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Er probierte eine andere Tour. »Ich meine, nur weil die Russen unsere Geheimnisse kennen, muß nicht unbedingt die ganze Welt sie erfahren. Wir haben außer ihnen noch einiges mehr zu berücksichtigen, nicht wahr? Zum Beispiel die Schwarze Welt: sollen sie alle es innerhalb einer Woche in den Wallah-Wallah-Nachrichten lesen?«

Oder zum Beispiel seine Wählerschaft, dachte Smiley. »Ich glaube, das ist etwas, wofür die Russen Verständnis haben«, sagte Lacon. »Schließlich, wenn man seinen Gegner als einen Narren hinstellt, verliert der Kampf seine Berechtigung.« Er fügte hinzu: »Bisher haben sie von ihren Möglichkeiten noch nie Gebrauch gemacht, nicht wahr?«

»Dann sorgen Sie dafür, daß es auch in Zukunft so bleibt. Lassen Sie es sich schriftlich geben. Nein, lieber nicht. Aber sagen Sie ihnen, was dem einen recht ist, muß dem ändern billig sein. Wir bringen die Moskauer Zentrale auch nicht öffentlich in Verschiß, also können sie sich verdammt noch mal ausnahmsweise an die Spielregeln halten.«

Das Angebot, ihn nach Hause zu fahren, lehnte Smiley mit der Erklärung ab, der Spaziergang werde ihm guttun. Es war Thursgoods Aufsichtstag, und er empfand es als eine Zu­mutung. Schuldirektoren sollten seiner Meinung nach über den niedrigen Pflichten stehen und ihren Geist für die Anforderun­gen der Organisation und Leitung freihalten. Daß er seine Cam­bridge-Robe zur Schau stellen konnte, tröstete ihn nicht, und als er im Turnsaal stand und zusah, wie die Jungen in Reihen her­einkamen und zum Morgenappell Aufstellung nahmen, ruhte sein Auge finster, wenn nicht sogar feindselig auf ihnen. Aber erst Marjoribanks versetzte ihm den Todesstoß: »Er sagt, es sei wegen seiner Mutter«, flüsterte er dumpf in Thursgoods linkes Ohr. »Er habe ein Telegramm bekommen, daß er sofort abreisen müsse. Wollte nicht mal mehr eine Tasse Tee trinken. Ich habe versprochen, es Ihnen zu bestellen.«

»Das ist ungeheuerlich, absolut ungeheuerlich«, sagte Thursgood.

»Ich übernehme sein Französisch, wenn Sie wollen. Wir können die Klassen V und VI zusammenlegen.«

»Ich bin außer mir«, sagte Thursgood. »Ich kann nicht nachden­ken, ich bin völlig außer mir.«

»Und Irving sagt, er übernimmt das Rugby-Finale.«

»Berichte zu schreiben, Prüfungen, Rugby-Finale zu spielen. Was soll denn mit der Frau los sein? Wahrscheinlich einfach die Grippe, wie üblich um diese Jahreszeit. Wir haben sie alle und unsere Mütter auch. Wo lebt sie?«

»Nach dem, was er zu Sue gesagt hat, liegt sie schon im Sterben.«

»Immerhin eine Ausrede, die er kein zweites Mal verwenden kann«, sagte Thursgood ungerührt, dann brachte er durch ein scharfes Bellen die Jungens zur Ruhe und verlas die Anwesen­heitsliste. »Roach?«

»Krank, Sir.«

Genau das hatte ihm jetzt noch gefehlt. Der reichste Junge an der Schule hatte einen Nervenzusammenbruch wegen seiner nichts­würdigen Eltern, und der Vater drohte, ihn wegzuholen.

Toby Esterhase demonstriert die Kunst, gleich­zeitig vor- und zurückzugehen, und Smiley macht sich Sorgen über Schatten auf seinen Wegen

Es war am gleichen Tag um vier Uhr nachmittags. >Sichere Häu­ser, die ich kannte<, dachte Guillam und sah sich in der düsteren Wohnung um. Er hätte über sie schreiben können, wie ein Handlungsreisender über Hotels schreiben könnte: von Fünf­sterne-Spiegelhallen im Belgravia mit Wedgwood-Pilastern und vergoldeten Eichenblättern bis zu diesem Zweizimmerschuppen der Skalpjäger in Lexham Gardens, der nach Staub und Abflüs­sen roch und einen ein Meter hohen Feuerlöscher in der pech­dunklen Halle hatte. Über dem Kamin tranken Kavaliere aus Zinnkrügen. Auf den gedrängten Tischen Muscheln als Aschen­becher, und in der grauen Küche anonyme Anweisungen »Un­bedingt beide Gashähne schließen«. Er ging durch die Diele, als die Türglocke anschlug, auf die Sekunde pünktlich. Er nahm das Haustelefon ab und hörte Tobys verzerrte Stimme in die Hör­muschel krächzen. Er drückte auf den Türöffner und hörte das Klicken des Schlosses im Treppenhaus widerhallen. Er öffnete die Vordertür, ließ jedoch die Kette eingehakt, bis er sich über­zeugt hatte, daß Toby allein war.

»Na, wie geht's uns?« sagte Guillam fröhlich und ließ ihn ein. »Ausgezeichnet, Peter«, sagte Toby und zog Mantel und Hand­schuhe aus.

Auf einem Tablett standen Tee und zwei Tassen. Guillam hatte alles vorbereitet. >Sichere Häuser< haben eine ganz bestimmte Aufmachung. Man gibt entweder vor, hier zu wohnen oder überall zu Hause zu sein; oder einfach an alles zu denken. In un­serem Metier ist Natürlichkeit eine Kunst, dachte Guillam. Das war etwas, das Camilla nicht zu schätzen wußte. »Wirklich höchst sonderbares Wetter«, verkündete er, als hätte er eine meteorologische Studie angestellt. Sehr viel geistreichere Konversation wurde in >sicheren Häusern< nie betrieben. »Man geht ein paar Schritte und ist völlig erschöpft. Wir erwarten also einen Polen?« sagte er und setzte sich. »Einen Polen im Pelzhan­del, von dem sie glauben, er könne für uns Kurierdienste lei­sten?«

»Muß jeden Moment kommen.«

»Kennen wir ihn? Ich habe von meinen Leuten unter seinem Na­men nachsehen lassen, aber sie fanden keine Spur.«

»Die freien Polen haben ihn vor ein paar Monaten angelaufen, und er hat sofort das Weite gesucht. Dann hat Karl Stock ihn bei den Lagerhäusern aufgestöbert und gedacht, er könne den Skalpjägern nützlich sein.« Er zuckte die Achseln. »Mir hat er gefallen, aber was soll's? Wir haben nicht mal genug Arbeit für un­sere eigenen Leute.«

»Peter, Sie sind sehr großzügig«, sagte Ester­hase ehrerbietig, und Guillam hatte das lächerliche Gefühl, ihm ein Trinkgeld gegeben zu haben. Da klingelte es zu seiner Erleichte­rung an der Tür, und Fawn bezog seinen Posten am Eingang. »Tut mir leid, Toby«, sagte Smiley, von der Treppe ein wenig außer Atem. »Peter, wo soll ich meinen Mantel aufhängen?« Guillam drehte Toby um, hob ihm die Hände und legte sie flach an die Wand, dann durchsuchte er ihn nach einer Waffe, wobei er sich reichlich Zeit ließ. Toby hatte keine Waffe. »Ist er allein gekommen?« fragte Guillam. »Oder wartet ein lie­ber Freund auf der Straße?«

»Ich glaube, die Luft ist rein«, sagte Fawn.

Smiley stand am Fenster und blickte auf die Straße hinunter. »Würden Sie bitte kurz das Licht löschen?« bat er. »Warten Sie in der Diele«, befahl Guillam, und Fawn zog sich zurück; Smileys Mantel nahm er mit. »Was gesehen?« fragte Guillam und stellte sich neben Smiley ans Fenster. Der Londoner Nachmittag hatte bereits die verschleierten Rosa- und Gelbtöne des Abends angenommen. Der Platz war ein ty­pisch victorianisches Wohnviertel. In der Mitte ein umzäunter Garten, der schon dunkel war. »Vermutlich nur ein Schatten«, sagte Smiley mit einem Knurren und wandte sich wieder Ester­hase zu. Die Kaminuhr klimperte vier Schläge. Fawn mußte sie aufgezogen haben.

»Ich möchte Ihnen gern eine These vortragen, Toby. Eine Theo­rie über das, was zur Zeit vorgeht. Darf ich?« Esterhase zuckte nicht mit der Wimper. Die kleinen Hände ruh­ten auf den hölzernen Armlehnen seines Sessels. Er saß ganz be­quem da, aber die Spitzen und Fersen seiner glänzend geputzten Schuhe waren wie in Habacht-Stellung geschlossen.

»Sie müssen überhaupt nicht sprechen. Zuhören ist doch kein Risiko, wie?«

»Möglich.«

»Gehen wir achtzehn Monate zurück. Percy Alleline möchte Controls Job, hat aber im Circus keinen guten Stand. Dafür hat Control gesorgt. Control ist krank und über die erste Blüte hin­aus, aber Percy kann ihn nicht ausbooten. Erinnern Sie sich, wie es war?«