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»Wo setzt sie an? Wer ist damit befaßt?«

»Sie werden Ihre helle Freude haben«, versprach Control leise. Er war außerordentlich wütend. Während ihrer langen Zusammenarbeit hatte Smiley ihn noch nie so wütend gesehen. Die mageren, fleckigen Hände zitterten, und die normalerweise leblosen Augen sprühten Feuer. »Quelle Merlin«, sagte Alleline und ließ der Eröffnung ein leichtes, aber sehr schottisches Schmatzen vorangehen, »ist eine hochrahmige Quelle mit Zugang zu den höchsten Ebenen sowjetischer Politik.« Und er fügte im pluralis majestatis hinzu: »Wir haben sein Produkt Witchcraft getauft.« Er hatte genau die gleichen Worte gebraucht, bemerkte Smiley, wie in seinem streng geheimen und persönlichen Brief an einen Gönner im Schatzamt, worin er für sich größere Ermessensfreiheit bei ad hoc Zahlungen an Agenten erbat.

»Nächstens wird er sagen, er hat ihn bei der Fußball-Lotterie gewonnen«, prophezeite Control, der trotz seiner zweiten Jugend in der Umgangssprache nicht mehr ganz auf dem laufenden war. »Jetzt fragen Sie ihn, warum Sie ihn nicht fragen dürfen.« Alleline blieb unerschüttert. Auch er war rot im Gesicht, aber aus Triumph, nicht aus Ärger. Er dehnte die breite Brust zu einer langen Rede, ausschließlich an Smiley und mit ausdrucksloser Stimme, wie ein schottischer Polizist vor Gericht aussagt:

»Die Identität Merlins ist ein Geheimnis, zu dessen Enthüllung ich nicht befugt bin. Er ist die Frucht langer Bemühungen gewisser Leute in dieser Dienststelle. Leute, die mir verbunden sind, wie ich ihnen verbunden bin. Leute, die so wenig wie ich erbaut sind über die Mißerfolgskurve dieses Hauses. Es ist zuviel schiefgegangen. Zuviel Verluste, Verschwendung, Skandale. Ich habe es immer wieder gesagt, aber es war immer nur in den Wind gesprochen, er hat mir nicht einmal zugehört.«

»Mit >er< meint er mich«, erläuterte Control aus dem Zuschauerraum. »>Er < bin in dieser Ansprache immer ich, kapiert, George?«

»Die etablierten Grundsätze von Effizienz und Sicherheit werden in diesem Betrieb mit Füßen getreten. Man fragt sich: wo sind sie überhaupt noch? Abschottung auf allen Ebenen: wo ist sie, George? Es gibt zu viele regionale Intrigen, die von oben gefördert werden.«

»Wieder eine Anspielung auf mich«, warf Control ein. »Teile und herrsche, lautet heutzutage die Devise. Die Leute, die gemeinsam den Kommunismus bekämpfen helfen sollten, liegen sich gegenseitig in den Haaren. Auf diese Weise verlieren wir unsere wichtigsten Partner.«

»Er meint die Amerikaner«, kommentierte Control. »Wir verlieren unseren Elan. Unsere Selbstachtung. Jetzt reicht's uns.« Er nahm den Bericht wieder an sich und klemmte ihn unter den Arm. »Wir haben, genau gesagt, die Schnauze voll.«

»Und wie jeder, dem's reicht«, sagte Control, als Alleline geräuschvoll das Büro verließ, »möchte er noch mehr.« Nun führten eine Weile, statt Smileys Erinnerungen, Lacons Akten die Geschichte weiter. Es war typisch für die Atmosphäre der letzten Wochen, daß Smiley, nachdem er anfangs mit einbezogen worden war, nie wieder ein Wort über die weitere Entwicklung erfuhr. Control haßte Fehlschläge, so wie er Kranksein haßte, und am meisten haßte er seine eigenen Fehlschläge. Er wußte, wenn man einen Fehlschlag akzeptierte, mußte man mit ihm leben; wenn eine Dienststelle nicht kämpfte, konnte sie nicht überleben. Er verachtete die Agenten im Seidenhemd, die sich gewaltige Brocken aus dem Etat unter den Nagel rissen, zum Schaden der Netze, die um ihr tägliches Brot arbeiteten und in die er alle Hoffnung setzte. Er liebte den Erfolg, aber er haßte Wunder, wenn sie alle seine übrigen Bemühungen in den Schatten stellten. Er haßte Schwäche, wie er Gefühle und Religion haßte, und er haßte Percy Alleline, der von beidem sein Gutteil abbekommen hatte. Seine Methode, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, bestand darin, daß er buchstäblich seine Tür davor verschloß: sich in die schäbige Abgeschlossenheit seiner oberen Räume zurückzog, keine Besucher empfing und sich alle Telefonanrufe durch die Mütter verabreichen ließ. Die gleichen stillen Damen verabreichten ihm Jasmintee und die zahllosen Dienstakten, die er in Stößen anforderte und zurückreichte. Smiley sah sie ständig vor der Tür angehäuft, während er seinen eigenen Obliegenheiten nachging und versuchte, den übrigen Circus in Schwung zu halten. Viele waren uralt, aus den Tagen, ehe Control die Meute anführte. Einige waren persönlich, die Lebensläufe früherer und gegenwärtiger Mitarbeiter.

Control sagte nie, womit er sich beschäftigte. Wenn Smiley die Mütter fragte, sogar wenn Bill Haydon, der Lieblingssohn, antanzte und sich erkundigte, schüttelten sie nur die Köpfe oder hoben die Brauen in Richtung auf das Allerheiligste: »Endphase«, besagten diese sanften Blicke. »Wir hätscheln einen großen Mann am Ende seiner Laufbahn.« Smiley jedoch, der nun geduldig Akte für Akte durchblätterte und in einem Winkel seines komplexen Gedächtnisses Irinas Tagebuch für Ricki Tarr rezitierte: Smiley wußte - und dieses Wissen war ihm ein durchaus realer Trost -, daß er nicht als erster diese Forschungsreise unternahm; daß Controls Geist ihn fast bis zu den letzten Stationen begleitete; und vielleicht sogar über die ganze Strecke mitgegangen wäre, wenn die Operation Testify ihn nicht in elfter Stunde abgewürgt hätte.

Wiederum Frühstück, und ein sehr gedrückter Walliser, ohne jeden Appetit auf halbgare Würste und zerkochte Tomaten. »Möchten Sie diese da zurückhaben«, fragte Lacon, »oder sind Sie damit durch? Sie können nicht sehr aufschlußreich sein, denn sie enthalten nicht einmal die Berichte.«

»Heute abend, bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Sie wissen vermutlich selber, daß Sie wie ein Wrack aussehen.« Er wußte es nicht, aber als er in die Bywater Street zurückkehrte, zeigte ihm Anns hübscher Spiegel dort seine rotgeränderten Augen und die Furchen der Übermüdung in den fleischigen Backen.

Er schlief ein bißchen, dann ging er wieder seine geheimnisvollen Wege. Als der Abend kam, wartete Lacon bereits auf ihn. Smiley machte sich sogleich wieder an seine Lektüre. Sechs Wochen lang hatte die Marinedepesche laut Akten offenbar keinen Nachfolger. Andere Abteilungen des Verteidigungsministeriums stimmten in den Lobgesang der Admiralität über die erste Depesche ein, das Auswärtige Amt bemerkte, dieses Dokument »werfe ein entscheidend neues Licht auf das sowjetische Aggressionsdenken«, was immer das heißen sollte; Alleline betonte immer wieder seine Forderung nach Sonderbehandlung des Materials, aber er glich einem General ohne Armee. Lacon bezog sich frostig auf den »verzögerten Nachschub«, und schlug seinem Minister vor, er solle »die Situation mit der Admiralität abklären«. Von Control, soviel aus den Akten zu ersehen war, nichts. Vielleicht war er jetzt bettlägerig und betete, es möge vorübergehen. In der Zwischenzeit wies ein Moskau-Observant des Schatzamts säuerlich darauf hin, daß Whitehall in den letzten Jahren eine Menge ähnlicher Fälle erlebt habe: ein vielverheißender erster Bericht, dann Schweigen oder schlimmer noch: ein Skandal.

Er hatte unrecht. In der siebenten Woche verkündete Alleline die Veröffentlichung von drei neuen Witchcraft-Reports, alle am gleichen Tag. Alle waren in Form geheimer sowjetischer ministerialinterner Korrespondenz, obwohl die Themen weit auseinandergingen.

Witchcraft Nr. 2, wie Lacon den Bericht nannte, beschrieb Spannungen innerhalb des Comecon und sprach von der zersetzenden Wirkung von Handelsabkommen mit dem Westen auf die schwächeren Mitglieder. Nach Circus-Normen war Nr. 2 ein klassischer Report aus Roy Blands Domäne, denn er behandelte das gleiche Zielobjekt, das vom Netz »Aggravate« seit Jahren von Ungarn aus vergeblich angepeilt wurde. »Ausgezeichneter tour d'horizon«, schrieb ein Konsument des Auswärtigen Amts, »von guten Nebeninformationen gestützt.«

Witcbcraft Nr. 3 beschäftigte sich mit dem Revisionismus in Ungarn und mit Kadars erneuten Säuberungsaktionen im politischen und akademischen Leben: wenn man müßigem Geschwätz ein für allemal ein Ende machen wollte, schrieb der Autor des Papiers, wobei er ein vor langer Zeit geprägtes Chruschtschow-