Zuerst das Souterrain, wo sie selber wohnte und das angefüllt war mit Pflanzen und jenem Sammelsurium alter Postkarten, Messingtischchen und schwarzen geschnitzten Möbeln, das weitgereisten englischen Damen eines bestimmten Alters und Standes ans Herz gewachsen zu sein scheint. Ja, wenn der Circus ihr nachts etwas mitteilen wollte, wurde sie über den Apparat im Souterrain angerufen. Ja, oben war ein eigener Anschluß, aber nur für Gespräche vom Haus nach draußen. Das Souterrain-Telefon hatte einen Nebenapparat droben im Eßzimmer. Dann hinauf ins Erdgeschoß, einem wahren Heiligtum der kostspieligen Geschmacksverirrung der Haushälterin: aufdringliche Regency-Streifen, vergoldete Stilsessel, Plüschsofas mit Kordeleinfassung. Die Küche war unbenutzt und verwahrlost. Dahinter lag ein verglaster Anbau, halb Treibhaus, halb Spülküche, der auf den verwilderten Garten und den Kanal hinausging. Über den Fliesenboden verstreut: eine alte Wäschemangel, ein Kupferkessel und Kisten mit Tonic-Water. »Wo sind die Mikros, Millie?« fragte Smiley, als sie wieder im Wohnzimmer waren.
Paarweise angebracht, murmelte Millie, hinter der Tapete eingelassen, zwei Paar in jedem Raum im Erdgeschoß, je ein Paar in jedem der oberen Räume. Jedes Paar war mit einem eigenen Aufnahmegerät verbunden. Er folgte Millie die steile Treppe hinauf. Das oberste Stockwerk war unmöbliert, mit Ausnahme eines Dachzimmers, das einen grauen Stahlrahmen mit acht Bandgeräten enthielt, vier oben, vier unten. »Und Jefferson weiß über das alles Bescheid?« Mr. Jefferson, sagte Millie steif, werde auf Vertrauensbasis behandelt. Dies war der deutlichste Ausdruck ihrer Mißbilligung Smileys oder ihrer Ehrfurcht vor der christlichen Ethik, den sie sich gestattete.
Als sie wieder unten waren, zeigte sie ihm die Schalter, mit denen das System zu bedienen war. Es waren Doppelschalter. Wenn Mr. Jefferson oder einer der Jungens, wie sie sich ausdrückte, etwas aufnehmen wollten, mußte er nur hingehen und die linke Schalttaste hinunterdrücken. Sodann war die Anlage auf Aufnahme gestellt; das Band begann jedoch erst zu laufen, sobald jemand sprach.
»Und wo sind Sie, Millie, während das alles vor sich geht?« Sie bleibe unten, sagte sie, als wäre das der Platz einer Frau. Smiley öffnete Schränke und Schubladen, ging von einem Zimmer zum anderen. Dann wieder zurück in die Spülküche mit dem Blick auf den Kanal. Er nahm eine Taschenlampe und funkte einen Lichtstrahl in die Dunkelheit des Gartens.
»Wie sind die Sicherheitsvorkehrungen?« fragte Smiley und befingerte gedankenvoll den Lichtschalter an der Tür des Wohnzimmers.
Ihre Antwort kam monoton wie eine Litanei: »Zwei volle Milchflaschen auf der Türschwelle, dann kann man reinkommen und alles ist in Ordnung. Keine Milchflaschen, dann darf man nicht reinkommen.« Aus der Richtung des Glashauses kam ein schwaches Klopfen. Smiley ging wieder zurück in die Spülküche, öffnete die Glastür, führte ein hastig geflüstertes Gespräch und kam mit Peter Guillam herein. »Sie kennen Peter, nicht wahr, Millie?« Es blieb dahingestellt, ob Millie ihn kannte, ihre kleinen harten Augen hatten sich voll Verachtung auf ihn geheftet. Er studierte die Schaltanlage und tastete dabei in seiner Tasche. »Was tut er da? Er darf das nicht tun. Verbieten Sie es ihm.« Wenn sie Bedenken hege, sagte Smiley, solle sie über den Apparat im Souterrain Lacon anrufen. Millie McCraig rührte sich nicht, aber zwei rote Flecken waren auf ihren ledrigen Wangen erschienen, und sie schnalzte ärgerlich mit den Fingern. Guillam hatte inzwischen mit einem kleinen Schraubenzieher die Schrauben zu beiden Seiten der Plastikverkleidung entfernt und sah sich die dahinterliegenden Drähte an. Dann drehte er sehr vorsichtig de linke Taste um hundertachtzig Grad, wobei er die Drähte entsprechend verbog und schraubte die Verkleidung wieder auf; die übrigen Tasten ließ er unberührt.
»Probieren wir's mal aus«, sagte Guillam, und während Smiley hinaufging, um das Bandgerät zu kontrollieren, sang Guillam >Old Man River< mit der grollenden Baßstimme Paul Robesons. »Vielen Dank«, sagte Smiley und schauderte, »das genügt vollauf.« Millie war ins Souterrain hinuntergegangen, um Lacon anzurufen. Smiley richtete in aller Ruhe die Bühne her. Er stellte die Telefone neben einen Sessel im Wohnzimmer, dann machte er sich den Rückzug in die Spülküche frei. Er holte zwei volle Milchflaschen aus der Coca-Cola-Kühlbox in der Küche und stellte sie vor die Tür, um im McCraigschen Esperanto zu sagen, daß sie hereinkommen könnten und alles in Ordnung sei. Er zog die Schuhe aus, trug sie in die Spülküche, machte alle Lichter aus und hatte gerade seinen Posten im Sessel bezogen, als Mendel seinen Kontrollanruf tätigte.
Guillam hatte währenddessen auf dem Treidelpfad die Überwachung des Hauses wieder aufgenommen. Dieser Pfad wird eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit für die Öffentlichkeit gesperrt; danach dient er sowohl als Stelldichein für Liebespaare wie als Asyl für Clochards; beiden ist, wenn auch aus verschiedenen Gründen, die Dunkelheit unter den Brücken lieb. In dieser kalten Nacht sah Guillam jedoch keinen Menschen. Dann und wann raste ein unbesetzter Zug vorbei und hinterließ eine noch größere Leere. Seine Nerven waren so gespannt, seine Erwartungen so mannigfach, daß er einen Augenblick lang die ganze Szenerie dieser Nacht in apokalyptischen Bildern sah: die Signale auf der Eisenbahnbrücke wurden zu Galgen, die victorianischen Lagerhäuser mit ihren vergitterten Fenstern und Gewölben, die sich vor dem dunstigen Himmel abzeichneten, zu gigantischen Gefängnissen. Nahebei das Rascheln von Ratten und der Gestank von Brackwasser. Dann erloschen die Lichter im Wohnzimmer, und das Haus lag im Dunkeln, mit Ausnahme der gelblichen Ritzen zu beiden Seiten von Millies Souterrain-Fenster. Aus der Spülküche winkte ihm ein dünner Lichtstrahl über den ungepflegten Garten hinweg. Er nahm eine Füllhalter-Lampe aus der Tasche, entfernte die silberne Kappe, visierte mit zitternden Fingern den Punkt an, von dem das Licht gekommen war und signalisierte zurück. Von jetzt an konnten sie nur noch warten.
Tarr warf das eingegangene Telegramm Ben zu, zusammen mit der Codeliste zum einmaligen Gebrauch aus dem Safe. »Los«, sagte er, »verdienen Sie Ihr Geld, Trennen Sie's auf.«
»Es ist an Sie persönlich«, wandte Ben ein. »Sehen Sie. Persönlich von Alleline nur vom Adressaten zu entschlüsseln. < Ich darf es nicht anfassen. Es ist topsecret.«
»Tun Sie, was er sagt, Ben«, sagte Mackelvore und beobachtete Tarr.
Zehn Minuten lang wurde zwischen den drei Männern kein Wort gesprochen. Tarr stand am anderen Ende des Raums, sehr nervös vom Warten. Die Kanone hatte er in den Hosenbund gesteckt, Kolben nach innen, zur Leiste. Seine Jacke lag über einem Stuhl. Der Schweiß hatte sein Hemd am ganzen Rücken festgeklebt. Ben las mit Hilfe eines Lineals die Zahlengruppen ab und schrieb seine Ergebnisse sorgfältig auf einen Zeichenblock mit Maßeinteilung, der vor ihm lag. Zwecks besserer Konzentration hatte er die Zunge gegen die Zähne gepreßt, und jetzt zog er sie mit einem leisen Schnalzen zurück. Dann legte er den Stift weg und reichte Tarr das Abreißblatt. »Lesen Sie vor«, sagte Tarr.
Bens Stimme war freundlich und ein bißchen erregt. »>Persönlich an Tarr von Alleline, nur vom Adressaten zu entschlüsseln. Verlange entschieden Aufklärung bzw. Proben vor Erfüllung Ihrer Forderung. Information in Anführung lebenswichtig für Sicherheit der Dienststelle Abführung nicht qualifiziert. Bedenken Sie Ihre ungünstige Position hier infolge schimpflichen Verschwindens stop Mackelvore ist unverzüglich ins Bild zu setzen wiederhole unverzüglich stop Chef. <«