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Ja, der alte Mac war mit dem Brixton-Bus und einem Zettel gekommen, worin Jim für den kommenden Abend zu einem Treffen aufgefordert wurde. Jim sollte Mac ja oder nein sagen und ihm den Zettel zurückgeben. Auf keinen Fall dürfe er das Telefon benutzen, auch nicht den Hausapparat, um über die Verabredung zu sprechen. Jim hatte zu Mac »Ja« gesagt und war um sieben zur Stelle gewesen.

»Als erstes hat Control Sie vermutlich gewarnt?«

»Gesagt, ich darf keinem Menschen trauen.«

»Hat er irgend jemanden namentlich genannt?«

»Später«, sagte Jim. »Zuerst nicht. Zuerst sagte er nur: Trauen Sie keinem. Besonders keinem von der Kerntruppe aus dem inneren Kreis. George?«

»Ja.«

»Sie sind einfach erschossen worden, ja? Landkron, Kriegiowa, die Pribyls? Kurzerhand erschossen?«

»Die Geheimpolizei hat beide Netze in der gleichen Nacht aufgerollt. Was danach geschah, weiß niemand, aber den Verwandten wurde mitgeteilt, sie seien tot. Was im allgemeinen heißt, daß sie's wirklich sind.«

Zu ihrer Linken kletterte eine Reihe Tannen wie eine bewegungslose Armee aus dem Tal herauf.

»Und dann hat Control Sie vermutlich gefragt, welche gültigen tschechischen Papiere Sie zur Zeit besäßen«, fuhr Smiley fort. »Stimmt das?«

Er mußte die Frage wiederholen.

»Ich sagte, Hajek«, sagte Jim schließlich. »Jan Hajek, tschechischer Journalist, in Paris stationiert. Control fragte mich, wie lange diese Papiere noch brauchbar seien. >Weiß man nicht<, sagte ich. >Manchmal sind sie nach einer einzigen Reise wertlos. <« Seine Stimme wurde plötzlich lauter, als habe er sie nicht mehr unter Kontrolle. »Stocktaub war er, Control, wenn er nicht hören wollte.«

»Und dann sagte er Ihnen, was Sie für ihn tun sollten«, half Smiley weiter.

»Zuerst sprachen wir über die Möglichkeit, alles abzuleugnen. Er sagte, wenn ich erwischt würde, müsse ich Control raushalten. Ein Plan der Skalpjäger, eine Art Privatunternehmung. Schon damals dachte ich: wer zum Teufel soll mir das glauben? Er ließ sich jedes Wort abkaufen«, sagte Jim. »Während der ganzen Instruktion spürte ich seinen Widerstand. Er wollte mich rein gar nichts wissen lassen, aber ich sollte gut informiert sein. >Mir ist ein Angebot zugegangen<, sagt Control. >Hochgestellte Persönlichkeit, Deckname Testify. < Tschechische Persönlichkeit?< frage ich. >Hoher Militär<, sagt er. >Sie sind selber Militär, Jim, Sie beide sollten gut miteinander auskommen. < Und so ging's den ganzen Abend lang. Ich dachte, wenn du mir's nicht sagen willst, dann laß es, aber hör auf mit dem Drumrum.« Nach einigen weiteren Runden um den heißen Brei, sagte Jim, sei Control damit herausgerückt, daß Testify ein tschechischer General der Artillerie sei. Sein Name war Stevcek, er war bekannt als prosowjetischer Falke in der Prager Verteidigungs-Hierarchie, was immer das bedeuten mochte. Er war Verbindungsoffizier in Moskau gewesen, einer der sehr wenigen Tschechen, denen die Russen vertrauen. Stevcek hatte Control durch einen Mittelsmann, den Control persönlich in Österreich interviewt hatte, seinen Wunsch vonragen lassen, mit einem führenden Mann des Circus über Angelegenheiten von beiderseitigem Interesse zu sprechen. Der Emissär müsse tschechisch sprechen und in der Lage sein,

Entscheidungen zu treffen. Am Freitag, dem 20. Oktober, werde Stevcek die Waffenforschungsanstalt in Tisnow bei Brunn besichtigen, etwa hundert Meilen nördlich der österreichischen Grenze. Anschließend wolle er sich über das Wochenende zu einer Jagdhütte begeben, und zwar allein. Die Hütte liege hoch droben in den Wäldern, nicht weit von Racice entfernt. Er sei bereit, dort am Abend des Sonnabend, 21. Oktober, einen Emissär zu empfangen. Er würde auch nach und von Brunn eine Eskorte stellen.

Smiley fragte: »Hat Control irgend etwas über Stevceks Motiv verlauten lassen?«

»Ein Mädchen«, sagte Jim. »Eine Studentin, mit der er liiert war. Sein später Frühling, sagte Controclass="underline" zwanzig Jahre Altersunterschied zwischen den beiden. Sie wurde während des Aufstands vom Sommer achtundsechzig erschossen. Bis dahin war es Stevcek gelungen, seine anti-russischen Gefühle seiner Karriere zuliebe zu unterdrücken. Der Tod des Mädchens machte dem ein Ende: er wollte sich nur noch an den Russen rächen. Fünf Jahre lang hatte er in aller Stille Informationen gesammelt, die ihnen wirklichen Schaden zufügen könnten. Sobald er unsere Zusage und einen sicheren Kanal bekommen würde, sei er bereit, uns alles zu verkaufen.«

»Hatte Control diese Angaben nachgeprüft?«

»Soweit es ihm möglich war. Über Stevcek war reichlich Material vorhanden. Hungriger Schreibtischgeneral mit einer langen Liste von Stabs-Ernennungen. Technokrat. Wenn er nicht Kurse besuchte, wetzte er sich im Ausland die Zähne: Warschau, Moskau, ein Jahr lang Peking, eine Zeitlang Militärattache in Afrika, dann wieder Moskau. Jung für seinen Rang.«

»Hat Control Ihnen gesagt, welche Art von Informationen Sie zu erwarten hätten?«

»Verteidigungsmaterial. Raketen. Ballistik.«

»Sonst nichts?« sagte Smiley und reichte ihm die Flasche.

»Bißchen Politik.«

»Sonst nichts?«

Nicht zum erstenmal hatte Smiley das entschiedene Gefühl, daß er nicht über Jims Unwissenheit strauchelte, sondern über den Rest eines willentlichen Entschlusses, sich nicht zu erinnern. Jim Prideaux' Atem wurde im Dunkeln plötzlich tief und keuchend.

Er hatte die Hände auf s Steuerrad gelegt und das Kinn aufgestützt und starrte blicklos auf die undurchsichtige Windschutzscheibe. »Wie lange waren sie in Haft, ehe sie erschossen wurden?« fragte er.

»Ich befürchte, eine ganze Zeit länger, als Sie es waren«, gestand Smiley.

»Mein Gott«, sagte Jim. Er zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und wischte sich den Schweiß ab, und was sonst noch auf seinem Gesicht glänzen mochte.

»Die Enthüllungen, die Control von Stevcek zu erhalten hoffte«, soufflierte Smiley so behutsam wie möglich. »Das haben sie mich beim Verhör auch gefragt.«

»In Sarratt?«

Jim schüttelte den Kopf. »Drüben.« Er machte mit dem zottigen Kopf eine Bewegung zu den Hügeln. »Sie wußten von Anfang an, daß das Ganze Controls Unternehmen war. Ich konnte ihnen nicht weismachen, daß es das meine gewesen sei. Sie lachten nur.«

Abermals wartete Smiley geduldig, bis Jim bereit war, fortzufahren.

»Stevcek«, sagte Jim. »Control hatte sich folgende Idee in den Kopf gesetzt: Stevcek würde die Antwort liefern, Stevcek würde den Schlüssel liefern. >Was für einen Schlüssel ?< fragte ich. >Was für einen Schlüssel ?< Hatte seine Mappe bei sich, die alte braune Notenmappe. Zog Tabellen heraus, alle in seiner eigenen Handschrift angemerkt. Mit farbiger Tinte, mit Stift. >Ihre optischen Krückens sagte er. >Das ist der Mann, den Sie treffen.< Stevceks Karriere Jahr für Jahr aufgezeigt: er führt sie mir von A bis Z vor. Militärakademien, Orden, Ehefrauen. >Er hat Pferde gern<, sagt er. >Sie sind früher auch geritten, Jim. Wieder eine Gemeinsamkeit, denken Sie daran.< Ich dachte: Das wird ein Hauptspaß: ich sitze in der Tschechoslowakei, weiß die Bluthunde hinter mir und plaudere über das Zureiten von Vollblutstuten. Er lachte ein bißchen komisch, also lachte Smiley auch. »Die rot markierten Beförderungen waren für Stevceks Verbindungsarbeit für die Sowjets. Die grünen waren seine Geheimdienstarbeit. Stevcek hatte überall die Pfoten drin. Vierter Mann im tschechischen Abwehrdienst, Obergehilfe im Waffenwesen, Sekretär des nationalen Komitees für innere Sicherheit, eine Art Militärberater des Präsidiums. Angloamerikanischer Vertreter im militärischen Abwehrdienst der Tschechen. Dann kommt Control zu dieser Stelle in der Mitte der sechziger Jahre, Stevceks zweitem Aufenthalt in Moskau, halb grün und halb rot markiert. Nach außen hin gehörte Stevcek dem Verbindungsstab des Warschauer Pakts als Generaloberst an, sagt Control, aber das war nur Tarnung. >Er hatte mit dem Warschauer Pakt überhaupt nichts zu tun. Sein wirklicher Job war die England-Abteilung in der Moskauer Zentrale. Er war unter dem Arbeitsnamen Minin tätig <, sagt er. >Er mußte die tschechische und die Moskauer Tätigkeit koordinieren. Hier liegt der Schatz<, sagt Control. >Was Stevcek uns wirklich verkaufen will, ist der Name der Moskauer Agenten innerhalb des Circus.<« Vielleicht ist es nur ein einziges Wort, dachte Smiley in Erinnerung an sein Gespräch mit Max, und plötzlich fühlte er wieder diese jähe Woge der Furcht. Er wußte, am Ende würde nur das eine herauskommen: ein Name für den Maulwurf Gerald, ein Schrei im Dunkel.