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Sein Blick war nicht von Tobys Gesicht gewichen. »Ich könnte mir vorstellen, daß Poljakow es zu etlichen Filmspulen gebracht hat, wie? Und daß jeder, der sich mit ihm traf, nebenbei auch die Aufgabe hatte, seine Vorräte aufzufüllen: ihm kleine versiegelte Päckchen zu überbringen. Filme. Unbelichtete Filme natürlich, denn sie stammten ja aus dem Circus. Beantworten Sie mir doch bitte eine Frage, Toby, sagt Ihnen der Name Lapin irgend etwas?«

Ein Lecken, ein Stirnrunzeln, ein Lächeln, ein Vorwärtsrecken des Kopfs: »Klar, George, ich kenne Lapin.«

»Wer hat angeordnet, daß die Aufklärer-Berichte über Lapin zerstört werden sollten?«

»Ich, George.«

»Auf eigene Initiative?«

Das Lächeln wurde eine Spur breiter. »Hören Sie, George, ich bin in letzter Zeit ein paar Sprossen höher geklettert.«

»Wer hat gesagt, Connie Sachs müsse abgesägt werden?«

»Also, ich glaube, es war Percy, okay? Vermutlich Percy, viel­leicht auch Bill. Sie wissen, wie das ist bei einer großen Opera­tion. Die Routinearbeit, der Kleinkram, es gibt dauernd irgend etwas zu tun.« Er zuckte die Achseln. »Vielleicht war's Roy, he?«

»Sie nehmen also Befehle von allen dreien entgegen«, sagte Smi­ley leichthin. »Das ist sehr unbedacht von Ihnen. Sie sollten es besser wissen.«

Esterhase gefiel das alles gar nicht.

»Wer hat Sie angewiesen, Max kaltzustellen, Toby? Waren es die gleichen drei Leute? Ich muß das nur alles Lacon melden, verste­hen Sie. Er drängt im Moment ganz furchtbar. Der Minister scheint ihm im Nacken zu sitzen. Wer war es?«

»George, Sie haben mit den falschen Leuten geredet.«

»Einer von uns hat das getan, ja«, sagte Smiley liebenswürdig. »Soviel steht fest. Sie wollen auch einiges über Westerby wissen: wer hat ihm den Mund gestopft? War es die gleiche Person, die Sie mit tausend Pfund und einer Instruktion nach Sarratt schick­ten, daß Sie Jim Prideaux' Geist Ruhe verschaffen sollte? Ich jage nur nach Fakten, Toby, nicht nach Skalpen. Sie kennen mich, ich bin nicht rachsüchtig. Und was besagt überhaupt, daß Sie nicht ein sehr loyaler Mann wären? Fragt sich nur, wem gegenüber.« Er fügte hinzu: »Nur, sie wollen es eben unbedingt wissen, ver­stehen Sie. Es geht sogar ein häßliches Gerücht um, daß die Kon­kurrenz eingeschaltet werden soll. Das möchte doch niemand, oder? Es ist, als ginge man zum Anwalt, weil man sich mit seiner Frau gezankt hat: ein unwiderruflicher Schritt. Wer hat Ihnen die Botschaft für Jim über Bube, Dame, König gegeben? Wußten Sie, was es bedeutete? Wußten Sie es direkt von Poljakow, war es das?«

»Herrgott«, flüsterte Guillam, »lassen Sie mich den Kerl in den Schwitzkasten nehmen.«

Smiley beachtete ihn nicht. »Sprechen wir noch ein wenig über Lapin. Welchen Job hatte er hier?«

»Er arbeitete für Poljakow.«

»Als sein Sekretär in der Kulturabteilung?«

»Als sein Kurier.«

»Aber mein lieber Toby: was in aller Welt soll ein Kulturattache mit einem eigenen Kurier anfangen?«

Esterhases Augen waren die ganze Zeit auf Smiley gerichtet. Er ist wie ein Hund, dachte Guillam, er weiß nicht, kriegt er einen Tritt oder einen Knochen. Die Augen flitzten von Smileys Ge­sicht zu den Händen, dann zurück zum Gesicht, sie ließen nicht ab von den verräterischen Stellen.

»Seien Sie doch nicht so verdammt albern, George«, sagte Toby nonchalant. »Poljakow arbeitet für die Moskauer Zentrale. Das wissen Sie genausogut wie ich.« Er schlug die kurzen Beine übereinander, lehnte sich mit seiner ganzen wiederaufgelebten Arroganz in seinem Stuhl zurück und trank einen Schluck kalten Tee. Während Smileys Miene, so fand Guillam, flüchtige Ent­spannung verriet; woraus Guillam in seiner Verwirrung folgerte, daß Smiley sehr mit sich zufrieden sein müsse. Vielleicht, weil Toby sich endlich entschlossen hatte, zu sprechen:

»Na, los, George«, sagte Toby, »Sie sind doch kein Kind mehr. Bedenken Sie, wie viele Operationen wir auf diese Weise hinter uns gebracht haben. Wir kaufen Poljakow, okay? Poljakow ist ein Moskauer Spitzel, aber er ist unser bestes Stück. Er muß aber seinen eigenen Leuten weismachen, daß er gegen uns spioniere. Wie sonst käme er damit durch? Wie sonst könnte er den ganzen Tag in diesem Haus aus- und eingehen, ohne Gorillas, ohne Ba­bysitters, ganz ungeniert? Er kommt hinaus in unseren Laden, wenn er ein paar Bonbons heimbringen muß. Also geben wir ihm Bonbons. Bagatellen, nur damit er sie zu Hause abliefern kann und jeder in Moskau ihm auf die Schulter klopft und sagt, er sei ein toller Bursche, passiert alle Tage.«

Wenn Guillam jetzt von einer Art rasenden Entsetzens erfüllt war, so schien Smileys Kopf bemerkenswert klar zu sein. »Und das ist ziemlich genau die Standard-Geschichte, nicht wahr, unter den vier Eingeweihten?«

»Ob es die Geschichte ist, kann ich nicht sagen«, sagte Esterhase mit einer sehr ungarischen Handbewegung, einem Drehen der gespreizten Hand von einer Seite zur anderen. »Wer ist also Poljakow s Agent?«

Diese Frage, das sah Guillam, war Smiley sehr wichtig: er hatte alle vorhergegangenen Karten nur ausgespielt, um zu ihr zu kommen. Während Guillam wartete - die Augen bald auf Ester­hase, der keineswegs so sicher war, bald auf Smileys Mandarins­gesicht gerichtet —, dämmerte auch ihm allmählich, wie Karlas letzter gekonnter Knoten geschürzt, und worum es bei seiner eigenen nervenaufreibenden Audienz bei Alleline gegangen war. »Was ich Sie frage, ist ganz einfach«, drängte Smiley. »Rein hy­pothetisch, wer ist Poljakows Agent im Circus? Mein Gott, Toby, seien Sie doch nicht so vernagelt. Wenn Poljakow sich mit euch treffen kann, weil er vorgibt, gegen den Circus zu spionie­ren, dann muß er einen Spion im Circus haben, oder? Also, wer ist es? Poljakow kann nicht nach einem Treffen mit euch zur Botschaft zurückkommen, beladen mit einem Haufen von Circus-Abfällen, und sagen: das da hab' ich von den Jungen bekom­men. Es muß eine Geschichte aufgebaut sein, und zwar eine gute: ein ganzes Gewebe aus Umwerbung, Anwerbung, heimlichen Zusammenkünften, Geld und Motiven. Stimmt doch? Lieber Gott, es ist nicht bloß Poljakows Tarngeschichte: es ist seine Le­benslinie. Sie muß durchgängig sein. Sie muß überzeugend sein; das ist wichtig. Also, wer ist es?« erkundigte Smiley sich liebens­würdig. »Sie? Toby Esterhase verkleidet sich als Spion im Circus, um Poljakow im Geschäft zu halten? Respekt, Toby, das ist eine ganze Handvoll Orden wert.« Sie warteten, während Toby nachdachte.

»Sie sind auf einem verdammt langen Weg, George«, sagte Toby. »Was passiert, wenn Sie das andere Ende nicht erreichen?«

»Auch nicht mit Lacon hinter mir?«

»Dann bringen Sie Lacon her. Und Percy; Bill. Warum halten Sie sich an den Kleinsten? Gehen Sie zu den Großen und hacken Sie auf denen herum.«

»Ich dachte, Sie gehörten jetzt zu den Großen. Sie paßten ausge­zeichnet für die Rolle, Toby, ungarische Abstammung, Bitter­keit mangels Beförderung, Zugang zu manchem, wenn auch nicht zu übermäßig vielem . . . schneller Denker, auf Geld aus. . . mit Ihnen als seinem Agenten hätte Poljakow eine Tarnge­schichte, die hieb- und stichfest wäre. Die großen Drei geben Ihnen die Abfälle, Sie reichen sie an Poljakow weiter, Moskau glaubt, Toby sei ganz der ihre, jeder wird bedient, jeder ist zu­frieden. Problematisch wird es erst, wenn durchsickert, daß Sie Poljakow die Kronjuwelen ausgehändigt und dafür russische Ab­fälle bekommen haben. Sollte sich tatsächlich herausstellen, daß das der Fall war, dann werden Sie gute Freunde bitter nötig haben. Freunde wie uns. Immer nach meiner Theorie - nur um sie zu Ende zu führen. Dieser Gerald ist ein russischer Maulwurf, ge­führt von Karla. Und er hat den Circus buchstäblich ausge­weidet.«

Esterhase sah ein bißchen krank aus. »Hören Sie, George. Falls Sie sich irren, dann möchte ich mich nicht ebenfalls irren, verste­hen Sie mich?«