»Wie zum Teufel ist sie auf Tarr verfallen«, brummte Lacon schließlich und ließ die langen Finger knacken. »Von allen Menschen auf der Welt ausgerechnet den als Beichtvater zu wählen, der so ziemlich der unpassendste sein dürfte.«
»Ich fürchte, diese Frage werden Sie einer Frau stellen müssen,
nicht uns«, sagte Smiley und fragte sich wieder einmal, wo Immingham sein mochte.
»Wahrhaftig«, sagte Lacon mit übertriebener Betonung, »ein vollständiges Rätsel, das Ganze. Um elf Uhr bin ich beim Minister. Ich muß ihn ins Bild setzen. Ihren Parlamentsvetter«, fügte er als gezwungenen vertraulichen Scherz hinzu.
»Eigentlich Anns Vetter«, berichtigte ihn Smiley im gleichen abwesenden Tonfall. »Um etliche Ecken, sollte ich hinzufügen, aber trotz allem ein Vetter.«
»Und Bill Haydon ist auch Anns Vetter? Unser vornehmer Direktor von London Station.« Ach dies hatten sie schon einmal durchgespielt.
»Auf andere Weise, ja, ist Bill auch ihr Vetter.« Ziemlich überflüssig fügte er hinzu: »Sie kommt aus einer alten Familie mit einer starken politischen Tradition. Im Laufe der Zeit hat sie sich ziemlich ausgebreitet.«
»Die Tradition?« Lacon liebte es, auf Doppeldeutigkeiten hinzuweisen. »Die Familie.«
Hinter diesen Bäumen, dachte er, fahren Autos vorbei. Hinter diesen Bäumen liegt eine ganze Welt, aber Lacon hat seine rote Burg und sein christliches Pflichtgefühl, das ihm keinen anderen Lohn verspricht als einen Adelstitel, die Achtung seiner Peers, eine fette Pension und ein paar Aufsichtsratspöstchen in der City. »Auf jeden Fall sehe ich ihn um elf.« Lacon war aufgesprungen, und nun marschierten sie wieder. Smiley fing den Namen Ellis auf, den die herbstliche Morgenluft zu ihm zurückwehte. Einen Augenblick überkam ihn, genau wie neben Guillam im Auto, eine seltsame Nervosität.
»Schließlich«, sagte Lacon gerade, »haben wir beide nur unsere Pflicht getan. Sie glaubten, Ellis sei ein Verräter, und Sie verlangten eine Hexenjagd. Mein Minister und ich glaubten, es handele sich um schlimmste Unfähigkeit von Control - eine Ansicht, die, um es milde auszudrücken, das Foreign Office teilte -, und wir verlangten einen neuen Besen.«
»Oh, ich verstehe Ihr Dilemma sehr gut«, sagte Smiley mehr zu sich selber als zu Lacon.
»Freut mich. Und vergessen Sie nicht, George: Sie waren Controls Mann. Control hat Sie Haydon vorgezogen, und als er gegen Ende die Dinge nicht mehr im Griff hatte - und dieses ganze ungeheure Abenteuer begann -, haben Sie sich für ihn exponiert. Nur Sie, George. Es passiert nicht alle Tage, daß der Leiter eines Geheimdienstes einen Privatkrieg gegen die Tschechen beginnt.« Es war klar, daß die Erinnerung immer noch schmerzte. »Unter anderen Gegebenheiten hätte wahrscheinlich Haydon dran glauben müssen, aber Sie saßen schon auf dem Schleudersitz, und . . .«
»Und Alleline war der Mann des Ministers«, sagte Smiley so milde, daß Lacon seine Gangart zügelte und ihm zuhörte. »Sie hatten ja keinen Verdächtigen, nicht wahr? Sie wiesen nicht mit dem Finger auf einen bestimmten Mann. Eine ziellose Untersuchung kann außerordentlich viel Schaden anrichten.«
»Ein neuer Besen hingegen kehrt besser.«
»Percy Alleline macht seine Sache sehr gut. Er sorgt für Nachrichten statt für Skandale; er hält sich genau an die Abmachungen und hat das Vertrauen der Klienten gewonnen. Und soviel ich weiß, ist er noch nicht in tschechoslowakisches Gebiet eingedrungen.«
Sie waren zu einem leeren Schwimmbassin gelangt und starrten auf den Grund. Aus den schlammigen Tiefen vermeinte Smiley wieder Roddy Martindales hinterhältige Stimme zu hören: »Kleine Leseräume in der Admiralität, kleine Ausschüsse mit komischen Namen wachsen aus dem Boden . . .«
»Sprudelt Percys Spezialquelle noch immer?« erkundigte sich Smiley. »Das Witchcraft-Material oder wie man das heutzutage nennt.«
»Ich wußte nicht, daß Sie eingeweiht sind«, sagte Lacon keineswegs erfreut. »Da Sie danach fragen, ja. Quelle Merlin ist unser wichtigster Anhaltspunkt, und Witchcraft ist immer noch der Name des Produkts. Der Circus hat seit Jahren kein so gutes Material vorgelegt. Überhaupt nie, soweit ich mich erinnern kann.«
»Und es unterliegt noch immer diesen besonderen Sicherheitsbestimmungen ?«
»Gewiß, und nachdem das jetzt passiert ist, werden wir bestimmt noch weit strengere Vorsichtsmaßnahmen treffen.«
»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun. Gerald könnte den Braten riechen.«
»Das ist der Haken, nicht wahr?« bemerkte Lacon rasch. Seine Zähigkeit war unglaublich, dachte Smiley. Im einen Augenblick war er ein dürrer, ausgepumpter Boxer, dem die Handschuhe zu groß waren für die mageren Gelenke; im nächsten hatte er ausgeholt, einen in die Seile geschickt und beobachtete sodann sein Opfer mit christlichem Mitgefühl. »Wir können nichts tun. Wir können keine Nachforschungen anstellen, weil das gesamte Instrumentarium für eine solche Untersuchung in den Händen des Circus liegt, vielleicht sogar beim Maulwurf Gerald persönlich. Wir können nicht beschatten oder abhören oder Post öffnen. Wir würden in jedem solchen Fall auf Esterhases Aufklärer zurückgreifen müssen, und Esterhase muß wie jeder andere auch suspekt sein. Wir können keine Verhöre anstellen, wir können nicht dafür sorgen, daß bestimmten Personen der Zugang zu heiklen Geheimnissen verwehrt wird. Wenn wir etwas Derartiges unternähmen, würden wir riskieren, den Maulwurf stutzig zu machen. Es ist die älteste Frage der Welt, George. Wer kann den Spion ausspionieren? Wer kann den Fuchs hetzen, ohne mit ihm zu rennen?« Er machte einen weiteren mißglückten Versuch, Humor zu beweisen: »Höchstens der Maulwurf«, sagte er im Verschwörerton.
In einer jähen Aufwallung von Energie hatte Smiley sich losgerissen und trabte vor Lacon den Pfad entlang, der zur Koppel führte.
»Dann gehen Sie doch zur Konkurrenz«, rief er, »Gehen Sie zum Sicherheitsdienst. Sie sind die Experten, sie werden Ihnen eine feine Arbeit liefern.«
»Der Minister möchte das nicht. Sie wissen sehr genau, was er und Alleline von der Konkurrenz halten. Und ganz zu recht, wenn ich das sagen darf. Eine Meute ehemaliger Verwaltungsbeamter aus den Kolonien, die in den Circus-Papieren herumstöbert: ebensogut könnte man das Heer ansetzen, um die Marine zu überprüfen!«
»Das ist überhaupt kein Vergleich«, wandte Smiley ein. Aber Lacon als guter Beamter hatte schon die zweite Metapher bereit: »Jedenfalls würde der Minister lieber unter einem undichten Dach wohnen, als sich von diesen Außenseitern seine ganze Burg einreißen zu lassen. Entspricht Ihnen diese Formulierung! Er hat einen absolut stichhaltigen Grund, George. Wir haben doch Agenten im Außendienst, und ich würde keinen Pfifferling mehr für sie geben, wenn die Herren vom Sicherheitsdienst angewalzt kämen.«
Jetzt war es an Smiley, sein Tempo zu mäßigen. »Wie viele?«
»Sechshundert, ein paar mehr oder weniger.«
»Und hinter dem Vorhang?«
»Auf dem Etat stehen hundertundzwanzig.« Bei Zahlen, bei Fakten kannte Lacon keine Unsicherheit. Sie waren das Gold, mit dem er arbeitete, das er im Schweiß seines Angesichts der grauen bürokratischen Erde entrungen hatte. »Soviel ich den Zahlungsquittungen entnehmen kann, sind Sie zur Zeit fast alle im Einsatz.« Er machte einen langen Satz. »Ich kann ihm also sagen, daß Sie es übernehmen, nicht wahr?« flötete er so ganz beiläufig, als wäre die Frage eine reine Formalität, nur damit dieser Punkt abgehakt werden könnte. »Sie übernehmen die Arbeit, misten den Stall aus? Gehen Sie zurück, vorwärts, alles was notwendig ist. Schließlich ist es Ihre Generation. Ihr Erbteil.«
Smiley hatte das Gatter der Koppel aufgestoßen und schlug es hinter sich zu. Sie maßen einander über den wackligen Zaun. Lacons rosig angehauchtes Gesicht zeigte ein unterwürfiges Lächeln.
»Wie komme ich auf Ellis?« fragte er im Konversationston. »Warum spreche ich von der Ellis-Affäre, wenn der arme Mensch doch Prideaux hieß?«