Hinter dem Kopf des Ministers stand eine Reihe Bücher über Bienen. Sie waren Mendels Leidenschaft, wie Smiley wußte; er bezeichnete alle Bienen, die nicht aus Surrey stammten, als »exotisch«. Der Minister war ein noch junger Mann, sein dunkler Kiefer sah aus, als sei er ihm bei einer unziemlichen Keilerei ausgerenkt worden. Er hatte einen Kahlkopf, der ihm ein ungerechtfertigt reifes Aussehen verlieh, und den gräßlich schleppenden Tonfall eines Eton-Boys. »Also, welche Anregungen liegen vor?« Er beherrschte auch die Kunst autoritärer Dialogführung. »Nun, ich würde vorschlagen, daß Sie als erstes alle Verhandlungen einstellen, die in letzter Zeit mit den Amerikanern gelaufen sind. Ich denke an den geheimen Anhang ohne Titel, der in Ihrem Safe verwahrt ist«, sagte Smiley, »der sich mit der möglichen weiteren Verwertung von Witchcraft-Material befaßt.«
»Nie davon gehört«, sagte der Minister.
»Ich verstehe natürlich völlig die Beweggründe. Es ist immer verlockend, an die Creme dieses enormen amerikanischen Apparates heranzukommen, und mir ist klar, was dafür spricht, ihnen dafür Witchcraft abzutreten.«
»Was spricht also dagegen?« fragte der Minister, als spräche er mit seinem Börsenmakler.
»Wenn der Maulwurf Gerald existiert«, begann Smiley. Von allen ihren Vettern, hatte Ann einmal stolz gesagt, habe nur Miles Sercombe nicht einen einzigen versöhnlichen Charakterzug. Zum erstenmal glaubte Smiley, daß sie recht hatte. Er kam sich nicht nur idiotisch vor, sondern auch unlogisch. »Wenn der Maulwurf existiert, worüber wir uns einig sein dürften . . . « Er wartete, aber niemand verneinte. »Wenn Gerald existiert«, wiederholte er, »so wird nicht nur der Circus vom Amerikageschäft profitieren, sondern auch die Moskauer Zentrale, denn sie werden von Maulwurf Gerald alles bekommen, was Sie den Amerikanern abkaufen.«
Verdrießlich ließ der Minister die flache Hand auf den Tisch klatschen, auf dessen Politur ein feuchter Abdruck zurückblieb. »Herrgott, ich verstehe kein Wort«, erklärte er. »Dieses Witchcraft-Zeug ist verdammt fabelhaft! Vor einem Monat war's die große Sensation. Jetzt verkriechen wir uns in unsere Höhlen und sagen, die Russen brauen es laufend für uns zusammen. Was zum Teufel geht eigentlich vor?«
»Ich glaube offen gestanden nicht, daß es ganz so widersinnig ist, wie es klingt. Schließlich haben wir selber gelegentlich das eine oder andere russische Netz geführt, und obwohl ich pro domo spreche, darf ich sagen, nicht einmal schlecht. Wir haben das beste Material geliefert, das wir uns leisten konnten. Raketen, Kriegsplanung. Sie haben selber mitgemacht« - dies zu Lacon, der flüchtig Zustimmung nickte, »wir haben ihnen Agenten hinübergeschickt, die wir entbehren konnten, räumten ihnen gute Verbindungen ein, sicherten ihren Kurierdienst, hielten die Luft frei für Signale, so daß wie sie abhören konnten. Diesen Preis zahlten wir dafür, daß wir die Gegenseite führen konnten, daß wir - wie drückten Sie sich aus? — erfuhren, wie sie ihre Kommissare instruierten. Ich bin überzeugt, Karla würde das gleiche für uns tun, wenn er unsere Netze leitete. Er würde noch mehr tun, nicht wahr, wenn er auch den amerikanischen Markt anpeilen könnte.« Er brach ab und blickte Lacon an. »Viel, viel mehr. Eine amerikanische Verbindung, ich meine, eine fette, amerikanische Gewinnbeteiligung würde den Maulwurf Gerald direkt auf Platz eins versetzen. Natürlich indirekt auch den Circus. Als Russe würde man den Engländern praktisch alles geben, was sie wollen, wenn man . . ., wenn man sich dafür die Amerikaner kaufen könnte.«
»Danke«, sagte Lacon.
Der Minister ging, nachdem er sich ein paar Sandwiches für die Rückfahrt mitgenommen und versäumt hatte, sich von Mendel zu verabschieden, vermutlich, weil Mendel nicht seinem Wahlkreis angehörte. Lacon blieb.
»Sie baten mich, alles über Prideaux ausfindig zu machen«, erklärte Lacon schließlich. »Ich habe festgestellt, daß wir doch einige Unterlagen besitzen.«
Er habe zufällig einige Akten über die interne Sicherheit im Circus durchgeblättert, erläuterte er, »einfach um auf meinem Schreibtisch Ordnung zu machen«. Dabei sei er auf einige alte positive Untersuchungsberichte gestoßen. Einer davon habe sich auf Prideaux bezogen.
»Er war komplett sicherheitsüberprüft worden. Nicht ein Schatten zu entdecken. Allerdings«, er senkte die Stimme, was Smiley veranlaßte, aufzublicken, »eins könnte Sie vielleicht trotzdem interessieren. Ein winzig kleines Munkeln über seine Zeit in Oxford. Aber in diesem Alter hat jeder das Recht, ein bißchen rosig angehaucht zu sein.«
»Durchaus.«
Das Schweigen stellte sich erneut ein, es wurde nur von Mendels gedämpften Schritten droben unterbrochen. »Prideaux und Haydon waren damals sehr eng miteinander befreundet, wissen Sie«, bekannte Lacon. »Es war mir entgangen.«
Er hatte es plötzlich schrecklich eilig, wegzukommen. Er tauchte in seine Mappe, holte einen großen neutralen Umschlag hervor, drückte ihn Smiley in die Hand und kehrte in die erhabeneren Gefilde Whitehalls zurück; und Mr. Barraclough vom Hotel Islay zu seiner Lektüre der Operation Testify.
Sam Collins, ein alter Hase, plaudert aus der alten Schule
Es war um die Mittagszeit am folgenden Tag. Smiley hatte gelesen und ein bißchen geschlafen, wieder gelesen und ein Bad genommen, und als er jetzt die Stufen des hübschen Londoner Hauses hinaufstieg, war er guter Laune, denn er mochte Sam. Das Haus war in georgianischem Stil aus braunen Ziegeln erbaut und stand ganz in der Nähe des Grosvenor Square. Es hatte fünf Türstufen und eine schalenförmig eingelassene Messingklingel. Die schwarze Tür war von Säulen flankiert. Er drückte auf die Klingel und hätte ebensogut die Tür aufgedrückt haben können, denn sie öffnete sich sofort. Er betrat einen runden Vorplatz mit einer weiteren Tür im Hintergrund, und die beiden breitschultrigen Männer in Schwarz hätten Wachen in der Westminster Abbey sein können. Über einem Marmorkamin bäumten sich Pferde, es hätte ein Stubbs sein können. Der eine Mann war ihm behilflich, als er den Mantel auszog. Der andere führte ihn zu einem Stehpult, wo er sich eintrug.
»Hebden«, murmelte Smiley, während er schrieb; Sam würde sich an diesen Arbeitsnamen erinnern. »Adrian Hebden.«
Der Mann, der seinen Mantel hatte, wiederholte den Namen in ein Haustelefon. »Mr. Hebden, Mr. Adrian Hebden.«
»Wenn Sie bitte einen Augenblick warten wollen, Sir«, sagte der Mann neben dem Stehpult. Man hörte keine Musik, und Smiley fand, sie gehörte eigentlich hierher; ebenso ein Springbrunnen.
»Ich bin nämlich ein Bekannter von Mr. Collins«, sagte Smiley.
»Wenn Mr. Collins zu sprechen ist. Vielleicht erwartet er mich sogar.«
Der Mann am Telefon murmelte »danke« und hängte auf. Er führte Smiley zur Innentür und drückte sie auf. Nicht das geringste Geräusch war zu hören, nicht einmal ein Schaben auf dem Seidenteppich.
»Mr. Collins ist hier, Sir«, flüsterte er respektvoll. »Die Getränke gehen auf Kosten des Hauses.«
Die drei Empfangsräume gingen ineinander über; sie waren durch Säulen und Bogen optisch abgeteilt und mit Mahagony getäfelt.
In jedem Raum stand ein Tisch. Der dritte war zwanzig Meter entfernt. Die Beleuchtung erhellte nichtssagende Stilleben in gewaltigen Goldrahmen und die grünen Flanellbezüge der Tische. Die Gardinen waren zugezogen, die Tische etwa zu einem Drittel besetzt, jeder mit vier bis fünf Spielern, alles Männer, aber man hörte nichts als das Klicken der Kugel im Rad und das Klicken der Chips, wenn sie verteilt wurden, und das sehr leise Flüstern der Croupiers. »Adrian Hebden«, sagte Sam Collins mit einem Zwinkern in der Stimme. »Lange nicht gesehen.«