»Seien Sie doch nicht so verdammt albern, George«, sagte Toby nonchalant. »Poljakow arbeitet für die Moskauer Zentrale. Das wissen Sie genausogut wie ich.« Er schlug die kurzen Beine übereinander, lehnte sich mit seiner ganzen wiederaufgelebten Arroganz in seinem Stuhl zurück und trank einen Schluck kalten Tee. Während Smileys Miene, so fand Guillam, flüchtige Entspannung verriet; woraus Guillam in seiner Verwirrung folgerte, daß Smiley sehr mit sich zufrieden sein müsse. Vielleicht, weil Toby sich endlich entschlossen hatte, zu sprechen:
»Na, los, George«, sagte Toby, »Sie sind doch kein Kind mehr. Bedenken Sie, wie viele Operationen wir auf diese Weise hinter uns gebracht haben. Wir kaufen Poljakow, okay? Poljakow ist ein Moskauer Spitzel, aber er ist unser bestes Stück. Er muß aber seinen eigenen Leuten weismachen, daß er gegen uns spioniere. Wie sonst käme er damit durch? Wie sonst könnte er den ganzen Tag in diesem Haus aus- und eingehen, ohne Gorillas, ohne Babysitters, ganz ungeniert? Er kommt hinaus in unseren Laden, wenn er ein paar Bonbons heimbringen muß. Also geben wir ihm Bonbons. Bagatellen, nur damit er sie zu Hause abliefern kann und jeder in Moskau ihm auf die Schulter klopft und sagt, er sei ein toller Bursche, passiert alle Tage.«
Wenn Guillam jetzt von einer Art rasenden Entsetzens erfüllt war, so schien Smileys Kopf bemerkenswert klar zu sein. »Und das ist ziemlich genau die Standard-Geschichte, nicht wahr, unter den vier Eingeweihten?«
»Ob es die Geschichte ist, kann ich nicht sagen«, sagte Esterhase mit einer sehr ungarischen Handbewegung, einem Drehen der gespreizten Hand von einer Seite zur anderen. »Wer ist also Poljakow s Agent?«
Diese Frage, das sah Guillam, war Smiley sehr wichtig: er hatte alle vorhergegangenen Karten nur ausgespielt, um zu ihr zu kommen. Während Guillam wartete - die Augen bald auf Esterhase, der keineswegs so sicher war, bald auf Smileys Mandarinsgesicht gerichtet —, dämmerte auch ihm allmählich, wie Karlas letzter gekonnter Knoten geschürzt, und worum es bei seiner eigenen nervenaufreibenden Audienz bei Alleline gegangen war. »Was ich Sie frage, ist ganz einfach«, drängte Smiley. »Rein hypothetisch, wer ist Poljakows Agent im Circus? Mein Gott, Toby, seien Sie doch nicht so vernagelt. Wenn Poljakow sich mit euch treffen kann, weil er vorgibt, gegen den Circus zu spionieren, dann muß er einen Spion im Circus haben, oder? Also, wer ist es? Poljakow kann nicht nach einem Treffen mit euch zur Botschaft zurückkommen, beladen mit einem Haufen von Circus-Abfällen, und sagen: das da hab' ich von den Jungen bekommen. Es muß eine Geschichte aufgebaut sein, und zwar eine gute: ein ganzes Gewebe aus Umwerbung, Anwerbung, heimlichen Zusammenkünften, Geld und Motiven. Stimmt doch? Lieber Gott, es ist nicht bloß Poljakows Tarngeschichte: es ist seine Lebenslinie. Sie muß durchgängig sein. Sie muß überzeugend sein; das ist wichtig. Also, wer ist es?« erkundigte Smiley sich liebenswürdig. »Sie? Toby Esterhase verkleidet sich als Spion im Circus, um Poljakow im Geschäft zu halten? Respekt, Toby, das ist eine ganze Handvoll Orden wert.« Sie warteten, während Toby nachdachte.
»Sie sind auf einem verdammt langen Weg, George«, sagte Toby. »Was passiert, wenn Sie das andere Ende nicht erreichen?«
»Auch nicht mit Lacon hinter mir?«
»Dann bringen Sie Lacon her. Und Percy; Bill. Warum halten Sie sich an den Kleinsten? Gehen Sie zu den Großen und hacken Sie auf denen herum.«
»Ich dachte, Sie gehörten jetzt zu den Großen. Sie paßten ausgezeichnet für die Rolle, Toby, ungarische Abstammung, Bitterkeit mangels Beförderung, Zugang zu manchem, wenn auch nicht zu übermäßig vielem . . . schneller Denker, auf Geld aus. . . mit Ihnen als seinem Agenten hätte Poljakow eine Tarngeschichte, die hieb- und stichfest wäre. Die großen Drei geben Ihnen die Abfälle, Sie reichen sie an Poljakow weiter, Moskau glaubt, Toby sei ganz der ihre, jeder wird bedient, jeder ist zufrieden. Problematisch wird es erst, wenn durchsickert, daß Sie Poljakow die Kronjuwelen ausgehändigt und dafür russische Abfälle bekommen haben. Sollte sich tatsächlich herausstellen, daß das der Fall war, dann werden Sie gute Freunde bitter nötig haben. Freunde wie uns. Immer nach meiner Theorie - nur um sie zu Ende zu führen. Dieser Gerald ist ein russischer Maulwurf, geführt von Karla. Und er hat den Circus buchstäblich ausgeweidet.«
Esterhase sah ein bißchen krank aus. »Hören Sie, George. Falls Sie sich irren, dann möchte ich mich nicht ebenfalls irren, verstehen Sie mich?«
»Aber wenn er recht hat, dann möchten Sie auch recht haben«, meldete Guillam sich nach langer Zeit wieder zu Wort. »Und je eher Sie recht haben, um so glücklicher werden Sie sein.«
»Klar«, sagte Toby, dem die Ironie völlig entgangen war. »Klar. Ich meine, George hat die Sache sehr gut hingekriegt, aber, mein Gott, jeder hat seine zwei Seiten, George, besonders ein Agent, und vielleicht haben Sie die falsche erwischt. Passen Sie auf: wer hat jemals Witchcraft als Abfall bezeichnet? Niemand, niemals.
Es ist Spitze. Dann kommt einer, der das Maul aufreißt und mit Dreck schmeißt, und schon graben Sie halb London um. Verstehn Sie mich? Ich tu doch nur, was mir gesagt wird, okay? Sie sagen, ich soll für Poljakow den Handlanger spielen, ich spiele ihn. Bringen Sie ihm diesen Film, ich bring ihn ihm. Ich bin in einer sehr gefährlichen Lage«, erklärte er. »Für mich tatsächlich sehr gefährlich.«
»Das tut mir leid«, sagte Smiley vom Fenster her, wo er aufs neue durch einen Vorhangspalt den Platz beobachtete. »Muß beunruhigend für Sie sein.«
»Äußerst«, bestätigte Toby. »Ich kriege Magengeschwüre, kann nichts essen. Sehr mißliche Lage.«
Eine Weile waren sie alle drei zu Guillams Erbitterung in schweigendem Mitgefühl mit Toby Esterhases mißlicher Lage vereint.
»Toby, Sie lügen mich doch nicht an, was diese Babysitter betrifft, wie?« erkundigte sich Smiley, der noch immer am Fenster stand.
»George, drei Finger aufs Herz, ich schwör's Ihnen.«
»Was würden Sie für solche kleinen Jobs verwenden? Autos?«
»Die Pflastertreter. Bus bis zum Air Terminal, dann zu Fuß zurück.«
»Wie viele?«
»Acht, zehn. In dieser Jahreszeit vielleicht nur sechs. Eine Menge sind zur Zeit krank. Weihnachten«, sagte er düster. »Und einen einzelnen Mann?«
»Niemals. Sind Sie verrückt? Ein Mann! Glauben Sie, ich leite heutzutage ein Bonbon-Geschäft?« Smiley ging vom Fenster weg und setzte sich wieder. »Hören Sie George, was Sie sich da ausgedacht haben, ist furchtbar, wissen Sie das? Ich bin Patriot. Herrje«, wiederholte Toby. »Welchen Job hat Poljakow in der Londoner Außenstelle?« fragte Smiley. »Polly arbeitet solo.«
»Führt seinen Meisterspion im Circus?«
»Klar. Er ist von aller eigentlichen Arbeit dispensiert, sie geben ihm freie Hand, damit er Toby managen kann, den Meisterspion. Wir besprechen alles, stundenlang sitze ich mit ihm zusammen. >Hören Sie<, sage ich. >Bill verdächtigt mich, meine Frau verdächtigt mich, meine Kinder haben Masern, und ich kann den Arzt nicht bezahlen.< Eben den Mist, den Agenten so schwatzen, den schwatze ich Poljakow vor, damit er ihn zu Hause für bare Münze verkaufen kann.«
»Und wer ist Merlin?« Esterhase schüttelte den Kopf.
»Aber Sie haben doch zumindest gehört, daß er in Moskau sitzt», sagte Smiley. »Und dem sowjetischen Geheimdienst angehört?«
»Das haben sie mir gesagt«, gab Esterhase zu. »Wodurch es Poljakow möglich ist, mit ihm Verbindung zu halten. Im Interesse des Circus natürlich. Heimlich, ohne daß seine eigenen Leute Verdacht schöpfen?«
»Klar.« Toby stimmte erneut sein Klagelied an, aber Smiley schien Tönen zu lauschen, die nicht im Zimmer waren. »Und Dame, König?«
»Herrgott, ich weiß nicht, was das soll. Ich tue, was Percy anordnet.«