»Wie besprochen«, schrieb Alleline nur ein paar Monate nach dieser Unterredung in einem leicht hysterischen persönlichen Brief an Anns einflußreichen Vetter, den Minister, der in Lacons Akte enthalten war.
»Die Witchcraft-Berichte kommen sämtlich aus einer Quelle, die unbedingt äußerste Behutsamkeit erfordert. Meiner Meinung nach wird keine der in Whitehall üblichen Verteilermethoden diesem Fall gerecht. Depeschenkoffer, wie wir sie für gadfly benutzten, erwiesen sich als ungeeignet, als Whitehall-Konsumenten die Schlüssel verloren und, in einem besonders bedauerlichen Fall, ein überarbeiteter Unterstaatssekretär seinem Mitarbeiter seinen Schlüssel überließ. Ich sprach bereits mit Lilley vom Geheimdienst der Kriegsmarine, der bereit ist, uns im Hauptgebäude der Admiralität einen eigenen Leseraum zu überlassen, wo das Material den Konsumenten zur Verfügung gestellt und von einem dienstälteren Aufsichtsbeamten dieser Dienststelle bewacht werden könnte. Der Leseraum wird aus Sicherheitsgründen als Konferenzraum der Adriatic Working Party oder kurz AWP bezeichnet. Zugelassene Konsumenten erhalten keine Lesekarten, da hier zu leicht Mißbrauch getrieben werden könnte. Sie weisen sich vielmehr persönlich meinem Aufsichtsbeamten gegenüber aus« - Smiley nahm das Pronomen zur Kenntnis -, »der eine Eintragungsliste mit Fotos der Konsumenten zur Hand hat.«
Lacon, der noch nicht überzeugt war, an das Schatzamt auf dem Weg über seinen verhaßten Gebieter, den Minister, dem unumgänglichen Dienstweg:
»Vorausgesetzt, daß dies notwendig ist, müßte der Leseraum weitgehend umgebaut werden.
1. Werden Sie die Finanzierung übernehmen?
2. Wenn ja, so sollten die Kosten offiziell von der Admiralität getragen werden. Das Department wird vertraulich Rückzahlung leisten.
3. Es erhebt sich ferner die Frage zusätzlichen Aufsichtspersonals, ein weiterer Kostenpunkt...«
Und ferner erhebt sich die Frage größeren Ruhms für Percy Alleline, kommentierte Smiley, während er langsam die Seiten umwandte. Schon blitzte es auf Schritt und Tritt wie ein Leuchtsignaclass="underline" Percy ist auf dem Marsch zum obersten Tisch, und Control könnte ebensogut schon tot sein.
Aus dem Treppenhaus erscholl recht wohltönender Gesang. Ein wallisischer Gast wünschte, stockbetrunken, der Welt eine gute Nacht.
Witchcraft war, wie Smiley sich erinnerte - wiederum war sein Gedächtnis am Zug, die Akten wußten nichts von solchem menschlichen Kleinkram -, keineswegs Percy Allelines erster Versuch, auf seinem neuen Posten eine eigene Operation aufzuziehen; doch da seine Dienstanweisung ihn an Controls Zustimmung band, war er bisher nicht zum Zug gekommen. Eine Zeitlang hatte er sich auf Tunnelbau konzentriert. Die Amerikaner hatten in Berlin und Belgrad Audio-Tunnels gebaut, und die Franzosen hatten sich ähnlicher Einrichtungen gegen die Amerikaner bedient. Schön, nun würde unter Percys Banner auch der Circus in diesen Markt einsteigen. Control sah dem Ganzen milde zu, ein innerdienstlicher Ausschuß wurde gebildet (bekannt als Alleline-Ausschuß), ein Spezialteam der Klempner inspizierte die Fundamente der Sowjetbotschaft in Athen, wo Alleline auf uneingeschränkte Unterstützung durch das letzte Militärregime hoffte, das er genau wie seine Vorgänger ungemein bewunderte. Dann stieß Control ganz sanft Percys Bauklötzchen um und wartete, bis er mit einem neuen Projekt ankam. Und das hatte Percy nach verschiedenen Zwischenversuchen an jenem grauen Morgen getan, an dem Control Smiley mit solcher Entschiedenheit zur Tafelrunde gebeten hatte.
Control saß an seinem Schreibtisch, Alleline stand am Fenster, zwischen ihnen lag ein einfacher Aktenhefter, knallgelb und geschlossen.
»Setzen Sie sich hierhin und schauen Sie sich diesen Blödsinn an.«
Smiley setzte sich in den Lehnstuhl, und Alleline blieb am Fenster stehen, stützte die Ellbogen aufs Fensterbrett und starrte über die Dächer hinweg auf die Nelsonsäule und die etwas kümmerlichen Türmchen von Whitehall.
In dem Hefter befand sich die Fotografie eines Dokuments, das sich als hochwichtige sowjetische Marinedepesche entpuppte, fünfzehn Seiten lang.
»Wer hat die Übersetzung angefertigt?« fragte Smiley und dachte, der Qualität nach könne sie Roy Blands Werk sein. »Der liebe Gott«, antwortete Control. »Der liebe Gott persönlich, nicht wahr, Percy? Stellen sie ihm keine Fragen, George, er sagt kein Wort.«
Um diese Zeit hatte Control ungemein jugendlich ausgesehen, entsann sich Smiley, auch, daß Control schlanker geworden war, daß seine Wangen rosig waren und daß jeder, der ihn nur flüchtig kannte, sich bemüßigt gefühlt hatte, ihn zu seinem guten Aussehen zu beglückwünschen. Smiley war vielleicht der einzige, dem die winzigen Schweißperlen auffielen, die sogar damals fast ständig Controls Haaransatz säumten.
Das Dokument war, genau gesagt, eine angeblich für das sowjetische Oberkommando erstellte Bewertung einer vor kurzem im Mittelmeer und im Schwarzen Meer abgehaltenen Flottenübung. In Lacons Akte fand es sich schlicht als Report Nr. 1, unter der Bezeichnung Marine. Seit Monaten schon löcherte die Admiralität den Circus wegen irgendeiner Information über diese Übung. Sie war daher von beachtlichem Aktualitätswert, was sie in Smileys Augen sofort verdächtig machte. Sie ging ins Detail, handelte jedoch von Dingen, die Smiley nicht einmal entfernt verständlich waren: Küsten-See-Schlagkapazität, Radioaktivierung feindlicher Warnsysteme, die höhere Mathematik des Gleichgewichts des Schreckens. Wenn das Dokument echt war, hatte es Goldwert, aber es gab keinen Grund zu der Annahme, daß es echt war. Woche für Woche behandelte der Circus Dutzende nicht angeforderter sogenannter Sowjet-Dokumente. Die meisten waren nichts als Plunder. Einige waren von Verbündeten, die ihre eigenen Absichten verfolgten, eingespielt worden, andere russische Abfallprodukte. Nur sehr selten erwies das eine oder andere sich als einwandfrei, aber meist erst, nachdem es verworfen worden war.
»Wessen Initialen sind das?« fragte Smiley und meinte ein paar russische Buchstaben, die mit Bleistift an den Rand geschrieben waren. »Weiß das jemand?«
Control wies mit einer Kopfbewegung auf Alleline.
»Fragen Sie die zuständige Stelle. Nicht mich.«
»Zharow«, sagte Alleline. »Admiral, siebente Eskadra.«
»Es ist nicht datiert«, bemängelte Smiley.
»Es ist ein Entwurf«, erwiderte Alleline überlegen, und sein Akzent war deutlicher denn je. »Zharow hat es am Donnerstag abgezeichnet. Die endgültige Fassung mit den Zusätzen ging am Montag hinaus und ist entsprechend datiert.« Heute war Dienstag.
»Woher kommt es?« fragte Smiley, der noch immer ratlos war. »Percy sieht sich außerstande, das zu sagen«, sagte Control. »Was sagen unsere Auswerter?«
»Die haben es noch nicht gesehen«, sagte Alleline. »Und sie werden es auch nicht zu sehen bekommen.«
Control sagte eisig: »Mein Bruder in Christo, Lilley vom Geheimdienst der Kriegsmarine, hat immerhin eine vorläufige Beurteilung abgegeben, nicht wahr, Percy? Percy hat es ihm gestern abend gezeigt — bei einem Gläschen Gin, nicht wahr, Percy, im Travellers?«
»In der Admiralität.«
»Bruder Lilley, ebenfalls Schotte, geizt im allgemeinen mit seinem Lob. Als er mich jedoch vor einer halben Stunde anrief, war er außer Rand und Band. Er hat mir sogar gratuliert. Er erachtet das Dokument für echt und bittet uns - oder vielmehr Percy - um die Genehmigung, die übrigen Lords der Admiralität vom Inhalt in Kenntnis setzen zu dürfen.«
»Ganz unmöglich«, sagte Alleline. »Es ist ausschließlich für seine Augen bestimmt, jedenfalls für die nächsten paar Wochen.«
»Die Ware ist so heiß«, erklärte Control, »daß sie erst abkühlen muß, ehe sie verteilt werden kann.«
»Aber woher kommt sie?« bohrte Smiley weiter.
»Keine Sorge, Percy hat schon einen Decknamen. Waren um Decknamen nie verlegen, wie, Percy?«