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Einiges darüber war in die Zeitungen gelangt, es gab Anfragen im Parlament und sogar Gerüchte - die offiziell nicht bestätigt wurden -, daß britische Truppen in Deutschland in höchster Alarmbereitschaft seien.

Schließlich, nachdem er sich lange genug in allen möglichen Büros herumgetrieben hatte, ging ihm auf, was allen anderen schon vor sechs Wochen aufgegangen war. Der Circus schwieg nicht nur, er war eingefroren. Nichts kam herein, nichts ging hinaus; jedenfalls nicht auf der Ebene, auf der Guillam sich bewegte. Alle Mächtigen des Hauses waren wie vom Erdboden verschluckt, und als der Zahltag kam, steckten keine dicken Kuverts in den Fächern, weil, laut Mary, die Personalabteilung nicht die übliche allmonatliche Anweisung erhalten habe, sie auszugeben. Dann und wann berichtete jemand, er habe Alleline beim Verlassen seines Clubs gesehen, ausgesprochen verbiestert. Oder Control beim Einsteigen in seinen Wagen, ausgeprochen sonnig. Oder daß Bill Haydon seine Entlassung eingereicht habe, mit der Begründung, daß er übergangen oder unterlaufen worden sei, aber Bill reichte ständig seine Entlassung ein. Dieses Mal jedoch, wie das Gerücht wissen wollte, aus andersgearteten Gründen: Haydon sei wütend darüber, daß der Circus sich weigere, den Tschechen den Preis für Jim Prideaux' Freilassung zu zahlen; sie verlangten angeblich zu viel an Agenten oder an Prestige. Und daß Bill einen seiner Ausbrüche von Chauvinismus gehabt und erklärt habe, jeder Preis sei angemessen, wenn man dafür einen Engländer zurückbekomme: gebt ihnen alles, was sie wollen, aber holt Jim zurück.

Dann erschien eines Abends Smiley unter Guillams Tür und lud ihn zu einem Drink ein. Mary wußte nicht, wer er war, und sagte nur in ihrem einstudiert klassenlosen Tonfall «Hallo«. Als sie Seite an Seite den Circus verließen, wünschte Smiley den Kontrollbeamten ungewöhnlich knapp gute Nacht, und in der Kneipe an der Wardour Street sagte er: »Sie haben mich geschaßt«, und das war alles.

Vom Pub gingen sie in ein Weinlokal in der Nähe von Charing Cross, einem Keller mit Musik und ohne Gäste. »Haben sie irgendeinen vernünftigen Grund angegeben?« erkundigte sich Guillam. »Oder ist es nur, weil Ihre Figur gelitten hat?« Smiley hakte bei dem Wort »vernünftig« ein. Er war inzwischen ehrenhaft, aber gründlich betrunken, doch »vernünftige Gründe« drangen, während sie am Themseufer entlangschwankten, zu ihm durch.

»Vernünftig als logisch?« fragte er, und es klang weniger nach Smiley als nach Bill Haydon, dessen polemischer Stil aus der Vorkriegszeit in diesen Tagen jedermann in den Ohren zu klingen schien. »Oder vernünftig als begründet? Vernunft als Lebensform?« Sie setzten sich auf eine Bank. »Ich pfeife auf ihre vernünftigen Gründe<. Ich habe meine eigenen. Und zwar ganz andere«, räsonierte er hartnäckig weiter, während Guillam ihn sorgsam in ein Taxi verlud und dem Chauffeur Geld und Adresse gab, »ganz andere, als diese halbgare Toleranz, die nur der Interesselosigkeit entspringt.«

»Amen«, sagte Guillam, der dem entschwindenden Taxi nachschaute und in diesem Augenblick klar erkannte, daß nach den Regeln des Circus ihre Freundschaft, so wie sie bisher gewesen war, hier und jetzt endete. Am nächsten Tag erfuhr Guillam, daß noch mehr Köpfe gerollt waren und daß Percy Alleline als Nachtwächter mit dem Titel eines amtierenden Chefs zunächst den Laden übernehmen sollte, und daß Bill Haydon zu jedermanns Erstaunen, aber höchst wahrscheinlich aus nagendem Zorn auf Control, unter ihm arbeiten wolle; oder, wie die ganz Gescheiten sagten, über ihm. Weihnachten war Control tot. »Du wirst der nächste sein«, sagte Mary, die in diesen Ereignissen eine zweite Erstürmung des Winterpalastes sah, und sie weinte, als Guillam in die sibirische Verbannung nach Brixton zog, ironischerweise, um Jim Prideaux' Planstelle auszufüllen. Als Guillam nun an jenem feuchten Montagnachmittag, beschwingt von der Aussicht auf Treuebruch, die Stufen zum Circus hinaufstieg, ließ er sich alle diese Ereignisse nochmals durch den Kopf gehen und kam zu dem Schluß, daß heute sein Weg zurück begann.

Er hatte die vorangegangene Nacht in seiner geräumigen Wohnung am Eaton Place in Gesellschaft Camillas verbracht, einer Musikstudentin mit langgestrecktem Körper und traurigem schönem Gesicht. Obwohl sie erst zwanzig war, hatte ihr schwarzes Haar graue Strähnen, wie von einem Schock, über den sie niemals sprach. Als vielleicht weitere Folge des gleichen unausgesprochenen Traumas aß sie kein Fleisch, trug keine Lederschuhe und nahm keine alkoholischen Getränke zu sich; nur in der Liebe war sie, wie es Guillam schien, frei von solchen geheimnisvollen Hemmungen. Er hatte den ganzen Vormittag allein in seinem äußerst schäbigen Zimmer in Brixton Dokumente aus dem Circus fotografiert, mittels einer Kleinstbildkamera aus seinen eigenen Ausrüstungsbeständen; er tat das häufig, um in Übung zu bleiben. Der Lagerverwalter hatte gefragt »Tageslicht oder künstlich«, und sie hatten sich freundschaftlich über Lichtempfindlichkeit unterhalten. Er hatte seiner Sekretärin gesagt, daß er nicht gestört werden wolle, seine Tür abgeschlossen und sich nach Smileys präzisen Anweisungen an die Arbeit gemacht. Die Fenster waren hoch in der Wand eingelassen. Im Sitzen konnte er nur den Himmel sehen und das Dach der neuen Schule am Ende der Straße.

Er begann mit Nachschlagematerial aus seinem Privatsafe. Smiley hatte ihm die Reihenfolge angegeben. Zuerst das Mitarbeiterverzeichnis, nur an höhere Beamte auszuhändigen, mit den Privatadressen, Telefonnummern, Namen und Arbeitsnamen des gesamten im Inland stationierten Circuspersonals. Zweitens, Richtlinien der Aufgabenverteilung, mit Ausfalt-Diagramm des neuen Organisationsplans des Circus unter Alleline. In seinem Mittelpunkt lag London Station wie eine Riesenspinne in ihrem Netz. »Nach der Prideaux-Pleite«, hatte Bill zu wiederholten Malen gewettert, »wird es für uns keine Geheimarmeen mehr geben, keine linke Hand, die nicht weiß, was die linke tut.« Alleline war, wie Guillam feststellte, zweimal eingetragen, einmal als Chef, einmal als »Direktor der Abteilung Besondere Quellen«. Das Gerücht wollte wissen, daß diese Quellen den Circus am Leben hielten. Nach Guillams Dafürhalten war der minimale Arbeitsausstoß des Circus und das Ansehen, das er in Whitehall genoß, durch nichts anderes zu erklären. Diesen Dokumenten fügte er auf Smileys Drängen noch den revidierten Organisationsplan der Skalpjäger hinzu. Es handelte sich hierbei um einen Brief Allelines, der mit den Worten »Lieber Guillam« begann und ihm im einzelnen die Beschneidung seiner Befugnisse mitteilte. Sie gingen in mehreren Fällen an Toby Esterhase, den Chef der Aufklärer in Acton über, der einzigen Zweigstelle, die im Zuge des Lateralismus an Bedeutung gewonnen hatte. Danach ging er hinüber an seinen Schreibtisch und fotografierte, ebenfalls auf Anweisung Smileys, ein paar Routine-Rundschreiben, die als allgemeine Lektüre nützlich sein konnten. Unter ihnen war ein Klagelied der Verwaltung über den Zustand »sicherer Häuser« im Gebiet von London: »Es wird dringend gebeten, sie pfleglich zu behandeln«, und ein weiteres über den Mißbrauch nicht registrierter Telefone im Circus zu Privatgesprächen. Schließlich ein sehr massives persönliches Anschreiben der Dokumentenabteilung, worin er »zum unwiderruflich letzten Mal« darauf aufmerksam gemacht wurde, daß seine auf seinen Arbeitsnamen lautenden Autopapiere abgelaufen seien, und daß er, falls er sie nicht zu erneuern geruhte, »der Personalstelle zur Einleitung entsprechender disziplinarischer Maßnahmen gemeldet würde«.