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»Ost-West scheint okay, aber Nord-Süd hängt ganz eindeutig«,

erklärte Jim nach einem Test an der anderen Fensterrinne. »In was bist du besonders gut, Bill?«

»Ich weiß nicht, Sir«, sagte Roach hölzern.

»In irgendwas bist du bestimmt gut, das ist jeder. Wie steht's mit Fußball? Bist du gut in Fußball?«

»Nein, Sir«, sagte Roach.

»Bist du am Ende ein Stubenhocker?« fragte Jim zerstreut, ließ sich mit einem kurzen Grunzton aufs Bett nieder und nahm einen Schluck aus dem Becher. »Aber du siehst mir wirklich nicht aus wie ein Stubenhocker«, fügte er höflich hinzu. »Obwohl du ein Einzelgänger bist.«

»Ich weiß nicht«, wiederholte Roach und schob sich einen halben Schritt auf die offene Tür zu.

»Also, was ist dann deine starke Seite?« Er tat wiederum einen langen Zug. »In irgendwas mußt du gut sein, ist jeder. Meine starke Seite war Steine übers Wasser hüpfen lassen.« Nun war das eine besonders unglückliche Frage, denn sie beschäftigte Roach ohnehin fast den ganzen Tag. Ja, in letzter Zeit bezweifelte er sogar, ob er überhaupt irgendeinen Daseinszweck hatte. Bei Arbeit und Spiel fand er sich bedenklich ungenügend; sogar die kleinen Alltagspflichten in der Schule, wie Bettenbau und Kleiderbürsten, schienen seine Fähigkeiten zu übersteigen. Auch seine Frömmigkeit ließ zu wünschen übrig, wie die alte Mrs. Thursgood ihm vorgeworfen hatte, in der Kapelle schnitt er sogar Grimassen. Er nahm sich diese Unzulänglichkeiten sehr zu Herzen, am meisten aber nahm er sich das Scheitern der elterlichen Ehe zu Herzen, das er hätte vorhersehen und verhindern müssen. Er fragte sich sogar, ob er nicht direkt dafür verantwortlich sei, ob er zum Beispiel abnorm bösartig oder träge oder ein Störenfried sei und sein schlechter Charakter den Bruch herbeigeführt habe. In seiner letzten Schule hatte er versucht, sich durch Schreikrämpfe und simulierte Anfälle von progressiver Paralyse, an der seine Tante litt, verständlich zu machen. Seine Eltern hatten den Fall gemeinsam beraten, wie sie es in ihrer vernünftigen Art zu tun pflegten, und ihn in eine andere Schule gesteckt. Und als ihn nun hier, in dem engen Wohnwagen, diese Frage aus dem Mund eines zumindest halbgottgleichen Wesens unversehens ansprang, hätte sie ihn um ein Haar in die Katastrophe gestürzt. Er fühlte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoß, sah, wie seine Brillengläser sich beschlugen und der Wohnwagen in einem Meer von Kummer zu versinken schien. Roach erfuhr nie, ob Jim es bemerkt hatte, denn dieser hatte sich plötzlich abgewandt, war zum Tisch gegangen und bediente sich nun aus dem Plastikbecher, wobei er rettende Bemerkungen von sich gab.

»Also, ein guter Beobachter bist du mal auf jeden Fall, alter Junge. Das sind wir Eigenbrötler alle, haben keinen, auf den wir uns verlassen können, was? Außer dir hat mich kein Mensch entdeckt. Ganz schöner Schreck, steht da droben wie vom Himmel gefallen. Hab' gedacht, du bist ein Juju-Mann. Bill Roach ist der beste Beobachter im ganzen Stall, wetten? Wenn er seine Brille aufhat. Wie?«

»Ja«, stimmte Roach dankbar zu, »das bin ich.«

»Dann bleib jetzt mal hier und beobachte«, befahl Jim und stülpte sich den Safari-Hut wieder auf den Kopf, »während ich rausgehe und die Beine reguliere. Willst du?«

»Ja, Sir.«

»Wo ist die Murmel?«

»Hier, Sir.«

»Du rufst, wenn sie rollt, ja? Nord, Süd, eben in welcher Richtung,

verstanden?«

»Ja, Sir.«

»Weißt du, wo Norden ist?«

»Hier«, sagte Roach prompt und streckte blindlings den Arm aus.

»Richtig. Also, du rufst, wenn sie rollt«, wiederholte Jim und verschwand in den Regen. Kurz darauf fühlte Roach den Boden unter seinen Füßen schwanken und hörte einen Aufschrei des Schmerzes oder der Wut, als Jim sich mit einem widerspenstigen Bein abquälte.

Im Lauf dieses Sommerquartals ehrten die Jungens Jim durch die Verleihung eines Spitznamens. Erst nach mehreren Anläufen fanden sie das Richtige. Sie hatten es mit Wüstenfuchs probiert, was den militärischen Einschlag traf, sein gelegentliches harmloses Fluchen und seine einsamen Streifzüge in die Quantocks. Trotzdem setzte Wüstenfuchs sich nicht durch, und sie versuchten Pirat und eine Weile Gulasch. Gulasch wegen seiner Vorliebe für heiße Gerichte, des Geruchs nach Gewürzen und Zwiebel und Paprika, der ihnen in Schwaden entgegenschlug, wenn sie auf ihrem Weg zur Abendandacht im Gänsemarsch an der Senke vorüberzogen. Gulasch wegen seines vollendeten Französisch, dem angeblich etwas Lasches anhaftete. Spikely aus Fünf B konnte es täuschend nachahmen: »Du hast die Frage gehört, Berger. Was blickt Emil an?« Eine ruckartige Bewegung der rechten Hand. -»Starr mich nicht so an, alter Junge, ich bin kein Juju-Mann. Qu'estce qu'il regarde, Emile, dans le tableau que tu as sous le nez? Mon cher Berger, wenn du jetzt nicht bald einen anständigen französischen Satz zusammenbringst, je te mettrai tout de suite a la porte, tu comprends, du Knallkopf.«

Aber diese schrecklichen Drohungen wurden nie wahr gemacht, weder auf französisch noch auf englisch. Wunderlicherweise trugen sie sogar noch zu der Aura von Güte bei, die Jim bald schon umgab, eine Güte, die nur Jungensaugen an großen, kräftigen Männern entdecken können.

Trotzdem, Gulasch war auch nicht das Richtige. Es fehlte der Hinweis auf die innere Kraft. Auch war Jims leidenschaftliches Englischsein nicht berücksichtigt, das einzige Thema, mit dem man ihn todsicher vom Unterricht ablenken konnte. Knallfrosch Spikely mußte nur eine geringschätzige Bemerkung über die Monarchie fallenlassen, die Vorzüge eines fremden - vorzugsweise warmen - Landes in den Himmel heben, und schon schoß Jim das Blut ins Gesicht, und er ereiferte sich gute drei Minuten lang über das Privileg, als Engländer geboren zu sein. Er wußte, daß sie ihn hochnahmen, aber er konnte sich einfach nicht zurückhalten. Oft beendete er seine Erbauungspredigt mit einem reuigen Grinsen und murmelte etwas von Ablenkungsmanövern und Betragensnoten und langen Gesichtern, wenn gewisse Herrschaften nachsitzen müßten und das Fußballspiel versäumten. Aber England war seine große Liebe; im Ernstfall würde er niemanden ihretwegen leiden lassen.

»Bestes Land in der ganzen verdammten Welt!« hatte er einmal gebellt. »Weißt du, warum? Weißt du warum, Knallfrosch?« Spikely wußte es nicht, also nahm Jim ein Stück Kreide und zeichnete einen Globus. »Im Westen ist Amerika«, sagte er, »voll gieriger Narren, die ihr Erbteil versauten. Im Osten China-Rußland«, er zog keine Grenze: »Arbeitskluft, Gefangenenlager und ein verdammt langer Marsch nirgendwohin. In der Mitte ...« Schließlich verfielen sie auf Rhino.

Es war zum Teil eine Art Reim auf Prideaux, zum Teil eine Anspielung auf seine Geschicklichkeit als Selbstversorger und auf den Bewegungshunger, den sie ständig an ihm beobachteten. Wenn sie morgens vor Kälte zitternd an der Dusche Schlange standen, sahen sie schon Rhino die Coombe Lane heranstiefeln, wie er mit einem Rucksack auf dem Buckel von seinem Morgenmarsch zurückkam. Beim Zubettgehen konnten sie seinen einsamen Schatten durch das Kunstglasdach der Ballspielhalle erspähen, wo Rhino unermüdlich die Betonmauer attackierte. Und an warmen Abenden beobachteten sie ihn manchmal durch die Fenster des Schlafsaals beim Golf spielen, wobei er den Ball mit einem gräßlichen alten Schläger im Zickzack über den Platz trieb, oft, nachdem er ihnen aus einem besonders englischen Abenteuerbuch vorgelesen hatte: Biggles, Percy Westerman oder Jeffrey Farnol, die er auf gut Glück aus der schäbigen Bibliothek geholt hatte. Sooft ein neuer Schlag fällig war, warteten sie auf das anfeuernde Grunzen beim Ausholen, und sie wurden selten enttäuscht. Sie führten genau Buch über seinen Leistungsstand. Beim Kricket-Match hatte er fünfundzwanzig geschafft, ehe er einen Ball absichtlich zu Spikely ins Aus schlug. »Fang ihn, du Knallfrosch, fang ihn, hüpf! Gut gemacht, Spikely, braver Junge, dafür bist du schließlich da.«