»Mein lieber Fan, könnten Sie sich entschließen, einige Erkundigungen über den jungen Herrn einzuziehen, dessen Name auf einliegendem Stück Menschenhaut geschrieben steht? (Überflüssige Anmerkung der Inquisitoren: Prideaux.) Vermutlich kennen Sie Jim - wenn Sie ihn überhaupt kennen - als Athletikus von einigen Graden. Was Sie indes nicht wissen, aber wissen sollten, ist folgendes: Er ist kein mieser kleiner Linguist oder sonst ein kompletter Idiot. . .« (hier folgte ein biographischer Überblick von erstaunlicher Genauigkeit:. . . Lycee Lakanal in Paris, für Eton angemeldet, aber nie hingegangen, Jesuitenschule in Prag, zwei Semester Straßburg, Eltern Bankgeschäft auf dem Balkan, Kleinadel, leben getrennt. . .)
»Daher die innige Vertrautheit unseres Jims mit fremden Gebieten und sein elternloses Aussehen, das ich unwiderstehlich finde. Übrigens: wenn er auch aus sämtlichen Bestandteilen Europas zusammengesetzt ist, täuschen Sie sich nicht: die komplette Mischung ist aus unserem Schrot und Korn und uns treu ergeben. Zur Zeit ist er ein bißchen aus dem Tritt, er hat nämlich soeben entdeckt, daß es außerhalb des Spielfelds auch noch eine Welt gibt, und diese Welt bin ich.
Aber zuerst sollen Sie erfahren, wie ich ihn kennenlernte. Wie Sie wissen, entspricht es meinen Gewohnheiten (und Ihrer Anweisung), von Zeit zu Zeit arabische Tracht anzulegen und hinunter zu den Bazaren zu gehen, wo ich mich zu den großen Ungewaschenen setze und den Worten ihrer Propheten lausche, auf daß ich sie besser fertigmachen könne, wenn es soweit ist. Der Juju-Mann en vogue dieses Abends war direkt von Mütterchen Rußlands Busen herbeigeeilt: ein gewisser Professor Chlebnikow, zur Zeit an der Sowjetischen Botschaft in London, ein fideler, recht mitreißender kleiner Bursche, der außer dem üblichen Unsinn auch ein paar ganz witzige Dinge von sich gab. Der genannte Bazar war ein Debattierclub, genannt die Volksfreunde, unsere Konkurrenz, mein lieber Fan, und Ihnen bereits von einigen meiner früheren Streifzüge her bekannt. Nach der Predigt wurde brutal proletarischer Kaffee gereicht, dazu ein grauenhaft demokratisches Brötchen, und ich bemerkte diesen großen Burschen, der allein ganz hinten im Saal saß und offenbar zu schüchtern war, um sich zu den anderen zu gesellen. Sein Gesicht war mir vom Kricketplatz her bekannt, und es stellte sich heraus, daß wir gemeinsam in der College-Mannschaft gespielt hatten, ohne je ein Wort zu wechseln. Ich weiß nicht recht, wie ich ihn beschreiben soll. Er hat Persönlichkeit, Fan. Ich bin jetzt ganz ernst.« Hier wurde die Schrift, bisher verkrampft und stelzig, breiter, als der Schreiber auf Touren kam:
»Er hat die alles beherrschende Gelassenheit. Hartköpfig, im wahren Sinn des Wortes. Einer von den Stillen im Lande, die ihr Team führen, ohne daß man es merkt. Fan, Sie wissen, wie schwer es mir fällt, zu handeln. Sie müssen mich ständig daran erinnern, meinen Verstand daran erinnern, daß ich mich den Gefahren des Lebens stellen muß, wenn ich seine Geheimnisse ergründen will. Jim dagegen handelt aus dem Instinkt... er ist funktionell. . . Er ist meine andere Hälfte, gemeinsam würden wir einen fabelhaften Menschen ergeben, außer daß keiner von uns singen kann. Und Fan, kennen Sie das Gefühl, daß man einfach losziehen und einen neuen Menschen finden muß, oder die eigene Welt geht zum Teufel?«
Die Schrift wurde wieder stetiger.
»>Yavas Lagloo<, sage ich, was russisch sein und etwa heißen soll, >Komm in meine Liebeslaube< oder so ähnlich, und er sagt >Oh, hallo<, was er vermutlich auch zum Erzengel Gabriel gesagt hätte, wenn der zufällig des Weges gekommen wäre. >Wo klemmt's ?< sage ich.
>Nirgends <, sagt er, nachdem er ungefähr eine Stunde lang nachgedacht hatte.
>Was tun Sie dann hier? Wenn's nirgends klemmt, was suchen Sie dann hier?<
Da grinste er mich breit und freundlich an, und wir hopsen rüber zum großen Chlebnikow, schütteln eine Weile seine kleine Hand und vertrollen uns dann in meine Wohnung. Wo wir trinken. Und trinken. Und Fan, er trank alles, was er fassen kriegte. Oder vielleicht ich, ich weiß es nicht mehr. Und wie's Tag wird, wissen Sie, was wir taten? Ich will's Ihnen sagen, Fan. Wir spazierten feierlich hinunter zu den Sportplätzen, ich setz mich mit einer Stoppuhr auf eine Bank, Big Jim steigt in seinen Trainingsanzug und reißt zwanzig Runden herunter. Zwanzig. Ich war völlig erschöpft.
Wir können jederzeit zu Ihnen kommen, er wünscht sich nichts Besseres als meine Gesellschaft oder die meiner gottlosen, göttlichen Freunde. Kurz, er hat mich zu seinem Mephisto ernannt, und ich fühle mich sehr gebauchkitzelt. Nebenbei gesagt, er ist Jungfrau, ungefähr einsachtzig groß, und von derselben Firma hergestellt, die die Hünengräber fabriziert hat. Keine Angst!« Danach gab die Akte wieder nichts mehr her. Smiley richtete sich auf, blätterte hastig die Seiten um und suchte ungeduldig nach etwas Handfestem. Die Tutoren beider Männer versichern (nach zwanzig Jahren), es sei undenkbar, daß die Beziehung zwischen den beiden >mehr als rein freundschaftlicher Natur< gewesen sei . . . Haydons Zeugenaussage wurde nie angefordert. . . Jims Tutor bezeichnet ihn als >intellektuellen Vielfraß nach langem Hungern< und weist jede Andeutung zurück, daß Jim etwa >rot angehaucht war. Die Gegenüberstellung in Sarratt beginnt mit langatmigen Entschuldigungen, vor allem auf Grund von Jims großartigen Leistungen während des Kriegs. Jims Antworten bringen nach den Manieriertheiten von Haydons Brief frischen Wind in die Lektüre. Ein Vertreter der Konkurrenz ist anwesend, ergreift aber kaum das Wort. Nein, Jim hatte Chlebnikow nie wiedergesehen, auch niemanden, der sich als dessen Abgesandter ausgab; nein, mit Ausnahme dieses einen Mals hat er nie mit ihm gesprochen. Nein, er hatte damals keine weiteren Kontakte mit Kommunisten oder Russen gehabt, er konnte sich an keinen Namen eines Mitglieds der Volksfreunde erinnern. Frage: (Alleline) >Was Ihnen wohl keine schlaflosen Nächte bereitet, wie?< Antwort: >Ehrlich gesagt, nein.< (Lachen)
Ja, er war Mitglied bei den Volksfreunden gewesen, genau wie er Mitglied des Theaterclubs am College gewesen war, der philatelistischen Gesellschaft, der Gesellschaft für moderne Sprachen, der Union und der Historischen Gesellschaft, der Ethischen Gesellschaft und der Rudolf Steiner-Arbeitsgruppe . . . Auf diese Weise konnte man interessante Vorträge hören und Leute kennenlernen; besonders dieses. Nein, er hatte nie linke Literatur verteilt, allerdings kurze Zeit Soviet Weekly gelesen . . . Nein, er hatte niemals Beiträge an irgendeine politische Partei entrichtet, weder in Oxford noch später, er hatte sogar nie von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. . . Daß er sich in Oxford so vielen Clubs anschloß, hatte vor allem einen Grund: Nach einer wechselvollen Schulzeit im Ausland hatte er keine gleichaltrigen englischen Kameraden von früher . . .