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» Gehst du mit ihm ins Bett ?«

»Manchmal.«

»Vielleicht solltest du mit ihm zusammenwohnen statt mit mir.«

»So ist es nicht«, sagte Camilla. »Das verstehst du nicht.« Nein, das verstand er nicht. Zuerst dieses Pärchen, das auf dem Rücksitz eines Rover seine Spiele trieb, dann ein einsamer Bubi mit Schlapphut, der seinen Sealyham spazierenführte, dann ein Mädchen, das ein stundenlanges Gespräch von der Telefonzelle vor seiner Haustür aus führte. Nichts von alledem mußte etwas bedeuten, nur daß sie alle hintereinander aufgezogen waren wie bei der Wachablösung. Jetzt hatte ein Lieferwagen geparkt, und niemand stieg aus. Noch ein Liebespaar oder eine Aufklärer-Nachtschicht? Der Lieferwagen hatte zehn Minuten dagestanden, als der Rover wegfuhr.

Camilla schlief. Er lag neben ihr wach und wartete auf morgen. Morgen wollte er auf Smileys Anweisung die Akte über den Fall Prideaux stehlen, auch bekannt als der Ellis-Skandal - oder für Eingeweihtere - Operation Testify.

Im Thursgood übernimmt Bill Roach das Steuer von Jim Prideaux' Wagen

Bis zu diesem Augenblick war dies der zweitglücklichste Tag in Bill Roachs kurzem Leben gewesen. Der glücklichste war kurz vor der Auflösung seines Elternhauses, als sein Vater unterm Dach ein Wespennest entdeckt und Bill als Hilfskraft beim Ausräuchern herangezogen hatte. Der Vater war kein Naturmensch, auch nicht sehr geschickt, aber nachdem Bill in seinem Lexikon alles über Wespen nachgelesen hatte, waren sie gemeinsam zur Drogerie gefahren und hatten Schwefel gekauft, den sie auf einer großen Platte unter der Dachrinne verbrannten und damit den Wespen den Garaus machten.

Der heutige Tag jedoch hatte die feierliche Eröffnung von Jim Prideaux' Automobil-Club-Rallye gesehen. Bisher hatten sie nur den Alvis auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, aber heute hatten sie zum Lohn und mit Latzys Hilfe eine Slalompiste mit Strohballen auf der steinigen Seite der Strecke angelegt, dann hatte reihum jeder sich ans Steuer gesetzt und war mit Jim als Stopper unter dem brausenden Jubel der Supporters durch die Tore gekeucht und gewedelt. »Bester Wagen, den England je gebaut hat«, hatte Jim sein Auto vorgestellt. »Wird heute nicht mehr hergestellt, von wegen Sozialismus.« Jetzt war der Alvis frisch lackiert, trug auf der Kühlerhaube einen Rallye-Union-Jack und war unbestritten der schönste und schnellste Wagen der Welt. Im ersten Durchgang hatte Roach den dritten Platz unter vierzehn Teilnehmern belegt, und jetzt, im zweiten, war er, ohne ein einziges Mal abzubremsen, beim Kastanienbaum angelangt und startbereit für die Endrunde. Eine Rekordzeit! Er hätte nie gedacht, daß ihm etwas so viel Spaß machen könnte. Er fand das Auto herrlich, und zum erstenmal in seinem Leben hätte er es herrlich gefunden, zu siegen. Er hörte, wie Jim brüllte: »Sachte, Jumbo«, und er sah Latzy auf und ab hüpfen und die improvisierte Zielfahne schwingen, aber als er um den Pfosten radierte, wußte er bereits, daß Jim nicht mehr auf ihn achtete, sondern über die Rennstrecke hinweg zu den Birken hinüberstarrte. »Sir, wie lange, Sir?« fragte er atemlos und hörte nur ein leises Psst!«

»Stopper!« rief Spikely und riskierte eine Lippe. »Die Zeit, bitte, Rhino.«

»War prima, Jumbo«, sagte Latzy und blickte ebenfalls auf Jim. Ausnahmsweise fanden weder Spikelys Frechheit noch Bills Flehen Beachtung. Jim starrte über das Spielfeld zum Fahrweg hinüber, der die östliche Grenze bildete. Neben ihm stand ein Junge namens Coleshaw, ein Repetierer aus III B, bekannt dafür, daß er den Lehrern um den Bart ging. Das Gelände war hier sehr flach, ehe es zu den Hügeln anstieg; nach ein paar Regentagen stand oft alles unter Wasser. Deshalb lief auch keine ordentliche Hecke am Fahrweg entlang, sondern nur ein Drahtzaun mit Holzpfosten; und es gab auch keine Bäume, nur den Drahtzaun, die Ebene und da und dort dahinter die Quantocks, die heute im alles beherrschenden Weiß verschwunden waren. Die Ebene hätte daher auch Sumpfland sein können, das zu einem See führte oder einfach in die weiße Unendlichkeit. Vor diesem farblosen Hintergrund wanderte eine einzelne Gestalt dahin, ein normaler, unauffälliger Fußgänger, ein Mann mit schmalem Gesicht, weichem Filzhut und grauem Regenmantel; er trug einen Spazierstock, den er kaum benutzte. Roach, der ihn gleichfalls beobachtete, kam zu dem Schluß, daß der Mann gern schneller gegangen wäre, aber aus einem bestimmten Grund den Schritt zügelte. »Hast du die Brille auf, Jumbo?« fragte Jim und starrte unverwandt auf diese Gestalt, die sich nun dem nächstgelegenen Pfosten näherte. »Ja, Sir.«

»Wer ist denn der? Sieht aus wie Salomon Grundy.«

»Weiß nicht, Sir.«

»Noch nie in der Gegend gesehen?«

»Nein, Sir.«

»Kein Lehrer, keiner aus dem Dorf. Also was ist er? Räuber? Dieb? Warum schaut er nicht zu uns herüber, Jumbo? Was paßt ihm nicht an uns? Würdest du nicht hinschauen, wenn du einen Haufen Jungens sehen würdest, die im Auto um ein Feld rasen? Mag er keine Autos? Mag er keine Jungens?« Roach überlegte noch immer eine Antwort auf alle diese Fragen, als Jim anfing, zu Latzy in der DP-Sprache zu reden. Sein tonloses Flüstern verriet Roach sofort, daß zwischen den beiden ein Einvernehmen bestand, ein besonderes fremdartiges Band. Der Eindruck wurde durch Latzys Antwort verstärkt, die mit der gleichen unerschütterlichen Zurückhaltung erteilt wurde und deutlich negativ war,

»Sir, bitte, Sir, ich glaube, er hat was mit der Kirche zu tun, Sir«, sagte Coleshaw. »Ich hab' ihn mit Wells Fargo sprechen sehen, Sir, nach der Andacht.«

Der Name des Vikars lautete Spargo, und er war sehr alt. Die Thursgood-Legende wollte, daß er in Wahrheit der große Wells Fargo sei, der sich hierher zurückgezogen hatte. Jim dachte eine Weile über diese Erklärung nach, und Roach war wütend und fand, Coleshaw wolle sich nur interessant machen.

»Gehört, worüber sie geredet haben, Coleshaw?«

»Sir, nein, Sir. Sie haben die Sitzordnung der Kirche studiert, Sir.

Aber ich könnte Wells Fargo fragen, Sir.«

»Unsere Sitzordnung? Die Sitzordnung von Thursgood?«

»Ja, Sir. Die Sitzordnung der Schule. Von Thursgood. Mit den ganzen Namen, Sir, und wo wir sitzen.«

Und auch wo die Lehrer sitzen, dachte Roach erbittert. »Wer ihn nochmals sieht, sagt mirs. Ihn oder sonstige trübe Figuren, verstanden?« Jim wandte sich an alle und lieferte dabei eine einfache Erklärung. »Hab' nichts übrig für komische Vögel, die sich um Schulen rumtreiben. An meiner letzten war's eine richtige Bande. Haben alles mitgehen lassen. Silber, Geld, Ambanduhren der Jungens, Radios, Gott weiß, was sie nicht geklaut haben. Er wird nächstens den Alvis klauen. Bester Wagen, den England je gebaut hat, und wird nicht mehr hergestellt. Haarfarbe, Jumbo?«

»Schwarz, Sir.«

»Größe, Coleshaw?«

»Sir, einsachtzig, Sir.«

»Für Coleshaw sieht jeder wie einsachtzig aus, Sir«, sagte ein Spaßvogel, denn Coleshaw war ein Zwerg und angeblich mit der Ginflasche aufgezogen.

»Alter, Spikely, du Knallfrosch?«

»Einundneunzig, Sir.«

Die Situation löste sich in Gelächter auf, Roach durfte den Durchgang wiederholen und schnitt schlecht ab, und in dieser Nacht lag er in qualvoller Eifersucht wach und fürchtete, der ganze Automobilclub, ganz zu schweigen von Latzy, könnte in Bausch und Bogen in den ehrenvollen Rang von Beobachtern erhoben worden sein. Es tröstete ihn kaum, daß er sich sagte, ihre Wachsamkeit könne sich nie und nimmer mit der seinen vergleichen; daß Jims Anweisung nur für diesen einen Tag Geltung habe; oder daß Roach von nun an seine Anstrengungen verdoppeln müsse, um dieser eindeutig näherrückenden Bedrohung zu begegnen. Der Fremde mit dem schmalen Gesicht war wieder verschwunden, aber anderntags stattete Jim dem Kirchhof einen seltenen Besuch ab; Roach sah ihn mit Wells Fargo sprechen, vor einem offenen Grab.