vor vielen, vielen Jahren, anno dreiundsechzig, ein Überläufer namens Stanley«, und sie ging dabei mit der gleichen Pseudo-­Logik zu Werke, teils Intuition, teils intellektueller Opportunis­mus, wie sie ein großartiger Verstand hervorbringt, der nie er­wachsen wurde. Auf ihrem formlosen weißen Gesicht erschien der großmütterliche Glanz beglückten Erinnerns. Ihr Gedächtnis war so umfangreich wie ihr Körper, und sie liebte es sicherlich mehr, denn um ihm zu lauschen, hatte sie alles andere beiseite ge­schoben: den Drink, die Zigarette, eine Weile sogar Smileys ge­duldige Hand. Sie saß nicht mehr zusammengekauert, sondern kerzengerade, den großen Kopf zur Seite geneigt, und zupfte an dem weißen Wollhaar. Er hatte angenommen, sie würde sofort mit Poljakow beginnen, aber sie begann mit Stanley; er hatte ihre Leidenschaft für Stammbäume vergessen. Stanley also; der Deck­name für einen fünftklassigen Überläufer aus der Moskauer Zentrale. März dreiundsechzig. Die Skalpjäger hatten ihn aus zweiter Hand von den Holländern gekauft und nach Sarratt ver­frachtet, und wenn nicht Sauregurkenzeit gewesen wäre und die Inquisitoren zufällig wenig Arbeit gehabt hätten, wer weiß, ob irgend etwas von der ganzen Geschichte ans Licht gekommen wäre. In Brüderchen Stanley steckte ein Goldkörnchen, ein ein­ziges winziges Körnchen, und sie fanden es. Den Holländern war es entgangen, aber die Inquisitoren fanden es, und eine Kopie ihres Berichts fand den Weg zu Connie: »Was ein weiteres Wunder war«, bellte Connie erzürnt, »wenn man bedenkt, daß alle, und besonders Sarratt, dem Grundsatz huldigten, die Recher­chen-Abteilung nicht auf ihrer Verteilerliste zu führen . . .« Smiley wartete geduldig auf das Goldkörnchen, denn Connie war in einem Alter, wo ein Mann ihr nur noch seine Zeit schen­ken konnte.

Stanley sei während eines bewaffneten Einsatzes in Den Haag übergelaufen, erklärte sie. Er war ein berufsmäßiger Killer und nach Holland geschickt worden, um einen russischen Emigran­ten zu ermorden, der der Zentrale auf die Nerven ging. Statt dessen beschloß er, sich der Gegenseite zu stellen. »Irgendein Mädchen hat ihm den Kopf verdreht«, sagte Connie voll Ver­achtung. »Die Holländer hatten diesen Lockvogel auf ihn ange­setzt, und er ist ihm mit weit geschlossenen Augen ins Garn ge­gangen.«

Um ihn auf diese Mission vorzubereiten, hatte die Zentrale ihn in ein Trainingslager in der Nähe von Moskau gebracht, zwecks Auffrischung in den schwarzen Künsten: Sabotage und lautloses Töten. Die Holländer, die ihn zunächst hatten, waren darüber schockiert gewesen und hatten ihre Verhöre auf diesen Punkt konzentriert. Sie brachten ein Foto in die Zeitungen und ließen ihn Zeichnungen von Zyanidkugeln und all den anderen schmut­zigen Waffen anfertigen, die der Zentrale so teuer sind. Aber die Inquisitoren in der Nursery kannten das alles in- und aus­wendig, sie interessierten sich für das Trainingslager, das neu eingerichtet und wenig bekannt war. »Eine Art Nobel-Sarratt«, erklärte sie. Sie erstellten eine Skizze der Anlage, die Hunderte von Morgen Wald- und Seenland umfaßt, und zeichneten alle Gebäude ein, an die Stanley sich erinnern konnte: Wäschereien, Kantinen, Vortrags-Baracken, den ganzen Plunder. Stanley war mehrmals dort gewesen und erinnerte sich an eine Menge. Sie glaubten schon, ziemlich alles zu haben, als Stanley sehr still wurde. Er nahm einen Bleistift und malte in die Nordwestecke fünf weitere Baracken und rundum einen Doppelzaun für die Wachhunde, der Gute. Diese Baracken seien neu, sagte Stanley, erst in den letzten Monaten errichtet. Man erreichte sie über eine Privatstraße; Stanley hatte sie von einem Hügel aus gesehen, als er mit seinem Instrukteur Milos einen Spaziergang machte. Laut Milos, der Stanleys Freund war, sei dort eine unlängst von Karla gegründete Spezialschule untergebracht, die Offiziere für Ver­schwörungen ausbildete.

»Da hatten wir's also, mein Lieber«, schrie Connie. »Seit Jahren kamen uns Gerüchte zu Ohren, wonach Karla versuchte, inner­halb der Moskauer Zentrale seine eigene Privatarmee aufzubauen, aber, das arme Schaf, er hat es nicht geschafft. Wir wußten, daß er Agenten rund um den Globus hatte und natürlich mit zunehmendem Alter immer besorgter wurde, er könne sie eines Tages nicht mehr allein unter Kontrolle halten. Wir wußten, daß er, wie jeder, schrecklich eifersüchtig auf sie war und den Ge­danken, sie den Außenstellen in den Zielländern zu überlassen, nicht ertragen konnte. Ganz klar: Sie wissen, wie er Außen­stellen haßte: zu viele Leute, zu wenig Sicherheit. Genau, wie er die alte Garde haßte - Kriechtiere, nannte er sie. Stimmt. Jetzt aber hatte er die Macht, und er nutzte sie, wie jeder echte Mann. März dreiundsechzig«, wiederholte sie, falls Smiley das Datum entgangen sein sollte.