»Barney und Betty Hill haben ein Flugzeug gesehen«, fuhr er fort. »Ein niedrig fliegendes, langsames Flugzeug. Sie waren beide übermüdet von der langen Fahrt und sind einfach einer Täuschung erlegen. Ganz genau das wird in Ihrem Bericht stehen, John. Haben wir uns verstanden?«
»Ich glaube nicht«, antwortete ich trotzig. »Wer, zur Hölle, sind Sie eigentlich?«
»Niemand, John«, antwortete er. »Ich bin gar nicht hier. Und das alles hier ist niemals passiert. Nur ein böser Traum, mehr nicht.«
»Aber ich vermute, er könnte zu einem Alptraum werden, wenn ich nicht tue, was Sie von mir erwarten«, sagte ich böse.
Einen Moment lang wirkte er wirklich verblüfft. Dann lachte er, allerdings nicht lange. »Wie ich bereits sagte, John: Hätten wir uns unter anderen Umständen getroffen, wäre ich beeindruckt. Sie scheinen ein intelligenter junger Mann zu sein. Ich hoffe, Sie sind intelligent genug, um zu wissen, was gut für Sie ist.« Er hatte das Band ganz abgespult, presste es mit einer kurzen, heftigen Bewegung zu einem Ball zusammen und ließ es dann in der Manteltasche verschwinden. Die leere Kunststoffspule zerbrach er mit einem Ruck in mehrere Stücke, die er achtlos fallen ließ. Offenbar besaß er doch einen stärkeren Sinn für Dramatik, als ich angenommen hatte.
»Ich werde Ihnen sagen, was Sie tun werden, John. Sie fahren nach Hause und verbringen ein ruhiges Weihnachtsfest in Ihrer hübschen, kleinen Wohnung mit Aussicht auf das Capitol, trinken eine Hasche Chianti mit ihrem italienischen Vermieter und lassen sich von Ihrer entzückenden Verlobten verwöhnen. Und in Ihrem Bericht werden Sie schreiben, dass diese ganze UFO-Hysterie nichts weiter als das ist: Hysterie. Es lohnt sich nicht, einen Gedanken darauf zu verschwenden. Und schon gar nicht, die Arbeitskraft eines so talentierten jungen Mannes, wie Sie es sind.«
»Sie können mich mal!« sagte ich trotzig.
Ich rechnete damit, dass der Lieutenant mich wieder schlagen würde. Aber er tat es nicht. Stattdessen tauschte er einen fragenden Blick mit Mister Alptraum, den dieser mit einem angedeuteten Nicken beantwortete, und zog eine Pistole.
»Schade, John«, seufzte er. »Aber Sie lassen uns keine Wahl.«
Mein Atem stockte, als der Lieutenant den Lauf der Pistole gegen meine Schläfe drückte. »Nein!« keuchte ich. »Bitte, ich ...«
»Tut mir leid, John. Sie hatten Ihre Chance. Ich kann es mir nicht leisten, ein Risiko einzugehen.«
Er würde abdrücken. Ich wusste es. Ich hatte zu hoch gepokert, und verloren. Mein Herz jagte, aber ich war so gelähmt vor Schrecken, dass ich nicht einmal mehr schreien konnte. Er würde abdrücken, und ich würde Weihnachten nicht mit Kimberley verbringen, keine Karriere im Kongress machen und nie wieder mit Menschen wie Betsy und Barney Hill reden, die ...
Er drückte ab.
Das helle Klicken der Waffe dröhnte wie ein Kanonenschuss in meinem Schädel, und ich konnte sogar spüren, wie der Hammer auf die leere Kammer schlug und ein Schwall warmer Luft gegen meine Schläfe gepresst wurde. Die Pistole war nicht geladen.
Die Erleichterung schlug mit solcher Wucht über mir zusammen, dass mir schwarz vor Augen wurde. Meine Knie gaben nach. Haltlos sackte ich in den Armen der beiden Männer zusammen, die mich hielten. Für einen Moment war ich der Ohnmacht näher denn je. Alles drehte sich um mich. Ich war noch am Leben, aber was ich fühlte, war die pure, nackte Todesangst.
»Mister Loengard!«
Ich war unfähig, auf die Stimme zu reagieren. Ich wollte es, aber meine Stimmbänder versagten mir ebenso den Dienst wie der Rest meines Körpers. Ich spürte kaum, wie ich erneut von starken Händen gepackt und auf die Füße gezerrt wurde.
»Mister Loengard«, sagte der Mann mit den kalten Augen noch einmal. »Nehmen Sie einen guten Rat von mir an: Halten Sie Ihre Nase in Zukunft aus Dingen raus, die Sie nichts angehen. Das nächste Mal, John, machen wir vielleicht einen Hausbesuch bei Ihnen.«
Damit ging er. Die meisten seiner Begleiter gingen mit ihm, aber der Lieutenant und die zwei Kerle, die mich festhielten, blieben zurück. Wahrscheinlich war das auch gut so. Meine Knie zitterten immer noch so heftig, dass ich wahrscheinlich auf der Stelle zusammengebrochen wäre, hätten sie mich losgelassen.
»Du bist ein richtiger Glückspilz, John«, sagte der Lieutenant. »Wirklich. Immerhin bist du noch am Leben. Diesmal.«
Ich sah seine Faust nicht einmal kommen. Diesmal schlug er so hart zu, dass ich endgültig das Bewusstsein verlor.
Alles war anders geworden. Ich kehrte nach Washington zurück, ging in meine kleine Wohnung mit Aussicht auf Capitol Hill, zu meiner Verlobten, die mich erwartete, und meinem italienischen Vermieter, und schon am nächsten Morgen ging ich um zehn Minuten vor neun die Stufen des Capitols hinauf, zurück aus dem wärmeren Ohio wieder mit Hut, Schal und Handschuhen ... Nichts hatte sich verändert.
Und doch war nichts mehr, wie es gewesen war.
Das nächste Mal machen wir einen Hausbesuch.
Ich hatte die Worte des Mannes mit den grausamen Augen nicht vergessen. Und ich hatte nur zu deutlich begriffen, was sie bedeuteten, und Kim nichts von meinem nächtlichen Abenteuer erzählt. Der Lieutenant, der mich als Punching-Ball benutzt hatte, verstand wirklich etwas von seinem Geschäft: Ich spürte jeden einzelnen Schlag, den er mir versetzt hatte, noch immer, aber er hatte mich nicht wirklich verletzt. Ich hatte nicht einmal einen sichtbaren blauen Fleck oder eine Prellung, so dass ich mir keine Ausrede einfallen lassen musste. Natürlich hatte Kimberley trotzdem bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte - ich bin niemals ein guter Lügner gewesen, und als Schauspieler wäre ich selbst als Mitglied einer Laienspielgruppe verhungert - aber ich hatte mich darauf herausgeredet, eine anstrengende Reise hinter mir zu haben. Sie hatte mir nicht geglaubt, es aber zumindest für diese Nacht dabei belassen. Irgendwann im Laufe des Tages würde ich mir eine überzeugendere Ausrede für meine Einsilbigkeit und die niedergedrückte Stimmung zurechtlegen müssen, und allein dafür hasste ich die Unbekannten: Ich hatte Kim niemals belogen, nicht in all der Zeit, die wir uns kannten. Nun hatte ich es getan, und ich würde es weiter tun müssen, wenn ich sie schützen wollte. Das nächste Mal machen wir einen Hausbesuch.
Und doch war es etwas völlig anderes, das mir die Augen öffnete.
Der Helikopter.
Natürlich war es nicht der Helikopter aus der vergangenen Nacht. Selbst in den frühen sechziger Jahren war der Anblick eines Hubschraubers über dem Capitol nichts Außergewöhnliches. Helikopter, die Kongressabgeordnete brachten oder abholten, die wichtige Gäste einflogen, geheime Papiere transportierten und im Zweifelsfall auch einmal einem Abgeordneten halfen, eine Stunde offizielle Reisezeit zu sparen, die er dann bei seiner Geliebten verbringen konnte. An dem Anblick war absolut nichts Außergewöhnliches. Im Gegenteiclass="underline" die Maschine sah der, die mich in den Wald gejagt hatte, nicht einmal ähnlich. Und trotzdem erstarrte ich mitten im Schritt, und für zwei oder drei Sekunden war ich hundertprozentig davon überzeugt, dass er es war. Die Angst war wieder da, schlagartig, ohne Vorwarnung und keinen Deut weniger schlimm als vergangene Nacht. Ich stand auf den Stufen des Capitols, umgeben von Dutzenden von Menschen, und es war helllichter Tag. Und doch war ich wieder im Wald, sah die Gestalten wieder auf mich zustürmen und spürte wieder die gleiche, brodelnde Panik, die nichts anderes als pure Todesangst war. Mein Herz jagte. Meine Hände und Knie zitterten so stark, dass ich Mühe hatte, die Aktentasche zu halten. Ich hatte nichts anderes zu tun, als dazustehen und dem Helikopter nachzustarren. Erst, als er im Dunst des Morgens verschwunden war, gelang es mir, die Panik niederzukämpfen und mich mit aller Gewalt daran zu erinnern, wo ich wirklich war.