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»Ist niemand davongekommen?« sagte Jim. »Nein. Sie wurden vermutlich alle erschossen.« Sie hatten Lacon angerufen, und jetzt saß Smiley allein da und nippte an seinem Glas. Aus dem Badezimmer- hörte er Wasser­rauschen und Grunzen, als Jim sich das Gesicht abspritzte. »Gehen wir doch um Gottes willen irgendwohin, wo man Luft kriegt«, flüsterte Jim, als sei das die Bedingung für seine Sprech­bereitschaft. Smiley nahm die Flasche vom Tisch und ging neben ihm her über den Parkplatz zum Wagen.

Sie fuhren zwanzig Minuten lang; Jim saß am Steuer. Dann hielten sie auf dem Hügel, demselben vom Morgen, ohne Nebel und mit einem weiten Blick ins Tal. Da und dort in der Ferne blinkten einzelne Lichter. Jim saß regungslos da, mit herabhängenden Händen, die rechte Schulter hochgezogen und blickte durch die beschlagene Windschutzscheibe auf die Hügelschatten. Smiley hielt die ersten Fragen knapp. Der Zorn war aus Jims Stimme ge­schwunden, und allmählich sprach er freier. Einmal, als sie über Controls professionelle Geschicklichkeit sprachen, lachte er sogar, aber Smiley entspannte sich nie, er war so aufmerksam, als führte er ein Kind über die Straße. Wenn Jim zu rasch voranzog oder bockte oder aufbrausen wollte, holte Smiley ihn behutsam zurück, bis sie wieder im gleichen Schritt und in die gleiche Richtung gingen. Wenn Jim zögerte, lockte Smiley ihn geschickt über das Hindernis. Eine Mischung aus Instinkt und Logik erlaubte ihm, Jim zunächst mit seiner eigenen Geschichte zu füttern. Hatten sie sich nicht für Jims erste Instruktionen durch Control, so fragte Smiley, außerhalb des Circus getroffen? Ja, das stimmte. Wo? In einem Apartmenthaus in St. James, Control hatte den Treffpunkt vorgeschlagen. War sonst noch jemand anwesend? Nein, niemand. Und um sich zum erstenmal mit Jim in Ver­bindung zu setzen, hatte Control seinen Leibdiener Mac Fadean geschickt, nicht?

Ja, der alte Mac war mit dem Brixton-Bus und einem Zettel ge­kommen, worin Jim für den kommenden Abend zu einem Treffen aufgefordert wurde. Jim sollte Mac ja oder nein sagen und ihm den Zettel zurückgeben. Auf keinen Fall dürfe er das Telefon benutzen, auch nicht den Hausapparat, um über die Verabredung zu sprechen. Jim hatte zu Mac »Ja« gesagt und war um sieben zur Stelle gewesen.

»Als erstes hat Control Sie vermutlich gewarnt?«

»Gesagt, ich darf keinem Menschen trauen.«

»Hat er irgend jemanden namentlich genannt?«

»Später«, sagte Jim. »Zuerst nicht. Zuerst sagte er nur: Trauen Sie keinem. Besonders keinem von der Kerntruppe aus dem inne­ren Kreis. George?«

»Ja.«

»Sie sind einfach erschossen worden, ja? Landkron, Kriegiowa, die Pribyls? Kurzerhand erschossen?«

»Die Geheimpolizei hat beide Netze in der gleichen Nacht auf­gerollt. Was danach geschah, weiß niemand, aber den Verwandten wurde mitgeteilt, sie seien tot. Was im allgemeinen heißt, daß sie's wirklich sind.«

Zu ihrer Linken kletterte eine Reihe Tannen wie eine bewegungs­lose Armee aus dem Tal herauf.

»Und dann hat Control Sie vermutlich gefragt, welche gültigen tschechischen Papiere Sie zur Zeit besäßen«, fuhr Smiley fort. »Stimmt das?«

Er mußte die Frage wiederholen.

»Ich sagte, Hajek«, sagte Jim schließlich. »Jan Hajek, tschechi­scher Journalist, in Paris stationiert. Control fragte mich, wie lange diese Papiere noch brauchbar seien. >Weiß man nicht<, sagte ich. >Manchmal sind sie nach einer einzigen Reise wertlos. <« Seine Stimme wurde plötzlich lauter, als habe er sie nicht mehr unter Kontrolle. »Stocktaub war er, Control, wenn er nicht hören wollte.«

»Und dann sagte er Ihnen, was Sie für ihn tun sollten«, half Smiley weiter.

»Zuerst sprachen wir über die Möglichkeit, alles abzuleugnen. Er sagte, wenn ich erwischt würde, müsse ich Control raushalten. Ein Plan der Skalpjäger, eine Art Privatunternehmung. Schon damals dachte ich: wer zum Teufel soll mir das glauben? Er ließ sich jedes Wort abkaufen«, sagte Jim. »Während der ganzen Instruktion spürte ich seinen Widerstand. Er wollte mich rein gar nichts wissen lassen, aber ich sollte gut informiert sein. >Mir ist ein Angebot zugegangen<, sagt Control. >Hochgestellte Per­sönlichkeit, Deckname Testify. < Tschechische Persönlichkeit?< frage ich. >Hoher Militär<, sagt er. >Sie sind selber Militär, Jim, Sie beide sollten gut miteinander auskommen. < Und so ging's den ganzen Abend lang. Ich dachte, wenn du mir's nicht sagen willst, dann laß es, aber hör auf mit dem Drumrum.« Nach einigen weiteren Runden um den heißen Brei, sagte Jim, sei Control damit herausgerückt, daß Testify ein tschechischer General der Artillerie sei. Sein Name war Stevcek, er war bekannt als prosowjetischer Falke in der Prager Verteidigungs-Hierarchie, was immer das bedeuten mochte. Er war Verbindungsoffizier in Moskau gewesen, einer der sehr wenigen Tschechen, denen die Russen vertrauen. Stevcek hatte Control durch einen Mittelsmann, den Control persönlich in Österreich interviewt hatte, seinen Wunsch vonragen lassen, mit einem führenden Mann des Circus über Angelegenheiten von beiderseitigem Interesse zu sprechen. Der Emissär müsse tschechisch sprechen und in der Lage sein,

Entscheidungen zu treffen. Am Freitag, dem 20. Oktober, werde Stevcek die Waffenforschungsanstalt in Tisnow bei Brunn be­sichtigen, etwa hundert Meilen nördlich der österreichischen Grenze. Anschließend wolle er sich über das Wochenende zu einer Jagdhütte begeben, und zwar allein. Die Hütte liege hoch droben in den Wäldern, nicht weit von Racice entfernt. Er sei bereit, dort am Abend des Sonnabend, 21. Oktober, einen Emissär zu empfangen. Er würde auch nach und von Brunn eine Eskorte stellen.

Smiley fragte: »Hat Control irgend etwas über Stevceks Motiv verlauten lassen?«

»Ein Mädchen«, sagte Jim. »Eine Studentin, mit der er liiert war. Sein später Frühling, sagte Controclass="underline" zwanzig Jahre Altersunter­schied zwischen den beiden. Sie wurde während des Aufstands vom Sommer achtundsechzig erschossen. Bis dahin war es Stev­cek gelungen, seine anti-russischen Gefühle seiner Karriere zu­liebe zu unterdrücken. Der Tod des Mädchens machte dem ein Ende: er wollte sich nur noch an den Russen rächen. Fünf Jahre lang hatte er in aller Stille Informationen gesammelt, die ihnen wirklichen Schaden zufügen könnten. Sobald er unsere Zusage und einen sicheren Kanal bekommen würde, sei er bereit, uns alles zu verkaufen.«

»Hatte Control diese Angaben nachgeprüft?«

»Soweit es ihm möglich war. Über Stevcek war reichlich Material vorhanden. Hungriger Schreibtischgeneral mit einer langen Liste von Stabs-Ernennungen. Technokrat. Wenn er nicht Kurse be­suchte, wetzte er sich im Ausland die Zähne: Warschau, Moskau, ein Jahr lang Peking, eine Zeitlang Militärattache in Afrika, dann wieder Moskau. Jung für seinen Rang.«

»Hat Control Ihnen gesagt, welche Art von Informationen Sie zu erwarten hätten?«

»Verteidigungsmaterial. Raketen. Ballistik.«

»Sonst nichts?« sagte Smiley und reichte ihm die Flasche.