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»>Es ist ein fauler Apfel dabei, Jim<, sagte Control, >und er steckt alle anderen an<«, fuhr Jim fort. Seine Stimme war hart geworden, seine Miene ebenfalls. »Er sprach dauernd von Ausmerzen, wie er die Spuren zurückverfolgt habe und allem nachgegangen und fast am Ziel sei. Es gebe fünf Möglichkeiten, sagte er. Fragen Sie mich nicht, wie er sie ausgegraben hat. >Es ist einer von den oberen Fünf<, sagt er. >Fünf Finger einer Hand.< Er gab mir was zu trinken, und wir saßen da wie zwei Schuljungen und machten uns einen Code, ich und Control. Wir einigten uns auf Spielkarten. Auf die, die zählen, also Zehner, Bube, Dame und so weiter. Wir saßen in dieser Wohnung und knobelten es aus und tranken diesen billigen zyprischen Sherry, den er immer servierte. Falls ich nicht mehr heraus könnte, falls es nach meiner Begegnung mit Stevcek Schwierigkeiten geben sollte, falls ich in den Untergrund müßte, so müsse ich ihm dieses eine Wort zukommen lassen, und wenn ich nach Prag gehen und es mit Kreide an die Tür der Botschaft schreiben oder unseren Mann in Prag anrufen und es ihm durchs Telefon zubrüllen müßte. Zehner, Bube, Dame, König, As. Alleline war As, Haydon war König, Bland war Bube und Toby Esterhase war Zehner. Sie waren Dame«, sagte Jim. »Ach, nein wirklich! Und was hielten Sie davon, Jim? Von Controls Theorie? Wie fanden Sie die Idee, alles in allem?«

»Verdammt albern. Schnapsidee.«

»Warum?«

»Einfach verdammt albern«, wiederholte er stur. »Daß einer von euch ein Maulwurf sein soll- blödsinnig!«

»Aber haben Sie es geglaubt?«

»Nein! Heiliger Gott, Mann, glauben Sie's vielleicht?«

»Warum nicht? Rein verstandesmäßig haben wir immer eingesehen, daß es früher oder später passieren würde. Wir haben einander dauernd gewarnt: sei auf der Hut. Wir haben genügend Mitglieder anderer Organisationen umgedreht: Russen, Polen, Tschechen, Franzosen. Sogar dann und wann einen Amerikaner. Was ist plötzlich an den Briten so Besonderes dran?« Da er Jinis inneren Widerstand spürte, öffnete Smiley die Tür auf seiner Seite und ließ die kalte Luft hereinströmen. »Wie war's mit einem kleinen Auslauf?« sagte er. »Warum sollen wir hier eingepfercht sein, wenn wir genausogut Spazierengehen können?«

Die Bewegung brachte, wie Smiley vorhergesehen hatte, Jims versiegenden Redefluß aufs neue in Schwung.

Sie waren am Westrand des Plateaus, wo nur ein paar Bäume standen und etliche gefällt am Boden lagen. Eine mit Reif bedeckte Bank lud zum Sitzen ein, aber sie machten keinen Gebrauch. Es war windstill, die Sterne waren sehr hell, und Jim nahm den Faden seiner Geschichte wieder auf, während sie nebeneinander hergingen und Jim seinen Schritt immer dem Smileys anglich. Weg vom Wagen, hin zum Wagen. Manchmal hielten sie an und blickten, Schulter an Schulter, hinunter ins Tal. Zuerst beschrieb Jim, wie er Max angeheuert und was er alles angestellt hatte, um seine Mission vor dem übrigen Circus geheimzuhalten. Er ließ durchsickern, er habe versuchsweise eine Verbindung zu einem ehrgeizigen sowjetischen Codierer in Stockholm angeknüpft und ließ auf seinen alten Arbeitsnamen Ellis eine Reise nach Kopenhagen buchen. Statt dessen flog er nach Paris, wechselte auf seine Hajek-Papiere und landete mit dem regulären Flug am Samstagvormittag zehn Uhr auf dem Flugplatz von Prag. Er kam ohne weiteres durch die Sperre, prüfte die Abfahrtszeit seines Zuges am Hauptbahnhof nach, dann ging er spazieren, denn er mußte noch ein paar Stunden totschlagen, und dachte, er könne ein bißchen aufpassen, was sich hinter ihm tue, ehe er nach Brunn abreiste. In diesem Herbst war das Wetter ungewöhnlich schlecht gewesen. Es lag schon Schnee, und es fiel noch mehr.

In der Tschechoslowakei, sagte Jim, sei die Beschattung im allgemeinen kein Problem. Die Sicherheitsdienste arbeiteten praktisch ohne alle Raffinessen, wahrscheinlich, weil seit Menschengedenken keine Regierung sich in dieser Hinsicht je hatte Zwang antun müssen. Der Trend war noch immer, sagte Jim, mit Autos und Pflastertretern herumzuwerfen wie Al Capone, und genau danach hielt Jim Ausschau: nach schwarzen Skodas und Trios von gedrungenen Männern mit Schlapphüten. Bei Kälte sind diese Dinge ein bißchen schwerer zu entdecken, weil der Verkehr zäh läuft, die Leute schneller gehen und jeder bis über die Nasenspitze vermummt ist. Trotzdem, bis zum Masaryk-Bahnhof, oder zum Hauptbahnhof, wie er heute heißt, ging alles glatt. Aber am Bahnhof, sagte Jim, sei seine Aufmerksamkeit rein instinktiv auf zwei Frauen gelenkt worden, die vor ihm am Fahrkartenschalter standen.

Nun überdachte Jim mit der leidenschaftlichen Gelassenheit des Profis noch einmal den zurückgelegten Weg. In einer Ladenarkade neben dem Wenzelsplatz hatten ihn drei Frauen überholt, die mittlere schob einen Kinderwagen. Die Frau auf der Fahrbahnseite trug eine rote Plastikhandtasche, und die Frau, die ganz innen ging, führte einen Hund an der Leine. Zehn Minuten später waren ihm zwei Frauen, Arm in Arm, entgegengekommen, sie hatten es eilig gehabt, und er dachte, wenn Toby Esterhase diese Sache organisiert hätte, so wäre das genau seine Handschrift; schnelle Ablösung am Kinderwagen, in einiger Entfernung Einsatzwagen mit Kurzwellensender oder - und ein zweites Team in Bereitschaft, für den Fall, daß das erste zum Überholen gezwungen sein würde. Als Jim nun am Masaryk-Bahnhof die beiden Frauen ansah, die vor ihm in der Schlange am Schalter standen, wußte er, daß es jetzt soweit war. Es gibt ein Kleidungsstück, das ein Beschatter weder wechseln kann noch will, schon gar nicht bei naßkaltem Wetter, und das ist sein Schuhwerk. Von den beiden Paaren, die sich am Schalter seinen Blicken darboten, erkannte Jim das eine wieder: pelzbesetzte Plastikstiefel, schwarz, mit Reißverschluß an der Außenseite und diesen dicken braunen Synthetiksohlen, die im Schnee quietschen. Er hatte sie an diesem Vormittag schon einmal gesehen, in der Sterba-Passage; die Frau, die den Kinderwagen an ihm vorbeischob, hatte sie unter einem anderen Mantel getragen. Von da an vermutete Jim nichts mehr. Er wußte, genau wie Smiley gewußt hätte. Am Zeitungsstand kaufte Jim sich eine Rude Pravo und stieg in den Zug nach Brunn. Wenn die ihn hätten festnehmen wollen, dann wäre es schon passiert. Sie mußten hinter den Nebenlinien her sein: das heißt, sie folgten Jim, um seine Verbindungsleute dingfest zu machen. Es hatte keinen Sinn, sich über das Warum den Kopf zu zerbrechen, aber Jim vermutete, daß die Hajek-Papiere hochgegangen waren und daß sie die Falle schon aufgestellt hatten, als er den Flug buchte. Solange sie nicht wußten, daß er die Hajek-Papiere ins Klo gespült hatte, war er noch immer im Vorteil; und für kurze Zeit war Smiley wieder im besetzten Deutschland, in seinem einzigen Einsatz als Außenagent, ein Leben in ständiger Angst, jeder Blick eines Fremden schien bis auf die Haut zu gehen. Er hätte ursprünglich den Zug um dreizehn Uhr acht benutzen sollen, der in Brunn um sechzehn Uhr siebenundzwanzig ankam. Er fiel aus, und Jim nahm einen wunderschönen Personenzug, einen Sonderzug zum Fußball-Match, der an jeder zweiten Laterne hielt, und jedesmal vermeinte Jim, seine Wachmannschaft herauspicken zu können. Ihre Qualität war unterschiedlich. In Chocen, einem elenden Kaff, stieg er aus, kaufte sich eine Wurst, und da standen nicht weniger als fünf, alles Männer, über den Bahnsteig verteilt, Hände in den Taschen, und taten so, als plauderten sie miteinander und machten sich verdammt lächerlich. »Wenn's etwas gibt, was einen guten Beschatter von einem schlechten unterscheidet«, sagte Jim, »dann ist es die sanfte Kunst, alles ganz überzeugend wirken zu lassen.«