Ortswechsel, sagte Jim. Sein Bericht war seltsam sprunghaft geworden. Zellen, Korridore, Auto . . . Am Flugplatz VIP-Abfertigung und eine Tracht Prügel vor dem Einstieg. Während des Fluges verlor er das Bewußtsein und erhielt seine Strafe dafür. »Bin wieder mal in einer Zelle zu mir gekommen, einer kleineren, ohne Tünche an den Wänden. Manchmal habe ich geglaubt, in Rußland zu sein; nach den Sternen hatte ich errechnet, daß wir nach Osten geflogen waren. Aber manchmal war ich wieder in Sarratt beim Abhärtungs-Training.«
Ein paar Tage lang ließen sie ihn in Ruhe. Sein Kopf war sehr wirr. Immer wieder hörte er die Schießerei im Wald, sah die Militärparade vor sich, und als schließlich die große Sitzung begann, die Marathonsitzung, trat er mit dem Handikap an, daß er sich bereits halb besiegt fühlte.
»Unter anderem einfach Frage der Gesundheit«, erklärte er nun sehr angespannt.
»Wir können eine Pause einlegen, wenn Sie wollen«, sagte Smiley. Aber dort, wo Jim war, gab es keine Pausen, und was er wollte, zählte nicht.
Dieses Verhör ging endlos, sagte Jim. Einmal erzählte er ihnen von Controls Notizen und seinen Tabellen und den farbigen Tinten und Buntstiften. Sie setzten ihm zu wie die Teufel, und er erinnerte sich an eine ausschließlich männliche Zuhörerschaft, die von der anderen Seite des Raums herüberlinste wie lauter verdammte Mediziner und miteinander tuschelte, und er berichtete von den Buntstiften nur, um das Gespräch in Gang zu halten und damit sie mit Fragen aufhörten. Sie hörten zu, aber sie hörten nicht auf.
»Sobald sie von den Farben wußten, wollten sie wissen, was die Farben bedeuteten. >Was bedeutete blau?< >Control benutzte kein Blau.< >Was bedeutete rot? Nennen Sie ein Beispiel für Rot auf der Tabelle. Was bedeutet rot? Was bedeutete rot?< Dann gehen alle hinaus, bis auf ein paar Wachen und einen kleinen, frostigen Burschen, stocksteif, schien der Chef zu sein. Die Wachen führen mich an einen Tisch, und der Kleine setzt sich neben mich wie so ein Zwerg, mit gefalteten Händen. Vor ihm liegen zwei Stifte, rot und grün, eine Tabelle von Stevceks Laufbahn.« Jim war nicht eigentlich zusammengebrochen, seine Phantasie war einfach erschöpft. Er konnte sich keine neuen Geschichten mehr ausdenken. Die Wahrheiten, die er so tief drinnen verschlossen hatte, waren das einzige, das sich noch anbot. »Und da haben Sie ihm von dem faulen Apfel erzählt«, sagte Smiley. »Und von Dame, König, As.«
Ja, gab Jim zu, das habe er getan. Er erzählte ihm, daß Control glaube, Stevcek könne einen Maulwurf innerhalb des Circus identifizieren. Er erzählte ihm von dem Dame-König-Code, und wer jeder einzelne war, Namen für Namen. »Und wie reagierte er?«
»Dachte ein Weilchen nach, dann bot er mir eine Zigarette an. Hat scheußlich geschmeckt.«
»Warum?«
»Amerikanischer Tabak. Camel, eine von der Sorte.«
»Hat er selber auch eine geraucht?« Jim nickte kurz. »Der reinste Schlot«, sagte er. Danach, sagte Jim, sei die Zeit von neuem in Fluß gekommen. Er wurde in ein Lager gebracht, vermutlich in der Umgebung einer Stadt, und lebte dort in einem Hüttenkomplex mit doppelter Stacheldrahtumzäunung. Mit Hilfe eines Wärters konnte er bald allein gehen; einmal machten sie sogar einen Spaziergang im Wald. Das Lager war sehr groß: seine eigene Hüttenanlage war nur ein Teil des Ganzen. Nachts konnte er im Osten den Lichtschimmer einer Stadt sehen. Die Wachen trugen Drillichanzüge und redeten nichts, also konnte er auch daran nicht feststellen, ob er in der Tschechoslowakei oder in Rußland war, aber er setzte entschieden auf Rußland, und der Arzt, der nach einiger Zeit erschien, um sich Jims Rücken anzusehen, benutzte einen russisch-englischen Dolmetscher, um seiner Verachtung für das Werk des Vorgängers Ausdruck zu verleihen. Die Befragung wurde weiterhin in Abständen durchgeführt, aber ohne Feindseligkeit. Sie setzten ein neues Team auf ihn an, aber verglichen mit den ersten elf war es ein Kaffeekränzchen. Eines Nachts wurde er zu einem Militärflugzeug gebracht und mit einem Kampfflugzeug der RAF nach Inverness transportiert. Von dort ging es mit einer kleinen Maschine nach Elstree, dann mit dem Lieferwagen nach Sarratt, beide Male über Nacht. Jim kam jetzt rasch zum Ende. Er hatte sogar schon mit seinen Erlebnissen in der Nursery angefangen, als Smiley die Frage einwarf:
»Und der Chef, der kleine Frostige: den haben Sie nie wiedergesehen?«
Einmal, bejahte Jim; kurz ehe er das Lager verließ. »Was wollte er?«
»Klatschen.« Und dann lauter: »Eine Menge blödes Geschwätz über Leute aus dem Circus, genau gesagt.«
»Über welche Leute?«
Jim wich der Frage aus. Geschwätz darüber, wer im Kommen war und wer auf dem absteigenden Ast. Wer der nächste Anwärter für die Leitung sei: »Wie soll ich das wissen?« sagte ich. »Wissen die verdammten Personalleute längst vor Brixton.«
»Und wer genau wurde bei diesem Geschwätz genannt?« Hauptsächlich Roy Bland, erwiderte Jim mürrisch. Wie vereinbarte Bland seinen Linksdrall mit seiner Arbeit im Circus? Er hat keinen, ganz einfach, sagte Jim. Wie stand Bland mit Esterhase und Alleline? Was hielt Bland von Bill Haydons Malkunst? Dann, wieviel Roy trank und was aus ihm würde, wenn Bill ihm jemals seine Hilfe entzöge? Jim gab dürftige Antworten auf diese Fragen.
»Wurde sonst noch jemand erwähnt?«
»Esterhase«, knurrte Jim ebenso barsch. »Der Scheißkerl wollte wissen, wie man jemals einem Ungarn trauen könnte.«
Nach Smileys nächster Frage schien es, sogar ihm selber, als senkte sich absolute Stille über das ganze schwarze Tal.
»Und was hat er über mich gesagt?« Er wiederholte: »Was hat er über mich gesagt?«
»Zeigte mir ein Feuerzeug. Sagte, es gehöre Ihnen. Geschenk von Ann. >Für George in Liebe von Ann<. Eingraviert.«
»Hat er gesagt, wie er zu dem Feuerzeug gekommen ist? Was hat er gesagt, Jim? Los, ich werde nicht zu heulen anfangen, bloß weil ein russischer Bauernlümmel einen schlechten Witz über mich gemacht hat.«
Jims Antwort hörte sich an wie ein militärischer Befehl. »Er könne sich vorstellen, daß sie nach ihrem Seitensprung mit Bill Haydon die Widmung ändern möchte.« Er wirbelte zum Wagen herum. »Ich hab' ihm gesagt«, brüllte er wütend, »hab's ihm in seine verschrumpelte Visage gesagt. Sie können Bill nicht nach so was beurteilen. Künstler haben völlig andere Maßstäbe. Sehen Dinge, die wir nicht sehen. Fühlen Dinge, die uns nicht zugänglich sind. Der kleine Scheißkerl lacht nur. >Wußte nicht, daß seine Bilder so gut sind<, sagte er. Ich sage zu ihm, George: >Gehn Sie zum Teufel. Gehn Sie verdammt noch mal zum Teufel. Wenn ihr in euerem verdammten Laden einen einzigen Bill Haydon hättet, dann hättet ihr das Spiel längst gewonnen.< Ich sagte zu ihm: > Herrgott noch mal<, sagte ich, >was ist das hier eigentlich, ein Geheimdienst oder die Heilsarmee ?<«
»Sehr gut gesagt«, bemerkte Smiley endlich, als kommentierte er eine weit zurückliegende Debatte. »Und Sie hatten ihn vorher noch nie gesehen?«