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Und was zum Teufel tun sie in Immingham? begehrte er von die­sem Schriftstück zu wissen. Wer um Gottes willen hatte je eine Affäre in Immingham gehabt? Wo war überhaupt dieses Immingham?

Er sann noch immer über diese Frage nach, als sein Blick auf einen unbekannten Regenschirm im Ständer fiel, einen seidenen mit handgenähtem Ledergriff und einem goldenen Ring ohne Initialen. Und mit einer Schnelligkeit jenseits jeder meßbaren Zeit durch­fuhr ihn der Gedanke, daß dieser Schirm trocken war und daher vor sechs Uhr fünfzehn hierhergekommen sein mußte, vor Ein­setzen des Regens, denn auch im Schirmständer war keine Nässe. Auch daß es ein sehr eleganter Schirm war und die Zwinge kaum verkratzt, obwohl er nicht neu war. Und daß der Schirm folglich einem agilen Mann gehören mußte, sogar einem jungen wie Anns derzeitigem Galan. Daß aber sein Besitzer höchst wahrscheinlich auch Smiley kennen mußte, denn er hatte von den Holzsplinten gewußt und sie auch wieder angebracht, sobald er im Haus war, und war so schlau gewesen, die Briefe, nachdem er sie zusammen­geschoben und zweifellos auch gelesen hatte, wieder hinter die Tür zu legen; und daß er kein Liebhaber war, sondern ein Profi wie er selber, der irgendwann einmal mit ihm zusammengearbeitet hatte und seine Handschrift, wie es im Fachjargon heißt, genau kannte.

Die Wohnzimmertür stand einen Spalt offen. Leise schob Smiley sie weiter auf. »Peter?« sagte er.

Durch die Türöffnung sah er zwei schwarze Schuhe bequem übereinandergeschlagen über das Sofaende ragen. »Ich an deiner Stelle würde den Mantel anbehalten, George, alter Junge«, sagte eine liebenswürdige Stimme. »Wir haben einen langen Weg vor uns.«

Fünf Minuten später saß George Smiley, angetan mit einem weiten braunen Reisemantel, einem Geschenk Anns und seinem einzigen trockenen Stück, erbost auf dem Beifahrersitz von Peter Guillams ungemein zugigem Sportwagen, der auf einem Platz in der Nähe geparkt gewesen war. Ihr Ziel war Ascot, berühmt für Frauen und Pferde. Und wohl nicht ganz so berühmt als Wohnort von Mr. Oliver Lacon vom Ministerium, Ehrenmitglied in mehreren gemischten Ausschüssen und Wachhund des Nachrichtendienstes. Oder, wie Guillam es weniger ehrerbietig ausdrückte, Vorturner in Whitehall.

Im Thursgoodschen Internat lag indessen Bill Roach wach im Bett und überdachte die jüngsten Wunder, die ihm im Lauf seiner täglichen Wacht über Jims Wohlergehen begegnet waren. Gestern hatte Jim den Gärtner Latzy in Erstaunen versetzt. Heute hatte er Miss Aaronsons Post gestohlen. Miss Aaronson lehrte Cello und die Bibel, und Roach verehrte sie wegen ihrer Sanftmut. Latzy, der Hilfsgärtner, war eine Displaced Person, ein Flüchtling, und wie alle DPs sprach er kein Englisch oder nur sehr wenig. Aber gestern hatte Jim mit Latzy gesprochen, ihn um seine Hilfe beim Auto-Club gebeten, und er hatte in der Flüchtlingssprache mit ihm gesprochen oder in der, die DPs eben sprechen, und Latzy war auf der Stelle um einen Kopf größer geworden. Die Sache mit Miss Aaronsons Post war schon verzwickter. Als Roach am Morgen nach dem Gottesdienst die Hefte seiner Klasse im Lehrerzimmer abgeholt hatte, hatten zwei Briefe auf dem Ablagetisch gelegen, einer an Jim adressiert und einer an Miss Aaronson. Jims Brief war mit Maschine geschrieben. Der für Miss Aaronson mit der Hand, und die Schrift war Jims Schrift nicht unähnlich. Das Lehrerzimmer war, als Roach diese Ent­deckung machte, leer gewesen. Er nahm sich die Klassenhefte und ging gerade in aller Ruhe wieder hinaus, als Jim durch die andere Tür hereinstapfte, rot und keuchend von seinem Frühmarsch. »Beeilung, Jumbo, es hat schon geläutet«, und er beugte sich über die Briefe. »Ja, Sir.«

»Hundewetter, was, Jumbo?«

»Ja, Sir.«

»Also, ab mit dir.«

An der Tür blickte Roach sich um. Jim stand wieder aufrecht, zurückgelehnt und schlug den Daily Telegraph auf. Die Ablage war leer. Beide Umschläge waren verschwunden. Hatte Jim an Miss Aaronson geschrieben und es sich anders über­legt. Ihr vielleicht einen Heiratsantrag gemacht? Dann kam Bill Roach ein anderer Gedanke. Jim hatte unlängst eine alte Schreibmaschine erstanden, eine invalide Remington, und sie eigenhändig repariert. Hatte er auf ihr einen Brief an sich selber getippt? War er so einsam, daß er sich selber Briefe schrieb, und dazu noch die Briefe anderer Leute klaute? Roach schlief ein.

Peter Guillam fährt George Smiley zu später Stunde zu einem Whitehall-Beamten nach Ascot

Guillam fuhr lässig, aber schnell. Herbstgerüche füllten den Wa­gen, der Vollmond leuchtete. Zu beiden Seiten hingen Nebel­streifen über dem freien Feld, und es war bitter kalt. Smiley über­legte, wie alt Guillam sei, und schätzte vierzig, aber bei diesem Licht hätte er ein Student sein können, der ein Skullboot ruderte; denn er handhabte den Schalthebel mit einer langen fließenden Bewegung, als zöge er ihn durchs Wasser. Auf jeden Fall, überlegte Smiley gereizt, war der Wagen viel zu jugendlich für Guillam. Sie waren durch Runnymeade gerast und nahmen die Steigung nach Egham Hill. Zwanzig Minuten fuhren sie bereits, und Smiley hatte ein Dutzend Fragen gestellt und keine stichhaltige Antwort bekommen, und jetzt erwachte in ihm eine nagende Furcht, der er keinen Namen zu geben wagte.

»Ich wundere mich, daß Sie nicht auch mit uns zusammen hinaus­geworfen wurden«, sagte er in nicht gerade liebenswürdigem Ton und wickelte die Mantelschöße enger um sich. »Sie hatten sämt­liche Qualifikationen: gut bei der Arbeit, loyal, zurückhaltend.«

»Ich habe die Skalpjäger übernehmen müssen.«

»Ach du lieber Gott«, sagte Smiley schaudernd, zog den Mantel­kragen über sein Doppelkinn hoch und überließ sich, statt noch unerfreulicheren Erinnerungen, der Rückschau auf Brixton und das freudlose steinerne Schulgebäude, das den Skalpjägern als Hauptquartier diente. Der offizielle Name der Skalpjäger war Reisestelle. Die Einheit war auf Bill Haydons Anregung hin von Control ins Leben gerufen worden, in den Pioniertagen des Kalten Krieges, als Mord und Kidnapping und Erpressung auf Tod und Leben an der Tagesordnung waren, und ihr erster Kommandant war von Haydon vorgeschlagen worden. Es war eine kleine Gruppe, ungefähr ein Dutzend Männer, und sie mußten die Blitzaktionen im Ausland erledigen, die für einen dort ansässigen Agenten zu schmutzig oder zu riskant waren. Gute Arbeit für den Nachrichtendienst, hatte Control immer gepredigt, sei Schritt für Schritt und auf die sanfte Tour zu erledigen. Die Skalpjäger waren die Ausnahme von seiner eigenen Regel. Sie arbeiteten weder Schritt für Schritt noch auf die sanfte Tour, worin sich eher Haydons als Controls Temperament spiegelte. Und sie arbeiteten solo, und deshalb hausten sie im Verborgenen hinter einer hohen Steinmauer mit Glasscherben und Stacheldraht oben­drauf.

»Ich habe gefragt, ob das Wort Lateralismus Ihnen etwas sagt«, sagte Guillam. »Ganz gewiß nicht.«

»Es ist jetzt die Mode-Doktrin. Früher ging's hin und her. Jetzt geht's in einer Richtung.«

»Was soll das heißen?«

»Zu Ihrer Zeit hat der Circus regional funktioniert. Afrika, die Satellitenstaaten, Rußland, China, Südostasien, und was weiß ich noch alles: jede Region wurde von ihrem eigenen Juju-Mann ge­leitet, Control saß im Himmel und hielt die Fäden in der Hand. Erinnern Sie sich?«

»Kommt mir entfernt bekannt vor.«

»Und heute gehen alle Operationen von einer Stelle aus. Sie heißt London Station. Die Regionen sind out, Lateralismus ist in. Bill Haydon ist Befehlshaber von London Station, Roy Bland seine Nummer zwei, Toby Esterhase rennt wie ein Pudel zwischen ihnen hin und her. Sie sind eine Dienststelle innerhalb einer Dienststelle. Sie haben ihre eigenen Geheimnisse und verkehren nicht mit dem Plebs. Vergrößert unsere Sicherheit.«