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Hier gelang Haydon ein Lachen. Nachdem er im stillen den gan­zen Circus durcheinander gebracht habe, sagte er, wolle er nun nicht den Prozeß vor der Öffentlichkeit wiederholen. Ehe er ging, stellte Smiley die eine Frage, die ihm noch immer am Herzen lag.

»Ich werde es Ann sagen müssen. Gibt es irgend etwas, das ich ihr bestellen soll?«

Es erforderte einiges Hin- und Herreden, ehe ihm die Bedeutung von Smileys Frage aufging. Zuerst glaubte er, Smiley habe gesagt »Jan« und konnte nicht begreifen, warum Smiley sie noch nicht aufgesucht hatte.

»Ach so, Ihre Ann«, sagte er, als gäbe es eine Menge Anns um sie herum.

Es sei Karlas Idee gewesen, erklärte er. Karla hatte längst erkannt, daß Smiley die größte Bedrohung für den Maulwurf Gerald dar­stellte. »Er sagt, Sie seien sehr gut.«

»Vielen Dank.«

»Aber Sie hatten diesen einen Preis: Ann. Die letzte Illusion eines illusionslosen Mannes. Er schätzte, wenn ich überall als Anns Liebhaber bekannt wäre, so würden Sie mich in anderer Hinsicht nicht so genau sehen.« Seine Augen, so stellte Smiley fest, waren sehr starr geworden. Zinnkugeln hatte Ann sie genannt. »Nichts forcieren oder so, aber wenn möglich, nehmen Sie am Rennen teil. Ja?«

»Ja«, sagte Smiley.

Zum Beispiel, in der Nacht von Testify hatte Karla darauf be­standen, daß Haydon, wenn irgend möglich, mit Ann turteln soll­te. Als eine Art Versicherung.

»Und war in dieser Nacht nicht tatsächlich eine Kleinigkeit schiefgegangen?« fragte Smiley und dachte an Sam Collins und die Frage, ob Ellis erschossen wurde. Haydon gab zu, daß es so gewesen sei. Wäre alles nach Plan gegangen, so hätten die ersten tschechischen Bulletins um zehn Uhr dreißig einlaufen müssen. Haydon hätte Gelegenheit gehabt, in seinem Club die Meldungen des Fernschreibers zu lesen, nachdem Collins Ann angerufen hatte und ehe er zum Circus ging, um die Sache in die Hand zu nehmen. Aber weil Jim getroffen worden war, hatte es am tschechischen Ende Kuddelmuddel gegeben und das Bulletin war erst heraus­gekommen, nachdem sein Club geschlossen hatte. »Ein Glück, daß keiner es nachgeprüft hat«, sagte er und nahm sich noch eine von Smileys Zigaretten. »Welcher war ich übri­gens?« fragte er leichthin. »Ich hab's vergessen.«

»König. Ich war Dame.«

Smiley hatte nun genug und ging, ohne sich zu verabschieden. Er stieg in sein Auto und fuhr eine Stunde lang blindlings dahin, bis er sich mit hundertzwanzig auf einer Landstraße nach Oxford befand, also machte er halt, aß zu Mittag und fuhr nach London zurück. Er konnte sich noch immer nicht entschließen, in die Bywater Street zurückzukehren und ging ins Kino, aß irgend­wo zu Abend und kam um Mitternacht leicht angetrunken nach Hause, wo er Lacon und Miles Sercombe auf der Türschwelle vorfand und Sercombes blödsinnigen Rolls-Royce, die schwarze Bettpfanne, in seinen ganzen fünfzehn Metern Länge schräg über den Gehsteig geparkt sah.

Sie fuhren in einem Affentempo nach Sarratt, und dort saß, in­mitten der Nacht unter einem klaren Himmel, beleuchtet von mehreren Stablampen und angestarrt von mehreren leichen­blassen Insassen der Nursery, Bill Haydon auf einer Gartenbank und blickte auf das mondbeschienene Kricketfeld. Er trug einen gestreiften Pyjama unter seinem Mantel, der aussah wie ein Sträf­lingsanzug. Seine Augen waren geöffnet und sein Kopf unnatür­lich nach der Seite verdreht, wie der Kopf eines Vogels, dem eine kundige Hand den Hals umgedreht hat. Über das, was geschehen war, wurde weiter nicht geredet. Um 10 Uhr 30 hatte Haydon vor seinen Wächtern über Schlaflosigkeit und Übelkeit geklagt, er meinte, er müsse etwas frische Luft schöpfen. Da sein Fall für abgeschlossen galt, kam keiner auf den Gedanken, ihn zu be­gleiten, und so spazierte er allein in die Dunkelheit hinaus. Einer der Wächter erinnerte sich, wie er gescherzt habe, er wolle »den Zustand des Kricket-Tores untersuchen«. Der andere war zu sehr ins Fernsehen vertieft gewesen, als daß er sich an irgend etwas hatte erinnern können. Nach einer halben Stunde wurde es ihnen mulmig, und der ältere Wächter ging, um nachzuschauen, während sein Gehilfe im Haus blieb für den Fall, daß Haydon zurück­kommen sollte.

Haydon wurde dort gefunden, wo er jetzt saß. Zunächst nahm der Wächter an, er sei eingeschlafen. Als er sich über ihn beugte,

schlug ihm eine Alkohol-Fahne entgegen - er vermutete Gin oder Wodka -, und er hielt Haydon für betrunken.

Dies überraschte ihn, da sich in der Nursery offiziell kein Alkohol befand.

Erst als er versuchte, Haydon hochzuheben, sackte dessen Kopf weg, und der Rest folgte in seiner ganzen Schwere nach. Er mußte sich übergeben haben (die Spuren waren an einem Baum zu be­sichtigen), und so stützte der Wächter ihn wieder auf und schlug Alarm.

Ob Haydon während des Tages irgendwelche Nachrichten er­halten habe, fragte Smiley. Nein, aber sein Anzug sei von der Reinigung zurückgekommen, und möglicherweise sei darin eine Botschaft versteckt worden - zum Beispiel die Aufforderung zu einem Treffen.

»Die Russen haben das also getan«, verkündete der Minister be­friedigt in Richtung Haydons regungsloser Gestalt. »Ihn am Ausplaudern zu hindern, nehme ich an. Verdammte Bande!«

»Nein«, sagte Smiley. »Sie setzen alles daran, um ihre Leute zu­rückzubekommen .«

»Wer zum Teufel hat es dann getan?«

Jeder wartete auf Smileys Antwort, aber es kam keine. Die Stab­lampen verloschen, und die Gruppe bewegte sich langsam auf den Wagen zu.

»Können wir ihn trotzdem hergeben?« fragte der Minister auf dem Rückweg.

»Er war sowjetischer Staatsbürger. Sollen sie ihn haben«, sagte Lacon, wobei er in der Dunkelheit immer noch Smiley beob­achtete.

Sie waren sich darüber einig, daß es um die Netze schade sei. Mal sehen, ob Karla trotzdem auf den Handel eingehen würde. »Bestimmt nicht«, sagte Smiley.

George Smiley kehrt zu seiner letzten Illusion zurück

Als er all dies in der Abgeschiedenheit seines Erster-Klasse-Coupes überdachte, hatte Smiley das kuriose Empfinden, als be­trachtete er Haydon durch das verkehrte Ende eines Teleskops, wo er immer kleiner wurde und schließlich ganz verschwand. Smiley hatte seit dem vergangenen Abend nur wenig gegessen, aber die Bar war während des größten Teils der Reise geöffnet gewesen.

Als Liverpool Street hinter ihm lag, hatte er sich der wehmütigen Vorstellung hingegeben, daß er Haydon gemocht und respek­tiert hatte: er sei trotz allem ein Mensch gewesen, der etwas zu sagen gehabt und es gesagt habe. Aber sein ganzes Denken ver­warf diese bequeme Vereinfachung: je mehr er über Haydons sprunghafte Rechtfertigung nachgrübelte, um so deutlicher wur­den ihm ihre Widersprüchlichkeiten. Er versuchte zuerst, in Haydon das romantische Klischee des Intellektuellen der dreißi­ger Jahre zu sehen, für den Moskau das natürliche Mekka bedeu­tete. »Moskau war Bills akademische Disziplin«, sagte er sich. »Er brauchte die Symmetrie einer historisch-ökonomischen Lö­sung.« Eine unzureichende Erklärung, also fügte er noch mehr über den Mann hinzu, den er zu schätzen und abzuschätzen ver­suchte. »Bill war ein Romantiker und ein Snob. Er träumte von einem elitären Vortrupp, der die Massen aus der Finsternis her­ausführen würde.« Dann fielen ihm die halbfertigen Bilder im Wohnzimmer des Mädchens in Kentish Town ein: verkrampft, bemüht, verworfen. Er erinnerte sich auch an den Geist von Bills autoritärem Vater - Ann hatte ihn den Unhold getauft - und in seinen Augen war Bills Marxismus ein Ausgleich für seine Un­zulänglichkeit als Künstler und für eine lieblose Kindheit. Später hatte es dann natürlich wenig geändert, daß die Doktrin sich als nicht recht tragfähig erwies. Bill hatte die Bahn betreten, und Karla wußte ihn dort zu halten. Verrat ist größtenteils Gewohn­heitssache, entschied er und sah Bill wieder auf dem Boden des Wohnzimmers in der Bywater Street ausgestreckt, während Ann ihm Schallplatten vorspielte.