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Hier spürte Smiley, wie Haydon zögerte. Zum erstenmal schien er gewisse Bedenken bezüglich der moralischen Vertretbarkeit seiner Handlungen zu haben. Sein Verhalten wurde deutlich defensiv.

»Natürlich mußten wir Gewißheit haben, daß Control reagieren würde und wie er reagieren würde . . . und wen er schicken würde. Wir konnten nicht zulassen, daß er irgendeinen lahmarschigen kleinen Pflastertreter schickte: es mußte eine Kanone sein, wenn die Geschichte hieb- und stichfest sein sollte. Wir wußten, daß er sich nur für jemanden von außerhalb der Zentrale entscheiden würde, und für jemanden, der keinen Zugang zum Witcbcraft-Material hatte. Wenn wir einen Tschechen anbrachten, mußte er jemanden schicken, der tschechisch sprach, ganz klar.«

»Ganz klar.«

»Wir wollten einen alten Circus-Mann: einen, der Schlagzeilen machen würde.«

»Ja«, sagte Smiley und erinnerte sich an die keuchende, schwitzende Gestalt auf dem Hügel. »Ja, ich sehe die Logik dieses Arguments ein.«

»Verdammt noch mal, ich hab' ihn wieder rausgekriegt«, fuhr Haydon ihn an.

»Ja, das war sehr freundlich von Ihnen. Sagen Sie, hat Jim Sie aufgesucht, ehe er wegen dieses Testify-Auftrags abfuhr?«

»Ja, das hat er tatsächlich getan.«

»Und was wollte er Ihnen sagen?«

Haydon zögerte lange, sehr lange, dann antwortete er gar nicht. Aber trotzdem war die Antwort da, in der plötzlichen Leere der blassen, hellen Augen, in dem Schatten der Schuld, der sich über das schmale Gesicht legte. Er ist gekommen, um dich zu warnen, dachte Smiley; weil er dich liebte. Um dich zu warnen, genau wie er zu mir kam, um mir zu sagen, Control sei übergeschnappt, mich aber nicht antraf, weil ich in Berlin war. Jim hat dir den Rücken gedeckt bis zum bitteren Ende.

Ferner, sagte Haydon, mußte es ein Land sein, das erst vor kurzem eine Gegenrevolution durchgemacht hatte: die Tschechoslowakei sei das einzig Richtige gewesen. Smiley schien nicht genau zuzuhören.

»Warum haben Sie ihn wieder rausgeholt?« fragte er. »Aus alter Freundschaft? Weil er harmlos war und Sie alle Karten in der Hand hielten?«

Es war nicht nur das, erklärte Haydon. Solange Jim in einem tschechischen — er sagte nicht russischen - Gefängnis saß, hätte man Wind um ihn gemacht und ihn als eine Art Schlüsselfigur betrachtet. Aber sobald er zurück wäre, würde in Whitehall jeder alles tun, damit er den Mund nicht aufmachte: das wurde bei Rückführungen immer so gemacht.

»Ich bin überrascht, daß Karla ihn nicht einfach erschossen hat. Oder hat er aus purer Feinfühligkeit Ihnen gegenüber davon Abstand genommen?«

Aber Haydon war schon wieder in halbgare politische Dogmen versunken.

Dann begann er über sich selbst zu sprechen, und schon schien er für Smileys Augen sichtlich zu etwas ganz Kleinem und Miesem zusammenzuschrumpfen. Er war tief berührt von der Meldung, daß Ionesco uns kürzlich ein Stück versprochen habe, in dem der Held beharrlich schweige und alle um ihn unaufhörlich redeten. Wenn einmal die Psychologen und die Mode-Historiker ihre Verteidigungsreden für ihn schreiben würden, so erinnerten sie sich hoffentlich, daß er selber sich genauso gesehen habe. Als Künstler habe er schon mit siebzehn Jahren alles gesagt, was er zu sagen hatte, und irgend etwas müsse man ja auch mit seinen späteren Jahren anfangen. Er bedauere schrecklich, daß er nicht ein paar seiner Freunde mitnehmen könne. Er hoffe, Smiley werde seiner in Zuneigung gedenken. Smiley hätte ihm an dieser Stelle nur zu gern gesagt, daß er keineswegs vorhabe, in diesem Sinn an ihn zu denken, und er hätte noch manches andere gern gesagt, aber es schien keinen Sinn zu haben, und Haydon hatte wieder Nasenbluten bekommen. »Ach, und ich sollte Sie noch bitten, jede Publicity zu vermeiden. Miles Sercombe liegt kolossal daran.«

Hier gelang Haydon ein Lachen. Nachdem er im stillen den ganzen Circus durcheinander gebracht habe, sagte er, wolle er nun nicht den Prozeß vor der Öffentlichkeit wiederholen. Ehe er ging, stellte Smiley die eine Frage, die ihm noch immer am Herzen lag.

»Ich werde es Ann sagen müssen. Gibt es irgend etwas, das ich ihr bestellen soll?«

Es erforderte einiges Hin- und Herreden, ehe ihm die Bedeutung von Smileys Frage aufging. Zuerst glaubte er, Smiley habe gesagt »Jan« und konnte nicht begreifen, warum Smiley sie noch nicht aufgesucht hatte.

»Ach so, Ihre Ann«, sagte er, als gäbe es eine Menge Anns um sie herum.

Es sei Karlas Idee gewesen, erklärte er. Karla hatte längst erkannt, daß Smiley die größte Bedrohung für den Maulwurf Gerald darstellte. »Er sagt, Sie seien sehr gut.«

»Vielen Dank.«

»Aber Sie hatten diesen einen Preis: Ann. Die letzte Illusion eines illusionslosen Mannes. Er schätzte, wenn ich überall als Anns Liebhaber bekannt wäre, so würden Sie mich in anderer Hinsicht nicht so genau sehen.« Seine Augen, so stellte Smiley fest, waren sehr starr geworden. Zinnkugeln hatte Ann sie genannt. »Nichts forcieren oder so, aber wenn möglich, nehmen Sie am Rennen teil. Ja?«

»Ja«, sagte Smiley.

Zum Beispiel, in der Nacht von Testify hatte Karla darauf bestanden, daß Haydon, wenn irgend möglich, mit Ann turteln sollte. Als eine Art Versicherung.

»Und war in dieser Nacht nicht tatsächlich eine Kleinigkeit schiefgegangen?« fragte Smiley und dachte an Sam Collins und die Frage, ob Ellis erschossen wurde. Haydon gab zu, daß es so gewesen sei. Wäre alles nach Plan gegangen, so hätten die ersten tschechischen Bulletins um zehn Uhr dreißig einlaufen müssen. Haydon hätte Gelegenheit gehabt, in seinem Club die Meldungen des Fernschreibers zu lesen, nachdem Collins Ann angerufen hatte und ehe er zum Circus ging, um die Sache in die Hand zu nehmen. Aber weil Jim getroffen worden war, hatte es am tschechischen Ende Kuddelmuddel gegeben und das Bulletin war erst herausgekommen, nachdem sein Club geschlossen hatte. »Ein Glück, daß keiner es nachgeprüft hat«, sagte er und nahm sich noch eine von Smileys Zigaretten. »Welcher war ich übrigens?« fragte er leichthin. »Ich hab's vergessen.«

»König. Ich war Dame.«

Smiley hatte nun genug und ging, ohne sich zu verabschieden. Er stieg in sein Auto und fuhr eine Stunde lang blindlings dahin, bis er sich mit hundertzwanzig auf einer Landstraße nach Oxford befand, also machte er halt, aß zu Mittag und fuhr nach London zurück. Er konnte sich noch immer nicht entschließen, in die Bywater Street zurückzukehren und ging ins Kino, aß irgendwo zu Abend und kam um Mitternacht leicht angetrunken nach Hause, wo er Lacon und Miles Sercombe auf der Türschwelle vorfand und Sercombes blödsinnigen Rolls-Royce, die schwarze Bettpfanne, in seinen ganzen fünfzehn Metern Länge schräg über den Gehsteig geparkt sah.

Sie fuhren in einem Affentempo nach Sarratt, und dort saß, inmitten der Nacht unter einem klaren Himmel, beleuchtet von mehreren Stablampen und angestarrt von mehreren leichenblassen Insassen der Nursery, Bill Haydon auf einer Gartenbank und blickte auf das mondbeschienene Kricketfeld. Er trug einen gestreiften Pyjama unter seinem Mantel, der aussah wie ein Sträflingsanzug. Seine Augen waren geöffnet und sein Kopf unnatürlich nach der Seite verdreht, wie der Kopf eines Vogels, dem eine kundige Hand den Hals umgedreht hat. Über das, was geschehen war, wurde weiter nicht geredet. Um 10 Uhr 30 hatte Haydon vor seinen Wächtern über Schlaflosigkeit und Übelkeit geklagt, er meinte, er müsse etwas frische Luft schöpfen. Da sein Fall für abgeschlossen galt, kam keiner auf den Gedanken, ihn zu begleiten, und so spazierte er allein in die Dunkelheit hinaus. Einer der Wächter erinnerte sich, wie er gescherzt habe, er wolle »den Zustand des Kricket-Tores untersuchen«. Der andere war zu sehr ins Fernsehen vertieft gewesen, als daß er sich an irgend etwas hatte erinnern können. Nach einer halben Stunde wurde es ihnen mulmig, und der ältere Wächter ging, um nachzuschauen, während sein Gehilfe im Haus blieb für den Fall, daß Haydon zurückkommen sollte.