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»Und Sie haben nie besonders viel für Bill übrig gehabt«, bellte Jim.

»Tut mir leid, daß ich nicht da war, als Sie mich vor Ihrer Abreise in die Tschechoslowakei aufsuchten«, bemerkte Smiley nach ei­ner kleinen Pause. »Control hatte mich nach Deutschland ge­schickt, damit ich ihm aus den Augen wäre, und als ich wieder­kam - was hatten Sie eigentlich genau gewollt?«

»Nichts. Dachte, die Tschechoslowakei könnte ein bißchen haa­rig werden. Dachte, ich könnte vorbeischauen, mich verabschie­den.«

»Vor einem Auftrag?« rief Smiley in gelinder Verwunderung. »Vor einem so ganz besonderen Auftrag?« Jim ließ durch nichts erkennen, daß er es gehört hatte. »Haben Sie sich von anderen auch verabschiedet? Wir waren wohl alle auswärts. Toby, Roy, Bill, haben Sie sich von Ihnen verabschiedet?«

»Von keinem.«

»Bill hatte Urlaub, nicht wahr? Aber er dürfte wohl trotzdem in der Nähe gewesen sein.«

»Von keinem«, beharrte Jim, als ein furchtbarer Schmerzanfall ihn zwang, die linke Schulter hochzuziehen und den Kopf abzu­wenden. »Alle auswärts«, sagte er.

»Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich, Jim«, sagte Smiley im glei­chen milden Ton, »daß Sie herumgehen und allen Leuten Pfötchen geben, ehe Sie einen wichtigen Auftrag ausführen. Es scheint, Sie werden sentimental auf Ihre alten Tage. Sie woll­ten . . .« er zögerte. »Sie wollten nicht einen Rat oder dergleichen, wie? Schließlich hielten Sie den Auftrag doch für eine Schnaps­idee, nicht wahr? Und fanden, daß Control die Dinge nicht mehr recht im Griff hatte. Vielleicht glaubten Sie, Sie sollten eine dritte Person zuziehen? Denn ich gebe zu, das Ganze wirkte ziemlich verrückt.«

Die Fakten kennenlernen, sagte Steed Asprey immer, dann Ge­schichten probieren wie Kleider.

Jim verschanzte sich hinter wütendem Schweigen, und sie gingen zurück zum Wagen.

Im Motel zog Smiley zwanzig postkartengroße Fotos aus den Tiefen seines Überziehers und legte sie in zwei Reihen auf dem Keramiktisch aus. Einige waren Schnappschüsse, einige Porträt­fotos; alle zeigten Männer, und keiner von ihnen sah wie ein Engländer aus. Jim verzog das Gesicht, fischte zwei davon her­aus und gab sie Smiley. Beim ersten sei er ganz sicher, brummte er, beim zweiten weniger. Der erste war der Chef, der frostige Zwerg. Der zweite eins der Schweine, die im Schatten standen und zusahen, wie die Schläger Jim auseinandernahmen. Smiley steckte die Fotos wieder in die Tasche. Als er die Gläser zum Schlummertrunk füllte, hätte ein weniger gequälter Beobachter als Jim an ihm vielleicht eher eine Spur von Feierlichkeit als von Triumph bemerkt; als besiegelte dieses letzte Glas irgend etwas. »Also, wann haben Sie nun Bill zum letzenmal gesehen? Mit ihm gesprochen«, fragte Smiley, wie man sich eben nach einem alten Freund erkundigt. Er hatte Jim offenbar aus anderen Ge­danken aufgescheucht, denn es dauerte eine Weile, ehe er den Kopf hob und die Frage begriff.

»Ach, immer mal wieder«, sagte er leichthin. »Bestimmt öfter in den Korridoren mit ihm zusammengestoßen.«

»Und gesprochen? Ach, ist ja egal.« Denn Jim hatte sich wieder seinen eigenen Gedanken zugewandt.

Jim wollte nicht den ganzen Weg bis zur Schule gefahren wer­den. Smiley mußte ihn am Anfang des geteerten Weges absetzen, der durch den Friedhof zur Kirche führte. Er habe ein paar Hefte in der Kapelle liegenlassen, sagte er. Im Augenblick war Smiley eher geneigt, ihm nicht zu glauben, weshalb, begriff er selber nicht. Vielleicht weil er zu der Meinung gelangt war, daß Jim - trotz dreißig Jahren im Geschäft - immer noch ein ziemlich schlechter Lügner war. Das letzte, was Smiley von ihm sah, war der seitenlastige Schatten, der auf das normannische Portal zu­strebte, während seine Absätze wie Gewehrschüsse zwischen den Grabsteinen knallten.

Smiley fuhr nach Taunton und tätigte vom Schloßhotel aus eine Reihe von Telefonanrufen. Trotz seiner Erschöpfung schlief er nur mit Unterbrechungen, in seinen Träumen sah er Karla mit zwei Farbstiften an Jims Tisch sitzen, und Professor Poljakow, alias Viktorow, der, gedrängt von der Sorge um die Sicherheit seines Maulwurfs Gerald, ungeduldig darauf wartete, daß Jim in der Verhörzelle zusammenbräche: Zuletzt sah er noch Toby Esterhase, der an Stelle des abwesenden Haydon nach Sarratt ge­hoppelt kam und Jim jovial den Rat gab, er solle die ganze Ge­schichte um Bube, Dame und ihren toten Erfinder, Control, ver­gessen.

In der gleichen Nacht fuhr Peter Guillam nach Westen, quer durch England nach Liverpool, mit Ricki Tarr als einzigem Fahr­gast. Es war eine langweilige Tour unter gräßlichen Bedingungen. Die meiste Zeit prahlte Tarr mit den Summen, die er als Be­lohnung fordern würde, und der Beförderung, die fällig würde, sobald er seinen Auftrag ausgeführt hätte. Dann kam er auf seine Frauen zu sprechen: Danny, ihre Mutter, Irina. Er schien ein menage á quatre im Auge zu haben, wobei die beiden Frauen gemeinsam für Danny sorgen sollten: »Irina hat viel Mütterlichkeit. Das frustriert sie natürlich.« Boris, sagte er, könne ihnen gestohlen werden, er werde Karla sagen, daß er ihn behalten solle. Als sie sich ihrem Ziel näherten, schlug seine Stimmung erneut um, und er verfiel in Schweigen. Die Morgendämmerung war kalt und nebelig. In den Vororten konn­ten sie nur noch dahinkriechen und wurden von Radfahrern überholt. Gestank nach Ruß und Stahl erfüllte den Wagen.

»Und halten Sie sich auch in Dublin nicht auf«, sagte Guillam plötzlich. »Es wird erwartet, daß Sie sich klammheimlich davon­machen, also ziehen Sie den Kopf ein. Nehmen Sie die erste aus­fliegende Maschine.«

»Das haben wir alles bereits durchgekaut.«

»Dann kaue ich es eben nochmals durch«, gab Guillam zurück. »Wie lautet Mackelvores Arbeitsname?«

»Himmel, Zwirn und zugenäht«, schnaufte Tarr und nannte den Namen.

Es war noch dunkel, als die Fähre nach Irland ablegte. Überall wimmelte es von Soldaten und Polizei: dieser Krieg, der letzte, der vorletzte. Ein heftiger Wind blies vom Meer her, und die Überfahrt würde vermutlich bewegt werden. Für kurze Zeit wurde das Grüppchen an Land vom Gefühl der Zusammenge­hörigkeit erfaßt, als die Lichter des Schiffs rasch ins Dunkel davontanzten. Irgendwo weinte eine Frau, irgendwo feierte ein Betrunkener seine Freilassung.

Er fuhr langsam zurück und versuchte, über sich selber Klarheit zu gewinnen: über den neuen Guillam, der bei unvermittelten Geräuschen hochfährt, Alpträume hat und nicht nur sein Mäd­chen nicht halten kann, sondern sich auch noch idiotische Gründe ausdenkt, um ihr zu mißtrauen. Er hatte Camilla wegen Sand zur Rede gestellt, wegen ihrer Stunden und ihrer Geheim­nistuerei im allgemeinen. Nachdem sie ihm mit ihren ernsten braunen Augen zugehört hatte, sagte sie, er sei ein Narr, und ging. »Ich bin das, wofür du mich hältst«, sagte sie und holte ihre Sachen aus dem Schlafzimmer. Von seiner leeren Wohnung aus rief er Toby Esterhase an und lud ihn für den nächsten Tag zu einem freundschaftlichen Schwatz ein.

Ein Französisch-Lehrer bleibt unerlaubt dem Unterricht fern

Smiley saß im Rolls-Royce des Ministers, Lacon neben ihm. In Anns Familie wurde der Wagen als die schwarze Bettpfanne be­zeichnet und wegen seiner Auffälligkeit verabscheut. Der Chauf­feur war zum Frühstücken weggeschickt worden. Der Minister saß vorn, und alle drei blickten geradeaus die gestreckte Kühler­haube entlang und sahen über den Fluß auf die vernebelten Türme des Battersea-Kraftwerks. Das Haar des Ministers war im Nacken voll und um die Ohren in kleine schwarze Hörner gelegt.

»Wenn Sie recht haben«, erklärte der Minister nach langem dü­steren Schweigen, »ich sage nicht, daß Sie unrecht haben, aber wenn Sie recht haben, wieviel Porzellan wird er dann bis zum Ende des heutigen Tages zerschlagen haben?« Smiley begriff nicht ganz.

»Ich spreche von dem Skandal. Gerald geht nach Moskau. Schön, und was passiert dann? Steigt er auf eine Seifenkiste und macht sich öffentlich lustig über alle die Leute, die er hier zum Narren gehalten hat? Ich meine, Herrgott, wir sitzen alle in die­sem Boot, nicht wahr? Ich sehe nicht ein, warum wir ihn laufen lassen sollen, damit er uns das Dach über dem Kopfe einreißen kann und die Konkurrenz sich totlacht.«