»Hab' mal ein paar verkauft«, sagte Toby mit einem zuckenden nervösen Lächeln, aber niemand lachte.
»Je mehr man dafür zahlt, um so weniger ist man geneigt, an der Echtheit zu zweifeln. Töricht, aber so sind wir. Es ist auch für jedermann tröstlich zu wissen, daß Merlin käuflich ist. Das ist ein Motiv, das wir alle verstehen, stimmt's Toby? Besonders im Schatzamt. Fünfzigtausend Franken pro Monat auf ein Schweizer Bankkonto: also, ich möchte wissen, wer dafür nicht ein paar Gleichheitsprinzipien ein bißchen verdreht. Whitehall zahlt ihm also ein Vermögen und bezeichnet seine Informationen als unbezahlbar. Und einiges ist tatsächlich gut«, räumte Smiley ein. »Sehr gut, meine ich, und das sollte es auch sein. Dann weiht Gerald eines schönen Tages Percy in das allergrößte Geheimnis ein. Die Merlin-Clique hat einen Londoner Anhang. Es ist der Anfang, wie ich Ihnen jetzt verraten sollte, einer sehr, sehr klugen Kombination.«
Toby stellte seine Tasse ab und betupfte mit dem Taschentuch geziert seine Mundwinkel.
»Laut Gerald ist ein Mitglied der Sowjetbotschaft hier in London willens und in der Lage, als Merlins Londoner Repräsentant zu fungieren. Er kann es sich sogar leisten, in Ausnahmefällen die Botschaftseinrichtungen zu benutzen, um mit Merlin in Moskau zu sprechen, Botschaften zu senden und zu empfangen. Und daß es, vorbehaltlich aller nur denkbaren Vorsichtsmaßnahmen, Gerald sogar darin und wann möglich sei, heimliche Zusammenkünfte mit diesem Zauberer zu arrangieren, ihn zu instruieren und zu desinstruieren, Nachfaß-Fragen an Merlin zu stellen und die Antwort beinah postwendend zu erhalten. Wir wollen diesen Sowjetfunktionär Alexei Alexandrowitsch Poljakow nennen und von der Annahme ausgehen, er gehöre der Kulturabteilung der Sowjetbotschaft an. Können Sie mir folgen?«
»Ich habe kein Wort gehört«, sagte Esterhase. »Ich bin ertaubt.«
»Es heißt, er habe längere Zeit der Londoner Botschaft angehört - acht Jahre, um genau zu sein -, aber Merlin habe ihn erst kürzlich in die Herde aufgenommen. Vielleicht während Poljakow auf Urlaub in Moskau war?«
»Ich höre kein Wort.«
»Poljakow wird sehr schnell ein sehr bedeutender Mann, denn Gerald ernennt ihn alsbald zum Angelpunkt der Operation
Witchcraft und noch zu allerhand mehr. Die toten Briefkästen in Amsterdam und Paris, die Geheimtinten, Mikropunkte: das alles geht nach wie vor weiter, aber in verringertem Maß. Man kann die Gelegenheit, Poljakow praktisch in Reichweite zu haben, einfach nicht ungenutzt lassen. Ein Teil von Merlins bestem Material wird per Diplomatengepäck nach London geschmuggelt: Poljakow hat weiter nichts zu tun, als die Umschläge aufzuschlitzen und sie an seinen Partner im Circus weiterzugeben: an Gerald oder eine von Gerald benannte Person. Wir dürfen aber niemals vergessen, daß dieser Teil der Operation Merlin tödlich, tödlich geheim ist. Der Witchcraft-Ausschuß, ist natürlich auch geheim, aber zahlenmäßig groß. Das ist unvermeidlich. Die Operation ist groß angelegt, der Eingang ist groß, Aufbereitung und Verteilung erfordern allein schon eine Menge bürokratischer Überwachung: Kopisten, Übersetzer, Codierer, Stenotypisten, Auswerter und was weiß ich noch alles. Nichts von alledem stört Gerald auch nur im geringsten: es ist ihm sogar recht, denn die Kunst, Gerald zu sein, besteht darin, einer aus einer großen Zahl zu sein. Wird der Witchcraft-Ausschuß von unten geführt? Von der Mitte, von oben? Mir gefällt Karlas Beschreibung von Ausschüssen, Ihnen nicht? Ist es ein chinesisches Sprichwort? Ein Ausschuß ist ein Tier mit vier Hinterbeinen. Aber der Londoner Anhang - Poljakows Hinterbein - dieser Teil ist auf den ursprünglichen Zauberkreis beschränkt. Skordeno, de Silski, die ganze Meute: sie können losbrausen ins Ausland und überall Handlangerdienste für Merlin leisten. Aber hier in London, der Teil der Veranstaltung, zu dem Brüderchen Poljakow gehört, die An, wie der Knoten geschlungen ist, das ist ein ganz besonderes Geheimnis aus ganz besonderen Gründen. Sie, Percy, Bill Haydon und Roy Bland. Sie vier bilden den Zauberkreis. Stimmt's? Wir wollen einmal Vermutungen darüber anstellen, wie im einzelnen vorgegangen wird. Es gibt ein Haus, das wissen wir. Die Zusammenkünfte dort werden sehr sorgfältig vorbereitet, das dürfte feststehen, nicht wahr? Wer trifft sich mit ihm, Toby? Wer führt Poljakow? Sie? Roy? Bill?« Smiley ergriff das breite Ende seiner Krawatte, drehte das Seidenfutter nach außen und begann, seine Brillengläser zu putzen. »Jeder von euch«, sagte er in Beantwortung seiner eigenen Frage. »Wie wäre das? Manchmal trifft Percy sich mit ihm. Ich möchte vermuten, daß Percy ihm gegenüber die Autorität spielt. >Ist es nicht Zeit, daß Sie Urlaub nehmen? Haben Sie in dieser Woche von Ihrer Frau gehört?< Percy würde das gut können. Aber der Witchcraft-Ausschuß setzt Percy nur selten ein. Percy ist die Kanone, er muß Seltenheitswert behalten. Dann kommt Bill Haydon; Bill trifft sich mit ihm. Das würde öfter der Fall gewesen sein, nehme ich an. Bill hat eine Schwäche für Rußland, und er kann gut mit Leuten umgehen. Ich habe das Gefühl, er und Poljakow würden gut miteinander auskommen. Ich würde sagen, Bill glänzte, wenn es zur Instruktion und zu den Nachstoß-Fragen kam, meinen Sie nicht? Dafür sorgen, daß die richtigen Botschaften nach Moskau gelangten? Manchmal nimmt er Roy Bland mit, manchmal schickt er Roy allein hin. Vermutlich machen sie das untereinander aus. Und Roy ist natürlich Wirtschaftsexperte und überdies Fachmann für die Satellitenstaaten, also wird es auch in dieser Sparte allerhand zu besprechen geben. Und manchmal - ich denke da an Geburtstage, Toby, oder an Weihnachten oder sonstige Übermittlungen von Dankbarkeit und Geld -, wird ein kleines Vermögen über Spesen gebucht, wie ich feststellte, ganz zu schweigen von Sonderprämien; manchmal, um den Kreis bei Laune zu halten, kommt ihr alle vier zusammen und hebt die Gläser auf den König jenseits des Meeres: auf Merlin, in Gestalt seines Abgesandten: Poljakow. Schließlich nehme ich an, daß auch Toby einiges mit Freund Poljakow zu besprechen hat. Fachsimpeln, nützliche Brocken über Vorgänge innerhalb der Botschaft, die den Aufklärern so zupaß kommen bei ihren kleinen Überwachungseinsätzen gegen die Gesandtschaft Also hat auch Toby seine Solo-Sitzungen. Wir dürfen nämlich, ganz abgesehen von Poljakows Rolle als Merlins Londoner Repräsentant, auch seine Möglichkeiten am Ort nicht übersehen. Nicht alle Tage haben wir in London einen zahmen Sowjetdiplomaten, der uns aus der Hand frißt. Ein bißchen Anleitung mit der Kamera, und Poljakow könnte auch an der Heimatfront sehr nützlich sein. Vorausgesetzt, jeder hält sich auf seinem Platz.«