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»Was, zum Teufel, ist denn in letzter Zeit los mit ihm? Er will wohl Irland kapern, die Organisation aufspalten. Herrjeh, der Mann ist eine Nervensäge.«

Das Licht im Kombiwagen erlosch, aber Smiley konnte den Blick noch immer nicht von dem buntscheckigen Dach abwenden. Wie leben sie? fragte er sich. Woher kriegen sie Wasser, Geld? Er versuchte, sich in die Logistik eines Klausnerdaseins in Sussex Gardens einzufühlen: Wasser, Dränage, Licht. Ann würde das ohne weiteres lösen, ebenso Bill. Tatsachen. Was waren die Tatsachen?

Tatsache war, daß ich eines linden Sommerabends vor der Witchcraft-Zeit unerwartet aus Berlin zurückkehrte, um Bill Haydon auf dem Teppich im Salon ausgestreckt zu finden, während Ann ihm auf dem Grammophon Liszt vorspielte. Ann saß am anderen Ende des Zimmers, im Neglige ohne Make-up. Es gab keine Szene, jeder benahm sich gequält natürlich. Bill war, laut eigener Aussage, soeben aus Washington gelandet und auf dem Weg vom Flugplatz kurz vorbeigekommen. Ann war schon im Bett gewesen, hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, aufzustehen und ihn willkommen zu heißen. Wir waren uns darüber einig, wie schade es sei, daß wir nicht gemeinsam ein Taxi von Heathrow genommen hatten. Bill ging wieder, ich fragte:

»Was wollte er?« und Ann sagte: »Sich an einer Schulter ausweinen.« Bill hatte Liebeskummer und wollte sein Herz ausschütten, meinte sie.

»In Washington sitzt Felicity und möchte ein Baby, und in London Jan, die eins kriegt.«

»Von Bill?«

»Das weiß der Himmel. Bill weiß es bestimmt nicht.« Am nächsten Vormittag stellte Smiley wider eigene Absicht fest, daß Bill seit zwei Tagen zurück war, nicht erst seit einem. In der Folge benahm Bill sich Smiley gegenüber ungewohnt manierlich, und Smiley vergalt es ihm mit einer Zuvorkommenheit, die normalerweise jüngeren Freundschaften vorbehalten ist. Nach angemessener Zeit wurde Smiley deutlich, daß die Katze aus dem Sack war, und noch heute war er perplex, mit welcher Geschwindigkeit es sich herumgesprochen hatte. Vermutlich hatte Bill vor irgend jemandem damit geprahlt, vielleicht vor Bland. Wenn das Gerücht stimmte, dann hatte Ann drei ihrer eigenen Regeln verletzt. Bill war vom Circus und er war vom Set, wie sie Familie und Freundeskreis bezeichnete. Aus jedem der beiden Gründe war er tabu. Drittens hatte sie ihn in der Bywater Street empfangen, laut Übereinkunft ein grober Verstoß gegen den Revierfrieden.

Wieder einmal zog Smiley sich in sein eigenes einsames Leben zurück und wartete darauf, daß Ann etwas sagen würde. Er übersiedelte ins Gästezimmer und sorgte dafür, daß er eine Menge abendlicher Verabredungen hatte und auf diese Weise von ihrem Kommen und Gehen weniger bemerkte. Ganz allmählich dämmerte ihm, daß sie zutiefst unglücklich war. Sie nahm ab, verlor ihre spielerische Art, und wenn er sie nicht so gut gekannt hätte, hätte er geschworen, sie leide unter einem schweren Anfall von Zerknirschung, ja, von Abscheu vor sich selber. Wenn er freundlich zu ihr war, wehrte sie ihn ab; sie zeigte kein Interesse an Weihnachtseinkäufen und erkrankte an einem quälenden Husten, was, wie er wußte, ihr SOS-Ruf war. Ohne die Operation Testify wäre er schon früher mit ihr nach Cornwall abgereist. So aber mußten sie die Reise bis Januar verschieben, und dann war Control tot, Smiley pensioniert und das Blatt hatte sich gewendet; und um die Schmach vollzumachen, deckte Ann die Haydon-Karte mit jeder Menge anderer, die sie aus dem Haufen herausziehen konnte.

Was war passiert? Hatte sie die Beziehung abgebrochen? Oder Haydon? Warum sprach sie nie darüber? War es denn überhaupt so wichtig, eine Affäre unter so vielen anderen? Er gab auf. Wie die Katze aus Alice im Wunderland schien Bill Haydons Gesicht zu verschwimmen, sobald er sich ihm näherte und nur das Grinsen blieb. Aber er wußte, daß Bill auf die eine oder andere Art Ann zutiefst verwundet hatte, und das war die unverzeihlichste aller Sünden.

Merlin beginnt endlich, menschliche Züge anzunehmen

Mit einem Grunzen des Abscheus kehrte Smiley an den wenig einladenden Schreibtisch zurück und setzte seine Lektüre von Merlins Fortschritten seit seinem erzwungenen Ausscheiden aus dem Circus fort. Die Ära Alleline hatte, wie er sofort sah, unverzüglich mehrere vorteilhafte Veränderungen in Merlins Lebensstil bewirkt. Etwas wie eine Reifung, eine Beruhigung. Die nächtlichen Spritztouren in europäische Hauptstädte hörten auf, der Nachrichtenstrom wurde regelmäßiger, weniger hektisch. Gewiß, es gab noch allerhand Kopfschmerzen. Merlins Geldwünsche gingen weiter - Ersuchen, niemals Drohungen -, und mit dem anhaltenden Wertverfall des Pfundes wurden diese ansehnlichen Zahlungen für das Schatzamt zu einem Alptraum. Es fand sich einmal sogar eine — nie weiter verfolgte - Anregung, Merlin möge »da wir das Land seiner Wahl sind, auch in etwa unserem finanziellen Engpaß Rechnung tragen«. Haydon und Bland waren offensichtlich empört gewesen: »Ich habe nicht die Stirn«, schrieb Alleline mit ungewohnter Offenheit an den Minister, »meinen Mitarbeitern dieses Thema nochmals vorzutragen.« Außerdem hatte es Krach wegen einer neuen Kamera gegeben, die von den Klempnern unter großem Kostenaufwand in röhrenförmige Bestandteile zerlegt und in eine genormte Stehlampe sowjetischer Herstellung eingepaßt worden war. Die Lampe wurde nach großem Wehgeschrei, diesmal aus dem Foreign Office, per Diplomatengepäck nach Moskau gemogelt. Dann stellte sich das Problem der Ablieferung. Die Außenstelle konnte nicht über Merlins Identität informiert werden und wußte auch nicht, was in der Lampe steckte. Die Lampe war sperrig und paßte nicht in den Gepäckraum des Wagens des Außenagenten. Nach mehreren Versuchen wurde eine »unsaubere« Übergabe bewerkstelligt, aber die Kamera funktionierte nie, und es gab böses Blut zwischen dem Circus und seiner Moskauer Außenstelle.

Ein weniger raffiniertes Modell wurde von Esterhase nach Helsinki gebracht und dort - so Allelines Aktennotiz an den Minister - »einem vertrauenswürdigen Mittelsmann übergeben, der unbehelligt die Grenze passieren konnte«. Plötzlich richtete Smiley sich mit einem Ruck auf. »Wie besprochen«, schrieb Alleline in einer Notiz an den Minister, datiert mit dem 27. Februar dieses Jahres. »Sie erklärten sich einverstanden, dem Schatzamt einen zusätzlichen Antrag für ein Londoner Haus vorzulegen, das im Witchcraft-Budget geführt werden soll.« Er las es einmal, dann nochmals langsamer. Das Schatzamt hatte sechzigtausend Pfund für das Anwesen und weitere zehntausend für Einrichtung und Zubehör bewilligt. Es wollte jedoch, zwecks Kostenersparnis, die Überschreibung durch seine eigenen Anwälte erledigen lassen. Alleline weigerte sich, die Adresse mitzuteilen. Aus dem gleichen Grund gab es Unstimmigkeiten darüber, wer die Unterlagen verwahren sollte. Dieses Mal blieb das Schatzamt hart, und seine Anwälte trafen Vorsorge, daß das Haus zurückgegeben würde, falls Alleline sterben oder Bankrott machen sollte. Aber die Adresse behielt er für sich, desgleichen die Rechtfertigung dieses außergewöhnlichen und kostspieligen Beitrags zu einer Operation, die angeblich im Ausland abgewickelt wurde. Smiley suchte eifrig nach einer Erklärung. Die Abrechnungen waren darauf angelegt, wie er bald herausfand, keine zu liefern. Sie enthielten einen einzigen verkappten Hinweis auf das Londoner Haus, und zwar, als die Steuern verdoppelt wurden. Der Minister an Alleline: »Ich nehme an, das Londoner Ende ist noch immer wichtig?« Alleline an den Minister: »Eminent. Ich möchte sagen, mehr denn je. Ich möchte ferner sagen, daß der Kreis derer, die Bescheid wissen, sich seit unserem Gespräch nicht erweitert hat.« Bescheid- worüber?