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Er wußte es natürlich. Er hatte die ganze Zeit gewußt, daß es Bill war. Genau wie Control es gewußt hatte, und Lacon, damals in Mendels Haus. Genau wie Connie und Jim es gewußt hatten, und Alleline und Esterhase, sie alle hatten schweigend jenes unausge­sprochene Halbwissen geteilt, von dem sie gehofft hatten, es werde vorübergehen wie ein Leiden, wenn es nur niemals eingestanden, niemals diagnostiziert würde. Und Ann? Hatte Ann es gewußt? War dies der Schatten gewesen, der an jenem Tag auf den Klippen Cornwalls über sie beide gefallen war?

Das also war Smiley, wie er jetzt so dastand: ein fetter, barfüßiger Spion, wie Ann sagen würde, betrogen in der Liebe und ohn­mächtig im Haß, im Dunkeln lauernd, in der einen Hand eine Pistole und in der anderen ein Stück Schnur. Dann ging er auf Zehenspitzen, noch immer mit gezückter Pistole, an seinem Leit­seil zurück in die Spülküche und bis zum Fenster, von wo aus er fünf kurze Lichtblitze in rascher Folge signalisierte. Er wartete, bis er die Antwort erhalten hatte, und kehrte auf seinen Lauscher­posten zurück.

Guillam rannte in solcher Eile den Treidelpfad entlang, daß die Taschenlampe in seiner Hand wilde Sprünge machte, bis er eine niedrige Bogenbrücke und eine Eisentreppe erreichte, die im Zick­zack zur Gloucester Avenue hinaufführte. Droben war das Gitter geschlossen und er mußte hinüberklettern, wobei er sich einen Ärmel bis zum Ellbogen aufschlitzte. Lacon stand an der Ecke der Princess Road, er trug seinen alten, derben Mantel und in der Hand eine Aktentasche.

»Er ist da. Er ist gekommen«, keuchte er. »Er hat Gerald er­wischt.«

»Ich möchte kein Blutvergießen«, warnte Lacon. »Es muß in aller Stille erledigt werden.«

Guillam gab sich nicht die Mühe, zu antworten. Zehn Meter ent­fernt wartete Mendel in einem Geheimdienst-Taxi. Sie fuhren zwei Minuten, nicht ganz so lang, und ließen das Taxi kurz vor der Steigung halten. Guillam hatte Esterhases Türschlüssel bei sich. Bei Hausnummer 5 stiegen Mendel und Guillam über das Gitter, um kein Geräusch zu riskieren, und hielten sich auf dem Rasenstreifen. Guillam blickte sich im Gehen um und glaubte ei­nen Augenblick im gegenüberliegenden Hauseingang eine lau­ernde Gestalt zu sehen, ob Mann oder Frau konnte er nicht sagen; aber als er Mendels Aufmerksamkeit auf die Stelle lenkte, war sie leer, und Mendel befahl ihm ziemlich barsch, er solle sich beruhi­gen. Die Lampe vor dem Eingang brannte nicht. Guillam ging zur Tür, Mendel wartete unter einem Apfelbaum. Guillam steckte den Schlüssel hinein, spürte, wie das Schloß nachgab. Du ver­dammter Narr, dachte er triumphierend, warum hast du den Riegel nicht vorgeschoben? Er schob die Tür einen Spalt auf und zögerte. Er atmete langsam, füllte die Lungen zum Angriff. Mendel tat einen weiteren Sprung nach vorn. Auf der Straße gingen zwei Jungen vorbei, sie lachten laut, weil sie sich in der Nacht fürchteten. Noch einmal blickte Guillam sich um, aber die Luft war rein. Er trat in die Diele. Seine Wildlederschuhe quietschten auf dem Parkett, in der Diele lag kein Teppich. An der Tür des Wohnzimmers lauschte er so lange, bis endlich die Wut in ihm Oberhand gewann. Seine ermordeten Agenten in Marokko, seine Verbannung nach Brixton, die tägliche Sinnlosigkeit seiner Arbeit, während er täg­lich älter wurde und die Jugend ihm durch die Finger rann; die graue Eintönigkeit, die ihn umschloß; seine nachlassende Fähig­keit zur Liebe, zum Genuß, zum Lachen; das ständige Abbröckeln der einfachen, heroischen Grundsätze, nach denen er leben wollte; die Grenzen und Entsagungen, die er sich im Namen schweigender Pflichterfüllung selber auferlegt hatte; das alles konnte er nun in Haydons überheblich lächelndes Gesicht schleu­dern. Haydon, einst sein Beichtvater, Haydon, immer zu einem Scherz, einem Schwatz und einer Tasse Kaffee zu haben; Haydon, ein Vorbild, nach dem er sein Leben aufgebaut hatte. Mehr, viel mehr. Jetzt, da er es sah, wußte er es. Haydon war mehr gewesen als sein Vorbild, er war seine Inspiration gewesen, der Fackel­träger eines gewissen überholten Romantizismus, der Inbegriff einer britischen Berufung, die - allein schon weil sie vage und vol­ler Vorbehalte und schwer zu definieren war — Guillams Leben bis jetzt einen Sinn gegeben hatte. In diesem Augenblick fühlte Guillam sich nicht nur verraten, sondern verwaist. Seine Zweifel, seine Ressentiments, die sich so lange Zeit nach außen, gegen die reale Welt gerichtet hatten - gegen seine Frauen, seine mißlunge­nen Liebschaften, stürzten sich jetzt auf den Circus und den trüge­rischen Zauber, der sein Glaubensbekenntnis gewesen war. Mit aller Kraft stieß er die Tür auf und sprang ins Zimmer, die Pistole im Anschlag. Haydon und ein schwerer Mann mit schwarzer Stirntolle saßen zu beiden Seiten eines kleinen Tisches. Poljakow - Guillam erkannte ihn nach den Fotos - rauchte eine sehr englische Pfeife. Er trug eine graue Strickweste mit Reißverschluß, wie die obere Hälfte eines Monteuranzugs. Er hatte noch nicht einmal die Pfeife aus dem Mund genommen, als Guillam bereits Haydon beim Kragen gepackt hielt. Mit einem einzigen Zug hob er ihn aus dem Sessel. Er hatte die Pistole weggeworfen und wirbelte Haydon von einer Seite zur anderen, schüttelte ihn wie einen Hund und brüllte. Dann erschien ihm plötzlich alles sinnlos. Schließlich war das nur Bill, und sie hatten eine Menge zusammen erlebt. Guillam war zurückgewichen, lange bevor Mendel ihn am Arm packte, und er hörte Smiley, höflich wie immer, »Bill und Oberst Viktorow«, wie er sie nannte, auffordern, die Hände zu heben und über den Kopf zu legen, bis Percy Alleline hier sei. »Sie haben draußen niemanden sonst gesehen, oder?« fragte Smiley Guillam, während sie warteten.

»Alles ruhig wie das Grab«, sagte Mendel und antwortete für beide.

Ein stilles Haus bekommt viele Besucher