Wort übernahm, müsse man bloß noch ein paar Intellektuelle abknallen. Auch dies war Roy Blands Domäne. »Eine heilsame Mahnung«, schrieb der gleiche Kommentator aus dem Auswärtigen Amt, »an alle jene, die sich in der Illusion wiegen, daß die Sowjetunion mit ihren Satelliten sanft umgehe.« Die beiden letzten Berichte waren im wesentlichen Background-Information, aber Witchcraft Nr. 4, sechzig Seiten lang, wurde von den Konsumenten für einzigartig gehalten. Es handelte sich um ein umfangreiches technisches Gutachten des sowjetischen Auslandsnachrichtendiensts über die Vor- und Nachteile des Verhandelns mit einem geschwächten amerikanischen Präsidenten. Die Schlußfolgerung lautete, per saldo: wenn die Sowjetunion dem Präsidenten einen Köder für seine Wählerschaft lieferte, so könnte sie damit nützliche Zugeständnisse bei bevorstehenden Diskussionen über nukleare Mehrfach-Sprengköpfe einhandeln. Hingegen wurde ernstlich in Frage gestellt, ob es wünschenswert sei, die Vereinigten Staaten zu sehr auf die Verliererseite zu drängen, da dies das Pentagon zu einem Vergeltungs- oder Präventivschlag verleiten könnte. Der Bericht stammte mitten aus Bill Haydons Domäne. Doch wie Haydon selber in einer herzbewegenden Notiz an Alleline schrieb - die prompt ohne Haydons Wissen fotokopiert an den Minister geschickt und in die Akten des Kabinettsbüros aufgenommen wurde -, in den fünfundzwanzig Jahren, die er mit der Bearbeitung des sowjetischen Nuklearziels verbracht habe, sei ihm nichts von annähernd solcher Qualität untergekommen. »Und auch nicht unseren amerikanischen Waffenbrüdern«, schloß er, »wenn mich nicht alles täuscht. Ich weiß, es ist dafür noch zu früh, aber ich möchte doch meinen, wer immer dieses Material nach Washington schaffte, könnte allerhand dafür einhandeln. Ja, wenn Merlin seine Qualität hält, wage ich die Vorhersage, daß wir uns dafür alles kaufen können, was die Amerikaner in ihrem Laden haben.«
Percy Alleline bekam seinen Leseraum; und George Smiley braute sich Kaffee auf dem vorsintflutlichen Kocher neben dem Waschtisch. Mittendrin lief die Gasuhr ab, und wütend rief er nach Norman und bestellte für fünf Pfund Shillingmünzen.
Bill Haydon und Roy Bland machen Karriere, jeder auf seine Art
Mit steigendem Interesse setzte Smiley seine Reise durch Lacons magere Berichte über jenes erste Treffen der Gegenspieler bis zum heutigen Tag fort. Seinerzeit hatte sich im Circus der Argwohn in einem Maß ausgebreitet, daß das Thema sogar zwischen Smiley und Control tabu wurde. Alleline brachte die Berichte herauf und wartete im Vorzimmer, während die Mütter sie zu Control hineinbrachten, der sie unverzüglich abzeichnete, um zu demonstrieren, daß er sie gar nicht erst las. Alleline nahm die Akte wieder an sich, steckte den Kopf zu Smileys Tür herein, brummte einen Gruß und stapfte treppab. Haydon und Bland hielten sich fern, und sogar Bill Haydons Stippvisiten bei den traditionellen Wortgefechten in der obersten Etage, zu denen Control in vergangenen Tagen seine dienstälteren Leutnants gern ermutigte, wurden seltener und immer kürzer, bis sie schließlich ganz aufhörten.
»Control wird kindisch«, erklärte Haydon voll Verachtung. »Und wenn ich nicht irre, dann stirbt er auch bald. Fragt sich nur, was ihn zuerst erwischt.«
Die Donnerstags-Besprechungen wurden eingestellt und Smiley wurde von Control pausenlos gepiesackt; entweder sollte er irgendeinen undurchsichtigen Auftrag im Ausland erledigen oder als Controls persönlicher Abgesandter die inländischen Niederlassungen aufsuchen, Sarratt, Brixton, Acton und so weiter. Er hatte immer stärker das Gefühl, Control wolle ihn aus dem Weg haben. Wenn sie miteinander sprachen, fühlte er die ungute Spannung des Verdachts zwischen ihnen, so daß Smiley sich allen Ernstes fragte, ob Bill vielleicht doch recht habe und Control seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen sei.
Aus den Akten des Kabinettsbüros ging klar hervor, daß die Operation Witchcraft während der folgenden drei Monate blühte und gedieh, und zwar ganz ohne Controls Zutun. Die Berichte trafen in einer Frequenz von zwei oder sogar drei pro Monat ein und ihre Qualität war, nach Aussage der Konsumenten, nach wie vor ausgezeichnet, aber Controls Name wurde selten erwähnt, und er wurde nie aufgefordert, seinen Kommentar dazu zu geben. Gelegentlich stießen die Auswerter auf geringfügige Unstimmigkeiten. Weit öfter beklagten sie sich, daß eine Überprüfung unmöglich sei, da Merlin sie auf nicht erfaßte Gebiete führe: können wir nicht die Amerikaner um Nachprüfung bitten? Können wir nicht, sagte der Minister. Noch nicht, sagte Alleline, der in einer vertraulichen Notiz, die niemand zu Gesicht bekam, hinzufügte: »Wenn die Zeit reif ist, werden wir mehr tun, als unser Material für ihres eintauschen. Wir sind nicht an einem einmaligen Austausch interessiert. Unsere Aufgabe ist es, Merlin völlig einwandfrei zu identifizieren. Wenn das geschafft ist, kann Haydon die Ware zu Markt tragen . . .« Es war kein Zweifel mehr möglich: unter der kleinen Elite, der die Gemächer der Adriatic Working Party (AWP) vorbehalten waren, war Merlin bereits der Favorit. Sein Material war exakt, wie andere Quellen oft im nachhinein bestätigten. Ein Witchcraft-Ausschuß mit dem Minister an der Spitze wurde gebildet. Alleline war zweiter Vorsitzender. Merlin war zu einer ganzen Industrie geworden, in der Control nicht einmal einen Arbeitsplatz hatte. Und deshalb hatte er in seiner Verzweiflung Smiley zum Klinkenputzen ausgeschickt: »Es sind drei und Alleline«, sagte er. »Quetschen Sie sie aus, stellen Sie sie auf die Probe, drangsalieren Sie sie, geben Sie ihnen alles, was sie schlucken können.«
Auch von diesen Besprechungen wußten die Akten nichts zu berichten, sie gehörten ausschließlich in die dunkelsten Bereiche von Smileys Erinnerung. Er hatte schon gewußt, daß bei Control nichts mehr zu holen war, was ihren Hunger stillen konnte. Es war März. Smiley kehrte aus Portugal zurück, wo er einen Skandal vertuscht hatte, und fand Control in einer belagerten Festung. Akten lagen auf dem Fußboden verstreut; neue Riegel waren an die Fenster montiert worden. Er hatte den Tee wärmer über sein einziges Telefon gestülpt, und von der Decke hing ein Unterbrecher gegen elektronische Abhörversuche, ein Ding wie ein elektrischer Ventilator, der ständig die Stellung änderte. In den drei Wochen von Smileys Abwesenheit war Control ein alter Mann geworden.
»Sagen Sie ihnen, wir sollen hier mit Falschgeld bestochen werden«, murmelte er und blickte kaum von seiner Lektüre auf. »Sagen Sie ihnen, was Sie wollen. Ich brauche Zeit.«
Es sind drei, wiederholte Smiley nun im stillen, als er am Spieltisch des Majors saß und Lacons Liste der Leute studierte, die zu Witchcraft Zugang hatten. Im Moment war dreiundsechzig Besuchern die Benutzung des Leseraums der Adriatic Working Party gestattet. Jeder hatte, wie in der Kommunistischen Partei, eine Nummer, entsprechend seinem Eintrittsdatum. Nach Controls Tod war die Liste neu erstellt worden; Smiley stand nicht darauf. Aber die Spitze hielten noch immer die gleichen vier Gründerväter: Alleline, Bland, Esterhase und Bill Haydon. Drei und Alleline, hatte Control gesagt. Plötzlich wurde Smileys Denken, das während des Lesens für jede Folgerung, jede Querverbindung empfänglich war, von einer ganz abwegigen Vision überfallen. Er sah sich selber und Ann vor einem Jahr in den Klippen Cornwalls wandern. Es war die Zeit unmittelbar nach Controls Tod; die schlimmste Zeit, an die Smiley sich in ihrer langen und wirren Ehe erinnern konnte. Sie waren hoch über der Küste, irgendwo zwischen Lamorna und Porthcurno, wohin sie zu einer unmöglichen Jahreszeit gefahren waren, unter dem Vorwand, daß Ann in der Seeluft ihren Husten loswerden würde. Sie waren den Klippenweg entlanggegangen, jeder hing seinen Gedanken nach: sie dachte an Haydon, vermutete er, er selber dachte an Control, Jim Prideaux und Testify, und an das furchtbare Durcheinander, das er bei seiner Pensionierung hinterlassen hatte. Zwischen ihnen herrschte kein Einklang. Sogar die Ruhe war dahin, die sie früher bei ihrem Beisammensein genossen hatten; sie waren einander ein Rätsel, und das harmloseste Geplauder konnte seltsame, unkontrollierbare Wege einschlagen. Ann hatte in London ein zügelloses Leben geführt und jeden genommen, der sich dazu bereit fand. Er wußte, daß sie etwas zu begraben versuchte, das sie sehr schmerzte oder beunruhigte; aber er fand den Zugang zu ihr nicht.