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Jim wies den Magyaren an, was er tun sollte. Er sollte Jims Pelzmütze und Jims Mantel anziehen und statt seiner zur Hütte gehen. Er sollte langsam gehen, die Hände im Rücken verschränkt, und sich immer in der Mitte des Weges halten. Falls er eine dieser Anweisungen mißachte, werde Jim ihn erschießen. Wenn er bei der Hütte sei, solle er hineingehen und dem General erklären, daß Jim nur eine elementare Vorsichtsmaßnahme getroffen habe. Dann solle er langsam zurückkommen, Jim melden, daß alles in Ordnung sei und daß der General ihn empfangen wolle. Oder nicht, je nachdem.

Der Magyar schien davon nicht begeistert zu sein, aber er hatte keine Wahl. Ehe er ausstieg, ließ Jim den Wagen so drehen, daß die Scheinwerfer den Weg entlang wiesen. Sollte er Geschichten machen, erklärte Jim, so würde er die Scheinwerfer einschalten und in ihrem Licht auf ihn schießen, und zwar nicht einmal, sondern etliche Male, und bestimmt nicht in die Beine. Der Magyar ging los. Er hatte die Hütte fast erreicht, als die ganze Gegend in Flutlicht getaucht wurde: die Hütte, der Weg und ein großes Gebiet rundum. Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Jim sah nicht alles, weil er schleunigst den Wagen wendete. Er sah vier Männer hinter den Bäumen hervorstürzen, und soviel er unterscheiden konnte, hatte einer den Magyaren niedergeschlagen. Schüsse fielen, aber keiner der vier achtete darauf, sie traten zurück, während jemand Fotos machte. Die Schüsse schienen in den hellen Himmel hinter dem Flutlicht zu zielen. Es war sehr theatralisch. Leuchtkugeln wurden abgeschossen, Leuchtraketen stiegen hoch, sogar Rauchspurgeschosse, und als Jim im Fiat den Weg entlangraste, hatte er den Eindruck, einer militärischen Galavorstellung auf ihrem Höhepunkt den Rücken zu wenden. Er war fast in Sicherheit - er hatte wirklich das Gefühl, in Sicherheit zu sein -, als plötzlich rechts im Wald aus großer Nähe Maschinengewehrfeuer auf ihn eröffnet wurde. Die erste Garbe schoß ein Hinterrad ab und stürzte den Wagen um. Jim sah das Rad über die Kühlerhaube wegfliegen, als der Wagen in den linken Weggraben rollte. Der Graben war etwa drei Meter tief, aber der Schnee linderte den Fall. Der Wagen fing nicht Feuer, also legte Jim sich dahinter und wartete, spähte über den Weg und hoffte, den Schützen aufs Korn nehmen zu können. Die nächste Salve kam von hinten und schleuderte ihn hoch und gegen den Wagen. In den Wäldern mußte es von Soldaten gewimmelt haben. Er wußte, daß er zweimal getroffen worden war. Beide Schüsse erwischten ihn an der rechten Schulter, und als er dalag und die Vorführung verfolgte, schien es ihm erstaunlich, daß sie ihm nicht den Arm abgerissen hatten. Eine Hupe ertönte, vielleicht auch mehrere. Ein Krankenwagen kam den Weg heruntergerollt, und noch immer fielen genügend Schüsse, um das Wild auf Jahre hinaus zu verscheuchen. Der Krankenwagen erinnerte ihn an die alten Hollywood-Feuerspritzen, er war genauso hochbeinig. Eine ganze Manöverschlacht war im Gang, aber die Jungen von der Ambulanz standen da und starrten ihn völlig ungerührt an. Er war dabei, das Bewußtsein zu verlieren, als er einen zweiten Wagen ankommen hörte, und Männerstimmen, und weitere Fotos wurden geschossen, diesmal vom richtigen Mann. Jemand erteilte Befehle, aber er wußte nicht, wie sie lauteten, sie wurden in russischer Sprache erteilt. Als sie ihn auf die Bahre luden, drehte sich sein einziger Gedanke um die Rückkehr nach London. Er sah sich in der St. James-Wohnung mit den bunten Tabellen und dem Bündel Notizen im Sessel sitzen und Control erklären, wie sie beide auf ihre alten Tage in die größte Gimpelfalle der Firmengeschichte getappt waren. Sein einziger Trost war, daß sie dem Magyaren eins übergezogen hatten, aber rückblickend wünschte er, er hätte ihm das Genick gebrochen; er hätte das ohne Mühe und ohne Reue bewerkstelligen können.

Dramatischer Verlauf und unerwartete Folgen der Operation Testify

Die Beschreibung von Schmerzen war für Jim ein müßiges Unterfangen. Für Smiley hatte dieser Stoizismus etwas Furchterregendes, um so mehr, als er Jim nicht bewußt zu sein schien. Die Lücken in seinem Bericht seien hauptsächlich dort, wo er ohnmächtig geworden war. Die Ambulanz fuhr ihn, soweit er sich erinnern konnte, weiter nach Norden. Er hatte es an den Bäumen abgelesen, als man die Tür für den Arzt öffnete: der Schnee war dick, wenn er zurückblickte. Die Fahrbahn war gut, und er vermutete, daß sie sich auf der Straße nach Hradec befanden. Der Arzt gab ihm eine Spritze, und als er wieder zu sich kam, war er in einem Gefängniskrankenhaus mit vergitterten Fenstern hoch oben in der Wand, und drei Männer bewachten ihn. Dann kam er erst nach der Operation wieder zu sich, in einem anderen Bau ganz ohne Fenster, und er glaubte, das erste Verhör habe wohl hier stattgefunden, ungefähr zweiundsiebzig Stunden, nachdem sie ihn zusammengeflickt hatten, aber die Zeitbestimmung war bereits problematisch geworden, und natürlich hatten sie ihm seine Uhr weggenommen.

Sie fuhren ihn ständig herum. Entweder in andere Räume, je nachdem, was sie mit ihm vorhatten, oder in andere Gefängnisse, je nachdem, wer ihn verhörte. Manchmal sollte die Bewegung ihn einfach wach halten, dann führten sie ihn nachts in Gefängniskorridoren herum. Er wurde auch in Lastwagen befördert und einmal mit einem tschechischen Transportflugzeug, aber er war gefesselt und mit verbundenen Augen in die Maschine gebracht worden und hatte kurz nach dem Start die Besinnung verloren. Das folgende Verhör war sehr lang. Im übrigen konnte er die einzelnen Verhöre kaum auseinanderhalten, und vom Nachdenken wurde es auch nicht besser, eher das Gegenteil. Am deutlichsten war ihm immer noch der Schlachtplan im Gedächtnis, den er sich zurechtgelegt hatte, als er auf das erste Verhör wartete. Er wußte, Schweigen würde unmöglich sein, und er würde, wenn er den Verstand behalten oder einfach überleben wollte, einen Dialog aufrechterhalten müssen, und am Ende würden sie glauben müssen, er hätte ihnen erzählt, was er wußte, alles, was er wußte. Als er im Spital lag, teilte er sein Denken in einzelne Verteidigungslinien ein, hinter die er sich, wenn er Glück hatte, Zug um Zug absetzen könnte, bis er den Eindruck der totalen Niederlage erwecken würde. Seine vorderste und wie er annahm, auch entbehrlichste Linie war das Skelett der Operation Testify. Jeder sollte selber raten, ob Stevcek ein falscher Fuffziger war, oder ob man ihn verraten hatte. Aber was immer der Fall sein mochte, eins war sicher: die Tschechen wußten mehr über Stevcek als Jim. Sein erstes Zugeständnis würde also die Stevcek-Story sein, denn die kannten sie bereits; aber er würde ihnen nichts schenken. Zuerst würde er alles leugnen und bei seiner Tarnung bleiben. Nach einigem Wehren würde er eingestehen, ein britischer Spion zu sein, und seinen Arbeitsnamen Ellis angeben, damit, wenn sie ihn veröffentlichten, der Circus zumindest wüßte, daß er am Leben war und sein Bestes versuchte. Er zweifelte kaum daran, daß die ausgeklügelte Falle und die Fotos einen ganz großen Wirbel versprachen. Danach würde er, entsprechend seinem Übereinkommen mit Control, die Operation als sein Privatunternehmen darstellen, das er im Alleingang und ohne Wissen seiner Vorgesetzten aufgezogen hatte, weil er sich davon eine Beförderung erhoffte. Begraben dagegen würde er, so tief wie sie irgend schürfen konnten und noch tiefer, jeden Gedanken an einen Spion innerhalb des Circus »Kein Maulwurf«, sagte Jim zu den schwarzen Konturen der Quantocks. »Kein Treffen mit Control, keine Wohnung in St. James.«

»Keine Dame, König, As.«

Seine zweite Verteidigungslinie würde Max sein. Zuerst würde er vorbringen, daß er überhaupt keinen Kurier dabeigehabt habe. Dann könnte er sagen, ja, aber er kenne seinen Namen nicht. Dann - denn jeder hört gern Namen - würde er ihnen einen geben: den falschen zuerst, den richtigen danach. Inzwischen müßte Max in Sicherheit sein oder im Untergrund oder geschnappt.

Nun folgte in Jims Phantasie eine Reihe weniger heftig verteidigter Stellungen: Skalpjäger-Operationen der jüngsten Zeit, Circusklatsch, alles, was seine Inquisitoren auf die Idee brächten, sein Widerstand sei gebrochen und er packe jetzt aus, und das sei alles, was er wisse, sie hätten den letzten Schützengraben erobert. Er würde in seinem Gedächtnis nach alten Skalpjäger-Unternehmungen forschen und ihnen notfalls die Namen von ein paar sowjetischen oder den Satellitenstaaten angehörenden Beamten nennen, die in letzter Zeit umgedreht oder verbrannt worden waren; die Namen einiger, die in der Vergangenheit einen einmaligen Verkauf von Informationen tätigten und, da sie nicht übergelaufen waren, jetzt zum Verbrennen oder für eine zweite Lieferung in Frage kämen. Er würde ihnen jeden Knochen vorwerfen, den er ausgraben konnte, ihnen, wenn nötig, den ganzen Brixton-Stall verkaufen. Und das alles würde den Rauchvorhang abgeben, hinter dem Jim sein, wie er glaubte, gefährdetstes Wissen verbergen könnte, denn sie würden bestimmt annehmen, daß er es ihnen verraten könne: die Identität der Mitglieder des tschechischen Teils der Netze Aggravate und Plato. »Landkron, Krieglowa, Bilowa, die Pribyls«, sagte Jim. Warum wählte er für ihre Namen ausgerechnet diese Reihenfolge? fragte sich Smiley.