»Mr. Guillam ist mein Boß«, sagte Tarr tugendhaft.
»Ist Ihnen überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß er sie kurzerhand an Alleline weiterreichen könnte? Schließlich sind Sie, jedenfalls in den Augen der Circus-Riesen, ein sehr begehrter Mann.«
»Klar. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Mr. Guillam mehr für die neue Gruppierung übrig hat als Sie, Mr. Smiley.«
»Außerdem liebt er England«, erläuterte Guillam mit beißendem Hohn.
»Klar. Ich hab' Heimweh gekriegt.«
»Haben Sie jemals erwogen, sich an jemanden anders als an ihn zu wenden? Warum zum Beispiel nicht an eine der Außenstellen, wo Sie weniger Gefahr liefen? Ist Mackelvore noch der Leiter in Paris?« Guillam nickte. »Na also: Sie hätten zu Mr. Mackelvore gehen können. Er hat Sie angeworben, Sie können ihm vertrauen: ein alter Circus-Mann. Sie hätten sicher in Paris sitzen können, anstatt hier Ihren Hals zu riskieren. Du lieber Gott. Lacon, schnell!«
Smiley war aufgesprungen, er hatte den Handrücken an den Mund gepreßt und starrte aus dem Fenster. Auf der Koppel lag Jackie Lacon schreiend auf dem Bauch, während ein reiterloses Pony zwischen den Bäumen davonraste. Sie schauten noch immer hinaus, als Mrs. Lacon, eine hübsche Frau mit langem Haar und dicken Winterstrümpfen, über den Zaun sprang und das Kind aufhob.
»Sie fallen oft runter«, bemerkte Lacon ziemlich ärgerlich. »In diesem Alter tun sie sich nicht weh.« Und nicht viel liebenswürdiger setzte er hinzu: »George, Sie sind nicht für Gott und die Welt verantwortlich.« Langsam setzten sie sich wieder zurecht.
»Und wenn Sie Paris zum Ziel gehabt hätten«, fuhr Smiley fort, »welche Route hätten Sie dann gewählt?«
»Die gleiche bis Irland, und dann wahrscheinlich Dublin-Orly. Was haben Sie gedacht: daß ich auf dem Wasser wandle?« Hier wurde Lacon rot, und Guillam sprang mit einem zornigen Ausruf hoch. Nur Smiley schien ganz ungerührt. Er nahm den Paß wieder zur Hand und kehrte langsam zum Anfang zurück. »Und wie haben Sie sich mit Mr. Guillam in Verbindung gesetzt?«
Guillam antwortete an seiner Stelle, er sprach schnelclass="underline" »Er wußte, wo ich meinen Wagen unterstelle. Er schlug einen Treffpunkt vor und deutete an, wir sollten das Ganze zunächst als Privatsache betrachten. Ich nahm Fawn als Babysitter mit.« Smiley unterbrach: »Vorhin an der Tür, war das Fawn?«
»Er stand für mich Wache, während wir redeten. Seitdem ist er ständig bei uns. Sobald ich Tarrs Geschichte gehört hatte, rief ich von einer Telefonzelle aus Lacon an und bat um eine Unterredung. George, sollten wir das nicht unter uns besprechen?«
»Haben Sie Lacon hier angerufen oder in London?«
»Hier«, sagte Lacon.
Stille trat ein, bis Guillam erklärte: »Ich erinnerte mich zufällig an den Namen eines Mädchens in Lacons Büro. Ich erwähnte ihren Namen und sagte, sie habe mich gebeten, ihn dringend wegen einer Privatsache anzurufen. Es war nicht ideal, aber es war das Beste, was mir auf Anhieb einfiel.« Und um das Schweigen auszufüllen, setzte er hinzu: »Verdammt noch mal, es bestand kein Grund zur Annahme, daß die Leitung angezapft war.«
»Es bestand jeder Grund.«
Smiley hatte den Paß zugeklappt und prüfte den Einband im Licht einer neben ihm stehenden schäbigen Leselampe. »Recht ordentlich, wie?« bemerkte er leichthin. »Sogar sehr ordentlich. Ich würde sagen, Facharbeit. Ich kann keine schwache Stelle entdecken.«
»Bemühen Sie sich nicht, Mr. Smiley«, konterte Tarr und nahm den Paß wieder an sich, »er ist nicht made in Russia.« Als er an der Tür stand, war das Lächeln wieder zurückgekehrt. »Soll ich Ihnen mal was sagen?« fragte er die drei Männer über die Schneise des langen Raums hinweg. »Wenn Irina recht hat, dann werdet ihr Jungens einen ganz neuen Circus brauchen. Wenn wir also zusammenhalten, könnten wir die Kerntruppe bilden.« Er trommelte spielerisch an die Tür. »Mach auf, Darling, ich bin's. Ricki.«
»Danke! Geht in Ordnung! öffnen Sie bitte«, rief Lacon, und einen Augenblick später wurde der Schlüssel umgedreht, die dunkle Gestalt Fawns, des Babysitters, wurde einen kurzen Moment sichtbar, und die Schritte der beiden verklangen in den tiefen Gewölben des Hauses, zur Begleitmusik von Jackie Lacons fernem Gebrüll.
Worin der Name Ellis zum ersten, aber nicht zum letzten Mal fällt
Auf der Seite des Hauses, die der Pony-Koppel entgegengesetzt war, lag unter den Bäumen versteckt ein Tennisrasen. Es war kein guter Tennisrasen, er wurde selten gemäht. Im Frühling war das Gras sumpfig vom Winter und die Sonne konnte nicht hingelangen und es trocknen, im Sommer verschwanden die Bälle im Laubwerk, und an diesem Morgen war er knöcheltief von gefrorenen Blättern bedeckt, die sich überall aus dem Garten hier angesammelt hatten. Aber außen herum, ungefähr parallel mit dem Drahtrechteck, zog sich ein Pfad zwischen einigen Birken hin, und auf diesem Pfad gingen auch Smiley und Lacon fürbaß. Smiley hatte seinen Reisemantel angezogen, aber Lacon trug nur seinen fadenscheinigen Anzug. Vielleicht hatte er deshalb eine so scharfe rücksichtslose Gangart angeschlagen, daß jeder Schritt ihn ein Stück weiter über Smiley hinausbrachte und er ständig innehalten und - Schultern und Ellbogen angehoben -, warten mußte, bis der kleinere Mann aufgeholt hatte. Dann legte er sofort wieder los und gewann aufs neue Vorsprung. Auf diese Weise brachten sie zwei Runden hinter sich, bis Lacon das Schweigen brach. »Als Sie vor einem Jahr mit einem ähnlichen Vorschlag zu mir kamen, habe ich Sie leider hinausgeworfen. Ich nehme an, ich sollte mich entschuldigen. Ich war nicht auf der Höhe.« Angemessenes Schweigen herrschte, während er sein Pflichtversäumnis erwog. »Ich gab Ihnen Anweisung, Ihre Nachforschungen einzustellen.«
»Sie sagten, es sei Amtsanmaßung«, sagte Smiley betrübt, wie in Erinnerung an den gleichen Trauerfall.
»Habe ich diesen Ausdruck gebraucht? Großer Gott, wie schwülstig!«
Vom Haus her hörte man Jackie noch immer schreien.
»Sie hatten nie welche, wie?« quäkte Lacon plötzlich und hob lauschend den Kopf.
»Wie bitte?«
»Kinder. Sie und Ann.«
»Nein.«
»Neffen, Nichten?«
»Einen Neffen.«
»Ihr eigener?«
»Anns Neffe.«
Vielleicht bin ich nie von hier weggegangen, dachte er und blickte um sich, auf die wuchernden Rosen, die zerbrochenen Schaukeln und morastigen Sandgruben, das ungepflegte rote Haus, das im Morgenlicht so roh wirkte. Vielleicht sind wir noch vom letzten Mal da. Lacon rechtfertigte sich aufs neue: »Ich gebe zu, daß ich Ihren Motiven nicht hundertprozentig traute. Es ging mir durch den Kopf, daß Control Sie darauf angesetzt haben könnte, wissen Sie. Um sich an der Macht zu halten und Alleline nicht zum Zug kommen zu lassen«, und wieder rannte er los, mit langen Schritten, abgewinkelten Handgelenken.
»O nein, ich garantiere Ihnen, daß Control überhaupt nichts davon wußte.«
»Das ist mir jetzt klar. Damals nicht. Es ist nicht ganz einfach zu entscheiden, wann man euch trauen darf und wann nicht. Sie haben ganz andere Maßstäbe, nicht wahr? Ich meine, notwendigerweise. Ich akzeptiere sie. Ich will hier nicht richten. Schließlich haben wir alle das gleiche Ziel, wenn auch unsere Methoden verschieden sind« - er setzte über einen Viehgraben. »Einmal hörte ich jemanden sagen, Moral ist Methode. Sind Sie auch dieser Meinung? Wahrscheinlich nicht. Sie würden vermutlich sagen, die Moral sei durch das Ziel definiert. Nur, daß es schwer zu sagen ist, welche Ziele man wirklich hat, besonders wenn man Brite ist. Wir können von euch Leutchen nicht erwarten, daß ihr die Politik für uns festsetzt, wie? Wir können euch nur bitten, sie zu schützen. Habe ich recht? Knifflige Sache das.« Smiley, der keine Lust mehr hatte, hinter ihm herzujagen, setzte sich auf eine rostige Schaukel, wickelte den Mantel enger um sich und wartete, bis Lacon endlich zurückstelzte und sich neben ihm niederließ. Eine Weile schaukelten sie gemeinsam sanft im Rhythmus der ächzenden Federn.