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»Sir, brennt die Schule?«

»Sir, hat sie hübsche Beine?«

»Gosh, Sir, ist es wirklich Miss Aaronson?« Hier begannen alle zu kichern, denn Miss Aaronson war alt und häßlich. »Klappe halten«, schnappte Jim ärgerlich. »Haltet die Klappe, ihr Rübenschweine.« Drunten im Tagesraum verlas Thursgood die Anwesenheitsliste der Großen vor der Lernstunde. »Abercrombie? Sir. Astor? Sir. Blakeney? Krank, Sir.« Von seinem Beobachtungsposten aus sah Jim, wie die Wagentür aufging und George Smiley behutsam aus dem Wagen heraus­kletterte; er trug einen schweren Mantel.

Matrons Schritte hallten im Korridor. Er hörte das Quietschen ihrer Gummiabsätze und das Klappern der Fieberthermometer in einem Kleistertopf.

»Mein lieber Rhino, was tun Sie in meinem Krankensaal? Und schließen Sie den Vorhang, Sie böser Junge, sonst stirbt mir noch die ganze Bande an Lungenentzündung. William Merridew, auf­setzen, dalli!«

Smiley schloß den Wagen ab. Er war allein und trug nichts bei sich, nicht einmal eine Mappe.

»Sie schreien in Grenville nach Ihnen, Rhino.«

»Geh schon, bin schon weg«, gab Jim munter zurück, und mit einem zackigen »Nacht mit'nander« wuchtete er zum Grenville-Schlafsaal, wo er sein Versprechen, eine Geschichte fertig zu lesen, einhalten mußte. Beim Vorlesen stellte er fest, daß er bei man­chen Lauten Schwierigkeiten hatte, sie verhakten sich irgendwo in seiner Kehle. Er wußte, daß er schwitzte, er vermutete, daß sein Rücken näßte, und als er mit der Geschichte zu Ende war, hatte er eine Art Krampf im Kiefer, der nicht bloß vom Vorlesen kam. Aber das alles waren nebensächliche Symptome im Vergleich zu der Wut, die in ihm aufstieg, als er in die eisige Nachtluft hinaustrat. Eine Weile stand er unschlüssig auf der unkrautbe­wachsenen Terrasse und starrte auf die Kirche. Er würde drei Minuten brauchen, weniger sogar, um den Revolver unter dem Kirchenstuhl loszumachen, in den Hosenbund zu stecken, links, Griff nach innen, zur Leiste.

Aber sein Instinkt sagte »Nein«, also nahm er direkten Kurs auf den Wohnwagen und sang dabei »Hei diddel dei, hei diddel dei«, so laut seine unmelodische Stimme reichte.

Jim Prideaux beschreibt einen Nachtmarsch, und George Smiley sieht zum ersten Mal Licht

In dem Motelzimmer herrschte dauernde Ruhelosigkeit. Selbst wenn der Verkehr draußen eine seiner seltenen Pausen machte, vibrierten die Fenster weiter. Auch die Zahngläser im Bad vi­brierten, und durch beide Zimmerwände und die Decke hörten sie Musik, Poltern und Gesprächsfetzen oder Lachen. Wenn ein Wagen im Vorhof ankam, schien das Türenknallen mitten im Zimmer stattzufinden und die Schritte ebenfalls. Die Einrich­tungsgegenstände waren aufeinander abgestimmt. Die gelben Stühle waren auf die gelben Bilder und den gelben Teppich abge­stimmt. Die Häkeldecken über den Betten paßten zur orangefar­benen Türbemalung und zufällig auch zum Etikett auf der Wodka­flasche. Smiley hatte alles säuberlich vorbereitet. Er hatte die Stühle in angemessene Entfernung gerückt, die Wodkaflasche auf den niedrigen Tisch gestellt, und als Jim nun dasaß und ihn finster anstarrte, holte er einen Teller mit geräuchertem Lachs aus dem winzigen Kühlschrank, nebst fertig mit Butter bestrichenem Land­brot. Im Gegensatz zu Jim war er bemerkenswert gut gelaunt, und seine Bewegungen waren flink und gezielt.

»Ich dachte, wir sollten's wenigstens gemütlich haben«, sagte er mit flüchtigem Lächeln und deckte geschäftig den Tisch. »Wann müssen Sie wieder in der Schule sein? Ist eine Zeit festgesetzt?«

Als er keine Antwort erhielt, setzte er sich. »Macht Ihnen das Unterrichten Spaß? Ich glaube mich zu erinnern, daß Sie's nach dem Krieg eine Weile getan haben, stimmt das? Ehe Sie wieder zurückgeholt wurden? War das auch ein Internat?«

»Schauen Sie in den Akten nach«, bellte Jim. »Spielen Sie gefälligst nicht Katz und Maus mit mir, George Smiley. Wenn Sie irgend etwas wissen wollen, lesen Sie meine Akte.«

Smiley langte über den Tisch, goß zwei Gläser ein und reichte eines davon Jim.

»Ihre Personalakte im Circus?«

»Holen Sie sie bei der Personalabteilung, bei Control.«

»Ja, das wäre vielleicht besser«, sagte Smiley zweifelnd. »Der Haken ist nur: Control ist tot, und ich wurde rausgeworfen, lange ehe Sie zurückkamen. Hat sich niemand die Mühe gemacht, Ihnen das mitzuteilen, als man Sie nach Hause holte?« Nun wurden Jims Züge weicher, und er vollführte in Zeitlupe eine jener Handbewegungen, die den Jungen in Thursgood soviel zu lachen gaben! »Lieber Gott«, flüsterte er, »Control ist also hin­über«, fuhr sich mit der linken Hand über die Schnurrbarthörner und dann hinauf zu seinem mottenzerfressenen Haar. »Armer alter Knabe«, murmelte er. »Woran ist er gestorben, George? Herz? Herztod?«

»Nicht einmal das hat man Ihnen bei Ihrer Desinstruktion nach der Rückkehr gesagt?« fragte Smiley.

Bei dem Wort »Desinstruktion« wurde Jims Haltung steif und sein Blick wieder starr.

»Ja«, sagte Smiley, »es war sein Herz.«

»Wer hat den Job gekriegt?«

Smiley lachte: »Du liebe Güte, Jim, worüber habt ihr eigentlich in Sarratt gesprochen, wenn sie Ihnen nicht mal das gesagt ha­ben?«

»Herrgott noch mal, wer hat den Job gekriegt? Sie waren's nicht, wie, Sie sind rausgeflogen! Wer hat den Job gekriegt, George?«

»Alleline hat ihn gekriegt«, sagte Smiley und beobachtete Jim scharf; er sah, daß der rechte Unterarm regungslos auf seinen Knien lag. »Wem hätten Sie ihn zugedacht? Sie hatten einen Kan­didaten, wie, Jim?« Und nach einer langen Pause: »Und sie haben Ihnen auch nicht zufällig gesagt, was mit dem Netz Aggravate passiert ist? Mit Pribyl, mit seiner Frau und seinem Schwager? Oder mit dem Netz Plato? Landkron, Eva Kriegiowa, Hanka Bilowa? Einige von ihnen haben Sie selber angeworben, nicht wahr, in den alten Tagen vor Roy Bland? Der alte Landkron hat sogar vor dem Krieg für Sie gearbeitet.«

Es war für Smiley schrecklich anzusehen, wie Jim keine Bewegung nach vorn machte und auch nicht zurück konnte. Das unregel­mäßige rote Gesicht war von der Qual der Unentschlossenheit verzerrt, und Schweiß hatte sich in dicken Tropfen über den röt­lichen Brauen gesammelt.

»Herrgott noch mal, George, was zum Teufel wollen Sie eigent­lich? Ich habe einen Schlußstrich gezogen. Genau das sagten sie, solle ich tun. Einen Schlußstrich ziehen, ein neues Leben anfangen, die ganze Geschichte vergessen.«

»Wer sind diese sie, Jim? Roy? Bill, Percy?« Er wartete. »Haben sie Ihnen gesagt, wer immer sie auch waren, was aus Max geworden ist? Max ist übrigens wohlauf«, fügte er rasch hinzu. Er stand behend auf, goß Jims Glas aufs neue voll, dann setzte er sich wieder.

»Na schön, schießen Sie los, was ist mit den beiden Netzen pas­siert?«

»Aufgerollt, angeblich haben Sie sie verpfiffen, um Ihre eigene Haut zu retten. Ich glaube es nicht. Aber ich muß wissen, was passiert ist.« Er sprach sofort weiter: »Ich weiß, Sie mußten Control schwören, bei allem, was heilig ist, aber das ist vorbei. Ich weiß, daß Sie halb zu Tode ausgequetscht wurden, und ich weiß, Sie haben einiges so gründlich weggepackt, daß Sie es selber kaum mehr finden und nicht mehr wissen, was Wahrheit und was Tarnung ist. Ich weiß, daß Sie einen Schlußstrich darunter gezogen haben und sich sagen, das alles ist überhaupt nicht pas­siert. Ich habe das selber auch versucht. Nach diesem Abend können Sie Ihren Schlußstrich ziehen. Ich habe einen Brief von Lacon bei mir, und wenn Sie ihn anrufen wollen, dann garantiert er für mich. Ich will Sie nicht zum Schweigen bringen. Eher zum Sprechen. Warum haben Sie mich nach Ihrer Rückkehr nicht zu Hause aufgesucht? Das hätten Sie doch tun können. Vor Ihrer Reise haben Sie versucht, mich zu sprechen, warum also nicht danach? Sie ließen sich nicht nur von den Vorschriften davon ab­halten.«