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»Natürlich«, sagte Smiley höflich.

Von da an, sagte er, sei es nur eine Zeitfrage gewesen, bis er seine Kräfte dort einsetzte, wo seine Überzeugungen lagen. Das war die Ernte des ersten Tages. Eine weiße Absonderung hatte sich auf Haydons Lippen gebildet, und seine Augen be­gannen wieder zu tränen. Sie beschlossen, sich anderentags um die gleiche Zeit wiederzusehen.

»Es wäre gut, wenn wir ein bißchen ins Detail gehen könnten, Bill«, sagte Smiley, als er sich verabschiedete. »Ach, noch eins, sagen Sie's Jan, ja?« Haydon lag auf dem Bett und betupfte sich wieder die Nase. »Ist völlig egal, was Sie sagen, Hauptsache, Sie machen's endgültig.« Er setzte sich auf, schrieb einen Scheck aus und steckte ihn in einen braunen Umschlag. »Geben Sie ihr das für die Milchrechnung.« Da er vielleicht bemerkte, daß Smiley von diesem Auftrag nicht gerade entzückt war: »Schließlich kann ich sie nicht gut mit­nehmen, oder? Sogar wenn man sie rüberließe, wäre sie bloß ein verdammter Klotz am Bein.«

Am gleichen Abend noch fuhr Smiley nach Haydons Anweisung mit der U-Bahn nach Kentish Town und machte eine Cottage in einem noch nicht modernisierten Gäßchen ausfindig. Ein unan­sehnliches blondes Mädchen in Jeans öffnete ihm, es roch nach Ölfarbe und Baby. Er wußte nicht mehr, ob er sie schon einmal in der Bywater Street getroffen hatte, daher begann er: »Ich komme von Bill Haydon. Es geht ihm soweit gut, aber ich soll Ihnen einiges von ihm bestellen.«

»Herrje«, sagte das Mädchen sanft. »Ist auch wahrhaftig Zeit.« Das Wohnzimmer war schäbig. Durch die Küchentür sah er einen Stapel schmutzigen Geschirrs und schloß daraus, daß sie alles benutzte, solange der Vorrat reichte, und dann im großen ab­wusch. Der Fußboden war kahl bis auf langgestreckte psychede­lische Muster aus Schlangen und Blumen und Insekten. »Das ist Bills Michelangelo-Decke«, sagte sie im Konversations­ton. »Er wird sich nur dabei nicht Michelangelos Rückenschmer­zen zuziehen. Kommen Sie von der Regierung?« fragte sie und zündete sich eine Zigarette an. »Er arbeitet für die Regierung, hat er mir gesagt.« Ihre Hand zitterte, und sie hatte gelbe Monde unter den Augen.

»Also, als erstes soll ich Ihnen das da geben«, sagte Smiley, tauchte in eine Innentasche und reichte ihr den Umschlag mit dem Scheck.

»Brot«, sagte das Mädchen und legte den Umschlag neben sich. »Brot«, sagte Smiley und grinste genau wie sie, dann aber be­wirkte irgend etwas in seinem Gesichtsausdruck oder die Art, wie er dieses eine Wort wiederholt hatte, daß sie den Umschlag nahm und ihn aufriß. Es lag kein Brief darin, nur der Scheck, aber der Scheck genügte: sogar von seinem Platz aus konnte Smiley sehen, daß die Zahl vierstellig war.

Wie eine Schlafwandlerin ging sie hinüber zum Kamin und legte den Scheck zu den Haushaltsrechnungen in eine alte Blechdose auf dem Kaminsims. Dann ging sie in die Küche und bereitete zwei Tassen Neskaffee, kam aber nur mit einer wieder heraus. »Wo ist er?« sagte sie. Sie stand vor ihm. »Er ist wieder mal mit diesem rotznäsigen kleinen Matrosen abgehauen, wie? Und das ist die Abfindung, ja? Na, Sie können ihm verdammt noch mal von mir sagen . . .«

Smiley hatte solche Szenen schon öfter erlebt, und nun kamen ihm lächerlicherweise die üblichen Worte auf die Zunge: »Bill erfüllt zur Zeit einen Auftrag von nationaler Bedeutung. Es tut mit leid, aber wir dürfen nicht darüber sprechen, und Sie dürfen es auch nicht. Er ist vor ein paar Tagen zu einem geheimen Einsatz ins Ausland gegangen. Er wird längere Zeit fort sein. Er durfte keinem Menschen etwas von seiner Abreise sagen. Er bittet Sie, ihn zu vergessen. Glauben Sie mir, es tut mir sehr leid. Soweit war er gekommen, als sie losplatzte. Er hörte nicht alles, was sie sagte, denn sie tobte und schrie, und als das Baby es hörte, fing es droben ebenfalls zu schreien an. Sie stieß Beschimpfungen aus, nicht gegen ihn, nicht einmal speziell gegen Bill, sie schimpfte und fluchte einfach tränenlos und fragte, wer zum Teufel, wer verdammt, verdammt noch mal heutzutage noch der Regierung vertraue? Dann schlug ihre Stimmung um. An den Wanden sah Smiley lauter Bilder, die Bill gemalt hatte, hauptsächlich von dem Mädchen: nur wenige waren fertig, und sie hatten etwas Verkrampftes, fast Gehetztes im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten.

»Sie mögen ihn nicht, wie? Das weiß ich«, sagte sie. »Warum er­ledigen Sie dann die Dreckarbeit für ihn?«

Auch auf diese Frage schien es keine unmittelbare Antwort zu geben. Auf dem Rückweg zur Bywater Street hatte er wiederum den Eindruck, verfolgt zu werden, und versuchte Mendel anzu­rufen, ihm die Nummer eines Taxis durchzugeben, das ihm zweimal aufgefallen war, und ihn um sofortige Nachforschungen zu bitten. Doch Mendel war ausnahmsweise bis nach Mitter­nacht außer Haus: Smiley schlief unruhig und erwachte um fünf Uhr. Um acht war er bereits wieder in Sarratt, wo er Haydon in festlicher Stimmung antraf. Die Inquisitoren hatten ihn nicht mehr belästigt; Craddox hatte ihm gesagt, daß der Austausch genehmigt sei und daß er sich bereithalten solle, morgen oder übermorgen abzureisen. Seine Bitten klangen wie Abschiedsworte: man möge ihm sein restliches Gehalt und die Erlöse aus etwaigen Verkäufen in seinem Namen auf die Moskauer Narodny-Bank überweisen, die ihm auch seine Post zustellen werde. Die Galerie Arnolfini in Bristol habe einige seiner Bilder, darunter ein paar frühe Aquarelle von Damaskus, die er wiederhaben wollte. Ob Smiley bitte dafür sorgen könne? Dann, die Tarnung für sein Verschwinden:

»Ziehen Sie es möglichst lang hin«, riet er. »Sagen Sie, ich hätte dringend verreisen müssen, machen Sie es möglichst geheimnis­voll, lassen Sie ein paar Jahre drüber vergehen, dann machen Sie mir den Garaus ...«

»Ach, ich glaube, wir kriegen das schon hin, vielen Dank«, sagte Smiley.

Zum erstenmal, seit Smiley ihn kannte, machte Haydon sich Ge­danken wegen seiner Kleidung. Er wolle bei seiner Ankunft nach etwas aussehen, sagte er: der erste Eindruck sei so wichtig. »Diese Moskauer Schneider sind indiskutabel. Putzen einen auf wie einen Commis.«

»Genau«, sagte Smiley, dessen Meinung über Londoner Schneider keineswegs besser war.

Ach, und da sei noch ein Junge, fügte er nonchalant hinzu, ein Freund bei der Marine, wohnte in Notting Hill. »Am besten ge­ben Sie ihm ein paar Hunderter, damit er die Klappe hält. Können Sie das aus dem Reptilienfonds bestreiten?«

»Bestimmt.«

Er schrieb eine Adresse auf. Dann ging Haydon in der gleichen kameradschaftlichen Tonart auf das ein, was Smiley die Details genannt hatte.

Er lehnte es ab, über irgendeine Einzelheit seiner Anwerbung oder seiner lebenslangen Verbindung zu Karla zu sprechen. »Le­benslang?« wiederholte Smiley prompt. »Wann lernten Sie ihn kennen?«

Die gestrigen Versicherungen erschienen plötzlich sinnlos, aber Haydon wollte nicht ausführlicher werden. Etwa von 1950 an hatte Haydon — wenn man ihm Glauben schenken konnte — Karla gelegentlich mit ausgewählten Ge­heiminformationen bestückt. Diese frühen Zuwendungen be­schränkten sich auf solche Enthüllungen, die seiner Ansicht nach die russischen Interessen gegenüber den Vereinigten Staaten di­rekt fördern würden; er hatte »streng darauf geachtet, ihnen nichts zu geben, was uns selber schaden könnte«, wie er sich ausdrückte, oder was den Außenagenten hätte schaden kön­nen.