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»Laß das Spionieren und geh zu Bett«, hatte Smiley gesagt. Und als Norman ihn nur anglotzte; »Ach, so geh doch, ja?« - und beinahe, aber er hielt sich zurück- »Du schmieriger Knirps.«

»Operation Witchcraft« lautete der Titel des ersten Bands, den Lacon ihm an diesem Sonntag brachte. »Vorschriften zur Verteilung besonderer Produkte.« Der übrige Einband war mit Warnzetteln und Benutzungsanweisungen vollgeklebt, darunter eine, die mit entzückender Naivität dem zufälligen Finder nahelegte: »Diese Akte ungelesen zurück an den Chefarchivar im Kabinettsbüro.«

»Operation Witchcraft« stand auf dem zweiten Band. »Antrag auf zusätzliche Mittel an Schatzamt, Wohnmöglichkeit in London, besondere Zahlungsvereinbarungen, Prämie etc.«

»Quelle Merlin«, stand auf dem dritten, der mittels einer rosa Kordel mit dem ersten zusammengebunden war. »Auswertung durch Konsumenten, Kosteneffektivität, weitere Auswertung, siehe auch geheimer Anhang.« Aber der geheime Anhang war nicht angehängt, und als Smiley nach ihm fragte, schlug ihm ein Eishauch entgegen. »Der Minister verwahrt ihn in seinem Privatsafe«, knurrte Lacon. »Kennen sie die Kombination?«

»Wo denken Sie hin!« erwiderte Lacon wütend. »Wie lautet der Titel des Anhangs?«

»Das kann für Sie von keinerlei Interesse sein. Ich begreife nicht, warum Sie Ihre Zeit überhaupt damit vergeuden sollen, hinter diesem Material herzujagen. Es ist streng geheim, und wir haben alles Menschenmögliche getan, um den Leserkreis auf ein Minimum zu beschränken.«

»Auch ein geheimer Anhang muß einen Titel haben«, sagte Smiley milde.

»Dieser hat keinen.«

»Gibt er Merlins Identität an?«

»Machen Sie sich nicht lächerlich. Der Minister würde sie nicht kennen wollen, und Alleline würde ihn nicht aufklären.«

»Was bedeutet weitere Auswertung?«

»Sie haben kein Recht, mich auszufragen, George. Sie gehören nicht mehr zur Familie, wie Sie wissen. Von Rechts wegen hätte ich Sie erst einmal genau durchleuchten lassen müssen.«

» Witchcraft-durchleuchten?«

»Ja.«

»Gibt es eine Liste der Personen, die solche Durchleuchtungen hinter sich haben?«

Sie liegt im Kabinettsbüro, gab Lacon zurück und hätte um ein Haar die Tür hinter sich zugeknallt, doch kam er zurück, während sanft das Lied »Sag mir, wo die Blumen sind« erklang. »Der Minister . . .« begann er von neuem. »Er hat nichts übrig für umschweifige Erklärungen. Er sagt immer: Ich glaube nur, was auf einer Postkarte Platz hat. Er wartet ungeduldig auf handgreifliche Resultate.«

»Sie vergessen Prideaux nicht, ja? Einfach alles, was Sie über ihn finden können; jeder kleinste Wisch ist besser als gar nichts.« Smiley ließ Lacon eine Weile hierüber nachglotzen, dann zu einem zweiten Abgang ansetzen: »Verrennen Sie sich auch nicht in eine fixe Idee, George? Es ist Ihnen doch klar, daß Prideaux höchstwahrscheinlich kein einziges Wort von Witchcraft gehört hat, ehe er angeschossen wurde? Ich begreife wirklich nicht, warum sie nicht bei der Hauptsache bleiben können, anstatt dieses Herumwühlens in . . .« Aber inzwischen hatte er sich bereits aus dem Zimmer hinausgeredet.

Smiley wandte sich dem letzten Stoß zu: »Operation Witchcraft, Schriftwechsel mit Department.« Department war eine von Whitehalls zahlreichen beschönigenden Umschreibungen für den Circus. Dieser Band bestand aus offiziellen Aktennotizen, gewechselt zwischen dem Minister einerseits und - sofort zu erkennen an seiner berühmten Schulschrift - Percy Alleline andererseits, der damals noch auf den unteren Sprossen von Controls hierarchischer Leiter schmachtete.

Ein recht glanzloses Denkmal, fand Smiley bei der Durchsicht dieser vielbenutzten Akten, für einen so langen und grausamen Krieg.

George Smiley füttert sein Gedächtnis mit Akten aus Oliver Lacons Geheimarchiv

Als Smiley nun in die Lektüre von Lacons Akten einstieg, erlebte er diesen langen und grausamen Krieg in seinen wichtigsten Schlachten noch einmal. Die Gegenspieler waren Alleline und Control, der Ursprung des Krieges im dunkeln. Die Akten enthielten einen denkbar dürftigen Bericht; Smileys Gedächtnis enthielt weit mehr. Bill Haydon, der die Ereignisse ebenso sorgfältig wie besorgt verfolgt hatte, behauptete, die beiden Männer hätten einander in Cambridge hassen gelernt, wo Control sich kurze Zeit als Lehrer und Alleline als Student aufgehalten hatten. Laut Bill sei Alleline Controls Schüler gewesen, ein schlechter Schüler, und Control habe sich über ihn mokiert, was sehr wohl möglich war. Die Geschichte war so grotesk, daß Control nicht umhin konnte, sie noch hochzuspielen:

»Percy und ich sind Blutsbrüder, höre ich. Haben uns gemeinsam in diesen Stechkähnen, den Punts, getummelt, man stelle sich vor!« Er sagte nie, ob es wahr war.

Derartige Halbmythen konnte Smiley mit ein paar Tatsachen aus dem früheren Leben der beiden Männer zurechtrücken. Während Controls Herkunft unbekannt war, stammte Percy Alleline aus dem Süden Schottlands und war in einem Pfarrhaus geboren; sein Vater war ein presbyterianischer Eiferer, und wenn Percy auch nicht seinen Glauben hatte, so hatte er doch zweifellos seine sektiererische Unduldsamkeit geerbt. Er verpaßte den Krieg um ein paar Jahre und kam von einer Firma in der City zum Circus. In Cambridge hatte er sich ein bißchen als Politiker (gleich rechts von Dschingis Khan, sagte Haydon, der weiß Gott selber kein Scheiß-Liberaler gewesen war) und ein bißchen als Sportler hervorgetan. Er war von einem unbedeutenden Menschen namens Maston angeworben worden, der eine Zeitlang versucht hatte, sich ein Plätzchen bei der Gegenspionage einzurichten. Maston sah für Alleline eine große Zukunft voraus, fiel jedoch selber in Ungnade, nachdem er seinen Schützling frenetisch feilgeboten hatte. Die Personalabteilung des Circus expedierte Alleline, um ihn loszuwerden, nach Südamerika, wo er unter konsularischer Tarnung zwei volle Dienstperioden ableistete, ohne nach England zurückzukehren.

Sogar Control gab später zu, wie Smiley sich erinnerte, daß Alleline dort vorzüglich gearbeitet habe. Den Argentiniern gefiel die Art, wie er ritt und Tennis spielte, und sie hielten ihn für einen Gentleman - so Control - und nahmen daher an, er müsse dumm sein, was Percy niemals völlig war. Als er die Stelle an seinen Nachfolger übergab, hatte er an beiden Küstenstrichen seine Agentenkette gezogen und war auch schon auf dem Vorstoß nach Norden. Nach einem Heimaturlaub und einer mehrwöchigen Instruktion wurde er nach Indien versetzt, wo seine Agenten ihn als den wiedererstandenen britischen Sahib zu betrachten schienen. Er predigte ihnen Loyalität, zahlte ihnen so gut wie gar nichts und verbriet sie, wenn es ihm in den Kram paßte. Von Indien aus ging er nach Kairo. Dieser Posten hätte für Alleline schwierig, wenn nicht unhaltbar sein müssen; denn der Nahe Osten war bis dato Haydons Stammrevier gewesen. Die Netze in Kairo blickten zu Bill auf wie zu einem modernen Lawrence von Arabien — buchstäblich das gleiche Bild, das Martindale in jener schicksalhaften Nacht in seinem obskuren Club von ihm gezeichnet hatte. Sie waren bereit, seinem Nachfolger das Leben zur Hölle zu machen. Trotzdem boxte Percy sich verbissen durch, und wenn er den Amerikanern aus dem Weg gegangen wäre, hätte Haydon in ihm noch seinen Meister gefunden. So aber kam es zu einem Skandal und einem offenen Zusammenstoß zwischen Percy und Control.